Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Guan Jianzhong von Ratingagentur Dagong: "Ideologie ist kein Maßst…
> Die drei US-Rating-Agenturen haben ihre Legitimität verloren, sagt Guan
> Jianzhong von der chinesischen Agentur Dagong. In China bewerte man die
> Kreditwürdigkeit von Staaten anders.
Bild: Mao mal ganz unideologisch: Yuan-Geldscheine auf US-Flagge.
taz: Herr Guan, Sie haben weltweit Aufsehen erregt, als Ihre Firma im
vergangenen Herbst die Kreditwürdigkeit der USA erstmals herabstufte. Wie
sehen Sie die Lage jetzt?
Guan Jianzhong: Es wird immer schlimmer. Die USA haben ihre selbst gesetzte
Obergrenze der Verschuldung schon durchbrochen und machen mehr und mehr
Schulden, allein um die Regierung am Laufen zu halten. Sie sparen nicht bei
ihren Ausgaben, obwohl sie auf der Einnahmenseite nicht sehr viel zu
erwarten haben. Das größte Problem liegt darin, dass sie an
wirtschaftlichen Konzepten und politischen Entscheidungen festhalten, die
dem Land eine langfristige Rezession bescheren. Sie müssen ständig die
Schulden der Gemeinden erhöhen, um das Wachstum zu fördern - dieses
Verhaltensmuster ist schuld an der Misere, in der sich die USA heute
befinden. Das Problem ist grundsätzlicher Natur.
Was würde geschehen, wenn auch die US-Rating-Agenturen die USA
herabstuften?
Dafür gibt es nur ein Wort: Katastrophe. Es könnte das gesamte
amerikanische Finanzsystem paralysieren und eine Kreditkrise hervorrufen,
die schlimmer als die von 2008 wäre. Weil die USA das Zentrum der globalen
Wirtschaft und Finanzen sind und alle Kredit- und Schuldenprobleme damit
verbunden sind, wären die Auswirkungen sofort in der ganzen Welt zu spüren.
Wird es besser, wenn der amerikanische Kongress eine neue
Schuldenobergrenze festlegt?
Faktisch wird sich damit wohl nichts Wesentliches ändern. Nur vom Gesetz
her: Es erlaubt ihnen, noch mehr zu borgen, um alte Schulden zu begleichen.
Wären die USA zahlungsunfähig, dann würden sie wohl sofort zum dritten Mal
riesige Geldmengen auf den Markt werfen - und dieses Mal womöglich nicht
nur 600 Milliarden, sondern tausende von Milliarden Dollars.
Wie unterscheiden Sie sich als chinesische Ratingagentur von ihren drei
großen amerikanischen Konkurrenten?
Wir bewerten die Kreditwürdigkeit eines Staates nach anderen Maßstäben.
Fünf Jahre lang haben wir analysiert, welche Maßstäbe die amerikanischen
Ratingagenturen anlegen, und sind auf viel Problematisches gestoßen. Das
fängt bei ihren fünf Bewertungskriterien an. Erstens beurteilen sie jedes
Land danach, wieweit es westlichen Vorstellungen von Demokratie entspricht.
Zweitens beurteilen sie die wirtschaftliche Stärke nach dem
Bruttosozialprodukt pro Kopf der Bevölkerung.
Da liegen die USA vorn.
Drittens beurteilen sie die wirtschaftlichen und finanziellen Aussichten
eines Landes danach, wie offen seine Wirtschaft und sein Finanzsystem sind.
Unserer Ansicht nach sagt dies aber nichts darüber aus, ob ein Land fähig
ist, seine Schulden zurückzuzahlen. Viertens wollen sie wissen, ob die
Zentralbank eines Landes unabhängig von der Regierung ist. Und sie wollen
auch sehen, ob das Land über eine konvertible Währung verfügt. Die beiden
letzten Kriterien sind für sie Vorbedingungen für eine AAA-Bewertung. Und
fünftens interessieren sie sich nicht für die Einkommenssituation eines
Landes, sondern für die Fähigkeit, Gelder zu beschaffen. Das heißt, alte
Schulden werden durch neue finanziert.
Was ist falsch daran?
Sie haben ihre Kriterien den westlichen Ländern auf den Leib geschneidert.
Wir haben die fünfzehn Topschuldennationen analysiert: Alle entsprechen
diesen Kriterien. Island, Irland, Griechenland, Italien und Spanien bekamen
deshalb gute Noten. Die USA und Großbritannien werden mit AAA bewertet und
können nicht heruntergestuft werden. Fakt ist jedoch, dass diese Maßstäbe
überhaupt nichts darüber aussagen, ob ein Staat praktisch fähig ist, seine
Schulden zurückzuzahlen. Darin liegt der Grund der heutigen Schuldenkrise
der Industrieländer: Nach solchen Kriterien musste die Welt glauben, dass
diese Länder kein Risiko darstellen.
Deshalb fand sich immer jemand, der ihnen Geld borgte.
Und jetzt sehen wir, dass es ein Fehler war. Man hat eine Ideologie
beziehungsweise eine Wertvorstellung zum Maßstab der Risikobewertung von
Ländern gemacht. Das ist nicht vernünftig.
Wie sehen Ihre Kriterien aus?
Erstens suchen wir nach den internen Risikofaktoren. Zum Beispiel bei den
USA oder Japan, deren Kreditwürdigkeit wir übrigens auch heruntergestuft
haben. Es ist uns egal, wie oft sie betonen, dass ihr politisches und
wirtschaftliches System besonders gut sei. Was uns interessiert, ist die
Wirkung, die das System auf ihr wirtschaftliches Management hat, das ist
unser Bewertungsstandard. Zweitens analysieren wir die
Wachstumsperspektiven eines Landes. Wir beurteilen seine gesamten
Industrien danach, welchen Rang sie in der Welt haben und wie
wettbewerbsfähig sie sind - und nicht nach dem Bruttosozialprodukt pro Kopf
oder danach, ob ein Land offen ist oder nicht. Drittens berücksichtigen wir
ihr Finanzsystem. Die USA und europäische Staaten zum Beispiel haben sich
nicht an der realen Wirtschaft orientiert.
Was heißt das?
Ihre Finanzleute konnten sich immer neue Kreditprodukte zusammenschustern,
schließlich wuchs der Anteil des virtuellen Reichtums stärker als der reale
Reichtum. Dies ist ein sehr wichtiger Grund dafür, dass die USA in die
Finanzkrise geraten sind. Um die Risiken zu beurteilen, müssen wird deshalb
das Verhältnis von Finanz- und realer Ökonomie betrachten. Viertens ist es
fundamental wichtig, das exakte finanzielle Einkommen zu untersuchen.
Fünftens müssen wir die Fähigkeit eines Landes beurteilen, Devisenreserven
anzulegen. China zum Beispiel hat über 3 Billionen Dollar in
Devisenreserven, deshalb verdient es unserer Ansicht nach die Note AAA.
Wem gehört Dagong? Ist es eine staatliche Firma?
Ich bin der Besitzer. Ich stamme aus der Provinz Shanxi, habe früher in der
Regierung gearbeitet, wechselte dann in die Privatwirtschaft. Unser Prinzip
ist die Unabhängigkeit. Dagong ist unabhängig von der Regierung und von
staatlichem Kapital. Unser Team und die Teilhaber dürfen nicht im Bond- und
Aktienmarkt tätig sein. Nur so können wir glaubwürdig arbeiten.
Der Ruf nach einer Reform des Ratingsystems wird lauter. Was schlagen Sie
vor?
Ich arbeite darauf hin, dass wir eine neue internationale Institution
schaffen, in der die Ratingagenturen aller Länder zusammenarbeiten, um die
Sicherheit der globalen Kreditsysteme zu garantieren. Wir werden mit dieser
Idee Erfolg haben.
Warum sind Sie sich da so sicher?
China ist das Land mit der zweitgrößten Wirtschaft und mit guten
wirtschaftlichen Aussichten. Und es ist ein Kreditgeber. Es ist doch
vernünftiger, wenn die Gläubiger die Kreditwürdigkeit der Schuldner
bewerten und nicht umgekehrt. Außerdem haben die drei US-Agenturen ihre
Legitimität verloren.
Brauchen wir international gültige Regeln für Ratingagenturen?
Wir sollten zuerst eine neue internationale Ratingagentur schaffen, dann
gemeinsam Kriterien entwickeln und uns schließlich für ein internationales
Regelwerk einsetzen.
Was halten sie von einer europäischen Ratingagentur?
Diesen Vorschlag gibt es schon seit 2008. Er ist verständlich: Die Europäer
leiden darunter, dass ihre Ratings von hohen auf niedrigere Positionen
gerutscht sind. Aber objektiv gesehen ist die gesamte europäische
Wirtschaft verschuldet. Wenn Schuldner sich selbst bewerten - wer soll dann
das Resultat ernst nehmen? Wenn es allerdings nur darum geht, die
Bewertungen innerhalb der Eurozone als Referenz zu nutzen oder der
Europäischen Zentralbank eine Frühwarnung zu geben, dann ist das etwas
anderes.
Was sollten die Europäer in dieser Situation tun?
Erstens könnten sie sich für die Reform des internationalen Ratingsystems
einsetzen. Zweitens sollten sie Dagong nach Europa bringen, weil unsere
Ratingergebnisse objektiv sind. Wir könnten die Rolle von Checks and
Balances gegenüber den drei großen amerikanischen Agenturen übernehmen.
Dagong statt Moody's für Europa?
Die Europäer sollten ein doppeltes Ratingsystem einführen: Wenn die drei
US-Firmen ihre Bewertung beendet haben, sollte man Dagong beauftragen, das
Ganze noch mal zu untersuchen. Die zusätzlichen Kosten wären minimal. Ich
glaube, dies würde die Situation in Europa drastisch verändern.
Wenn Sie heute als Moderator zu den Schuldenverhandlungen zwischen
US-Präsident Obama und den Republikanern ins Weiße Haus geladen würden, was
würden Sie empfehlen?
Sie sollten an die langfristigen Interessen ihres Landes denken - und das
Muster ihres Wirtschaftswachstums und die globale Strategie entsprechend
ausrichten. Es ist sehr teuer, Weltpolizist zu sein und gleichzeitig
mehrere Kriege zu führen. Wenn die hegemoniale Strategie verändert wird,
dann werden sich auch die Ausgaben reduzieren. Am Ende wird das einfache
Volk in Amerika den Nutzen davon haben. Wenn man ständig Geld borgen muss,
um seine Hegemonie zu finanzieren, ist das langfristig nicht tragbar.
25 Jul 2011
## AUTOREN
Jutta Lietsch
## TAGS
rating
## ARTIKEL ZUM THEMA
Konkurrenz für US-Bewertungsfirmen: Chinesische Ratingagentur greift an
Dagong will den großen US-Ratingagenturen Paroli bieten. Die chinesische
Firma plant ein Joint-Venture – auch mit einer russischen Agentur.
Ratingagenturen S & P und Moodys: Lizenz zum Gelddrucken
Standard & Poors und Moodys machen 80 Prozent der weltweiten Ratingumsätze.
Beide Agenturen haben zum Teil dieselben Besitzer – ein Oligopol mit
Fantasierenditen.
Attacken auf den Dollar: China riskiert ein Eigentor
China kritisiert die USA für ihre Haushaltspolitik harsch. Dabei sagen
Experten, dass es auch in China nicht so weitergeht wie bisher. Die Preise
steigen stark.
Neuwahlankündigung schürt Unsicherheit: Moody's will Spanien herabstufen
Ratingagenturen haben angekündigt, Spaniens Kreditwürdigkeit herabzustufen.
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Konjunktur schwach. Und nun sind auch
noch Kredite teurer geworden.
Kein Kompromiss im Haushaltsstreit: USA bereiten sich auf Kapitulation vor
Die Obama-Regierung bereitet sich darauf vor, dass bis zum 2. August kein
Kompromiss im Haushaltsstreit gefunden wird. Das Finanzministerium macht
einen Plan für den Fall des Scheiterns.
Schuldenstreit in den USA: Obama droht Republikanern mit Veto
Jetzt droht US-Präsident Barack Obama den Republikanern mit einem Veto,
sollten diese ihren Plan zur Lösung der Krise verabschieden. Bei der
deutschen Außenwirtschaft wächst die Sorge.
Hintergrundinfos Eurokrise vor dem Gipfel: Das Finanzglossar zur Eurokrise
Geht Griechenland pleite? Was ist ein Gläubiger? Lässt sich der Euro
retten? Womit? Von Eurobonds bis Staatsbankrott - alles, was Sie wissen
sollten.
Drohende Staatspleite in den USA: "Amerika ist nicht pleite"
Die Amerikaner haben vor allem ein ideologisches Problem mit der Rolle des
Staates, glaubt Ökonom Jeff Madrick. Die Schuld schiebt er den
Republikanern in die Schuhe.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.