# taz.de -- Zwist um Wikipedia: Die anonymen Wächter | |
> Mit der Arbeitsstelle "Wiki-Watch" wollten Medienrechtler für mehr | |
> Transparenz bei Wikipedia sorgen. Doch Wikipedianer verdächtigen die | |
> Verantwortlichen, ein falsches Spiel zu treiben. | |
Bild: Schauspieler schlüpfen in Wikinger-Kostüme und spielen Schlacht. Und we… | |
"Wir bieten eine völlig neuartige Möglichkeit, redaktionelle Inhalte und | |
Prozesse der Online-Enzyklopädie Wikipedia zu durchleuchten." Mit | |
[1][großen Erwartungen] hatten die Medienrechtler Wolfgang Stock und | |
Johannes Weberling im Herbst 2010 ihre "Arbeitstelle Wiki-Watch" gestartet. | |
Bedarf gab es genug. „Wagenburgmentalität bei eigenen Themen“ und | |
„Frustration, Elitenbildung und Abschottung“ diagnostizierten Stock und | |
Weberling bei den Wikipedianern. Denn obwohl Wikipedia 10 Jahre nach | |
Gründung zu einer der meist aufgerufenen Webseiten gehört, ist vielen nicht | |
wirklich klar, wie das Wissenskonglomerat funktioniert. | |
Eine Lehrstunde in Sachen Transparenz erhielten die Gründer von Wiki-Watch | |
allerdings nun von den Wikipedianern selbst. In einem | |
[2][Checkuser/Anfragen&oldid=90300660#.288._Dezember_2010.29_-_Benutzer:Dis | |
kriminierung:lange erwarteten Verfahren] hatten Wikipedianer Klarheit über | |
die Identität von Wikipedia-Autor "Diskriminierung" verlangt. Sie | |
verdächtigten ihn, unter falscher Flagge in der Wikipedia zu editieren. Das | |
peinliche Ergebnis: Auch der offizielle Account der Arbeitsstelle | |
Wiki-Watch gehörte zu den Alias-Namen von „Diskriminierung“. Dieser war | |
vielen anderen Wikipedianern ein Dorn im Auge, weil er mit zu viel Verve | |
seine Meinung in Artikeln im Zusammenhang mit Themen wie Homosexualität und | |
Religion oder evangelikalen Organisationen vertreten hatte und dabei auch | |
Wikipedia-Regeln verletzte. | |
## Rauer Umgangston | |
Der Umgangston in der Wikipedia ist besonders in umstrittenen | |
Themenbereichen rau. Schnell bilden sich Lager von Leuten, die sich über | |
Jahre in einzelnen Artikeln und auf verschiedenen Diskussionsseiten | |
beharken, Spitzfindigkeiten und oft auch Beleidigungen austauschen. | |
Vermeintlich harmlose Wikipedia-Accounts werden so mit Brisanz aufgeladen, | |
so dass die Enttarnung der bürgerlichen Identität eines der Streitenden zur | |
empfindlichen Drohung wird. Deshalb hat die Wikipedia Anonymitätsregeln für | |
sich selbst aufgestellt, die ein Outing nur bei schweren Verstößen gegen | |
Wikipedia-Regeln erlauben. | |
Ein halbes Jahr dauerte das „Checkuser“-Verfahren gegen „Diskriminierung�… | |
dabei ging es im Wesentlichen nur um den Vorwurf, ob der Wikipedia-Autor | |
sich unterschiedlicher Identitäten bediente, um seinen Standpunkten im | |
Meinungskampf einen Vorteil zu verschaffen. Nach Analyse der Logfiles kamen | |
die zuständigen Wikipedia-Administratoren Ende Juni zu folgendem Schluss: | |
„Diskriminierung“ hat gegen die Regeln verstoßen, und er wird aus der | |
Wikipedia ausgeschlossen. | |
In einer Stellungnahme räumt Wiki-Watch-Leiter Johannes Weberling den | |
Kontakt zu dem umstrittenen Nutzer ein: „Im Verlauf der Konzeptions- und | |
Gründungsphase haben wir den uns bei der Realisierung pro bono | |
unterstützenden Wikipedia-Benutzer "Diskrimierung" - mit 11.600 Edits ein | |
erfahrener Wikipedia-Kenner - gebeten, uns bei der ersten Umfrage unter | |
Wikipedia-Administratoren zu helfen“. Schon damals war Wiki-Watch bei den | |
Wikipedianern angeeckt, der Account der Arbeitsstelle war vorübergehend | |
gesperrt. Über die Identität von „Diskriminierung“ und darüber, wieso man | |
ausgerechnet diesen Nutzer um Hilfe bat, will Wiki-Watch keine Angaben | |
machen. | |
## Anonymität in eigener Sache | |
Bei anderen Projekten legt Weberlings Mitstreiter bei Wiki-Watch, Wolfgang | |
Stock, andere Maßstäbe an. Gegenüber der [3][Tageszeitung Welt] griff er | |
die Projekte GuttenPlag und VroniPlag an, die sich auf die Suche nach | |
Plagiaten in Doktorarbeiten machen, aber gleichzeitig die Identität ihrer | |
Mitglieder verbergen: „Wer ist das, der ohne seine Methoden offenzulegen, | |
solche Urteile fällt?“, fragte Stock in der Zeitung. Ohne die Identität der | |
Mitglieder zu kennen, wisse man schließlich nicht, ob sie die Qualifikation | |
hätten, Plagiate zu beurteilen. Zudem müsste die Methodik der Plagiatsjäger | |
offen gelegt werden. „Nur so könnte auch die Arbeitsweise von VroniPlag mit | |
akademischer Offenheit kritisch überprüft werden", sagte er im Juni. | |
Stock ist längst selbst in das Visier einiger Wikipedianer geraten. So wird | |
– ebenfalls unter dem Schutz der Anonymität – auf der Multimedia-Plattform | |
Wikimedia Commons eine [4][IQWIGundCo.pdf:elfseitige Abhandlung] | |
verbreitet, die sich mit auffälligen Beiträgen im Medizin-Bereich | |
beschäftigt. Dabei spielen auch mehrere Accounts eine Rolle, die Stock | |
zugerechnet werden. Stellung dazu nehmen will Stock nicht. Er beruft sich | |
auf die Vertraulichkeit seiner Wikipedia-Identitäten. | |
Für | |
[5][//secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Benutzer:Gustav_Mitderhupe/Wik | |
i-Watch_Juni_2011:besonderes Misstrauen unter Wikipedianern] sorgt die | |
Tatsache, dass Stock neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch | |
geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung „Convincet“ is… | |
die ihren Kunden [6][besondere Diskretion] verspricht. Gegenüber taz.de | |
versichert Stock jedoch, dass die Mitarbeiter von "Convincet" nie im | |
Auftrag ihrer Kunden in der Wikipedia editiert hätten. Gleichzeitig erklärt | |
er, dass kein Wiki-Watch-Mitarbeiter Accounts in der Wikipedia unterhalten | |
habe. | |
## Zweierlei Wiki-Wächter | |
Als die Frankfurter Allgemeine Zeitung über die Verdachtsmomente | |
berichtete, drohten die Wiki-Watch-Initiatoren mit rechtlichen Schritten. | |
Die Zeitung hatte den Artikel vorübergehend [7][von ihrer Webseite] | |
entfernt. Stock, der früher selbst für die FAZ arbeitete, wirft der Zeitung | |
„unglaublich schlechte“ Recherche vor, hat zu den Verdachtsmomenten aber | |
noch nicht substantiell Stellung genommen. [8][Im eigenen Blog] bleibt der | |
Skandal unerwähnt. Wiki-Watch selbst macht den Eindruck einer Wagenburg. | |
Zwei Arten von Wiki-Wächtern sind aneinander geraten. Die einen | |
beanspruchen wissenschaftliche Weihen, um die Wikipedia von außen zu | |
beurteilen, zu vermessen und auch zu verurteilen – die anderen sitzen in | |
der Wikipedia selbst und wollen sie vor unbotmäßigen Einflüssen, | |
PR-Arbeitern oder religiösen Überzeugungstätern schützen. Wer davon Recht | |
hat – oder wer sich zumindest weniger ins Unrecht gesetzt hat – ist nur | |
schwer zu durchschauen. | |
8 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.europa-uni.de/de/struktur/zse/pressestelle/medieninfoarchiv/medi… | |
[2] http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia | |
[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article13437041/Sie-brachten-Guttenb… | |
[4] http://commons.wikimedia.org/wiki/File | |
[5] http://https | |
[6] http://convincet.de/index.php?option=com_content&task=view&id=21&am… | |
[7] http://www.faz.net/artikel/C31013/wiki-watch-zum-artikel-hier-prueft-der-bu… | |
[8] http://blog.wiki-watch.de | |
## AUTOREN | |
Torsten Kleinz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umstrittene Jugendschutzfilter: Wikipedia probt die Demokratie | |
Mit einer Abstimmung unter Wikipedia-Autoren will die Wikimedia Foundation | |
Unterstützung für einen Filter gegen "kontroverse Inhalte" finden. | |
Werkzeug "HTTPS Everywhere": Besser alles verschlüsseln | |
Unsichere Verbindungen zu Facebook, Google und anderen Seiten? Mit einem | |
kostenlosen Browser-Zusatzprogramm lässt sich das verhindern. | |
Freies Wissen im Netz: Geld entzweit Wikipedianer | |
Der Verein Wikimedia Deutschland will in Projekte investieren, die freies | |
Wissen fördern. Doch die Verteilung von Mitteln bringt Streit mit sich: | |
Zwei Vorstände sind zurückgetreten. | |
Verlagswesen 2.0: Schröpfen on demand | |
Internet-Ausdrucker einmal anders: Ein Verlag verkauft im großen Stil | |
Bücher, die ausschließlich aus Wikipedia-Artikeln bestehen - zu | |
astronomischen Preisen. | |
Ein 14-Jähriger Administrator bei Wikipedia: Jugendlicher als Wissenswächter | |
Ein Teenager will bei Wikipedia mitarbeiten. Er wird als Autor geschätzt, | |
ist aber rechtlich fast noch ein Kind. Wie wichtig ist das Alter für eine | |
solche Aufgabe? |