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# taz.de -- Ökonom Schulmeister zu EU-Institutionen: "Verblüffend lernfähig"
> Die Ergebnisse des Euro-Gipfels haben Stephan Schulmeister überrascht.
> Für ihn sind sie ein erster Sieg über die Finanzmärkte, die Eurozone
> werde zur Wirtschaftsregierung.
Bild: Signal aus Brüssel: Im Notfall soll der EU-Rettungsschirm helfen.
taz: Herr Schulmeister, viele Notenbanker und Experten kritisieren die
Ergebnisse des Euro-Gipfels. Sie auch?
Stephan Schulmeister: Im Gegenteil. Ich bin von den Beschlüssen richtig
angetan. In Brüssel wurden verblüffende Entscheidungen getroffen. Die Elite
hat sich erstaunlich lernfähig gezeigt.
Was freut Sie am meisten?
Die Eurozone entwickelt sich jetzt in Richtung einer Wirtschaftsregierung.
Es findet ein spannendes Spiel statt, das sich in den nächsten Monaten
fortsetzen wird. Die Frage ist: Wer hat das Primat? Die Politik oder die
Finanzmärkte?
Und die Politik hat gesiegt?
Zumindest hat sie die Freiheit der Finanzmärkte beschnitten, indem jetzt
der Zins festgelegt wird.
Das müssen Sie erklären.
Das Signal aus Brüssel ist eindeutig: Wenn die Zinsen für spanische oder
italienische Staatsanleihen auf den Finanzmärkten zu stark steigen, dann
springt der EU-Rettungsschirm ein, indem er selbst die Staatsanleihen
aufkauft oder billige Kredite gewährt. Dies ist die zugespitzte Ansage an
die Finanzakrobaten: dass man verhindern wird, dass sie als Herde gegen ein
Land spekulieren.
Aber wie soll das funktionieren? Der Rettungsschirm wurde für diese neuen
Aufgaben nicht aufgestockt.
So gering ist das Kapital nicht, das zur Verfügung steht. Immerhin sind es
440 Milliarden Euro. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Politiker die
Garantiesumme ruckzuck erhöhen. Die Regierungen sind gereizt und sauer auf
die Ratingagenturen. Aber wichtig ist: Aus dem Rettungsschirm ist eine
strategische Waffe geworden. Bisher war er nur eine Notlösung und mit
Schande behaftet. Jetzt wird er zu einem offensiven Instrument gegen die
Spekulanten, das im psychologischen Spiel der Einschüchterung eingesetzt
werden kann.
Zentrales Thema auf dem Euro-Gipfel war die Rettung Griechenlands.
Inzwischen haben die Griechen nachgerechnet und sind enttäuscht: Ihr
Schuldenberg von derzeit 350 Milliarden Euro wird nur um 26 Milliarden
sinken. War der Schuldenschitt nicht groß genug?
Ich war noch nie ein Freund des Schuldenschnitts. Dann würden auch die
Portugiesen irgendwann verlangen, dass ihnen Schulden erlassen werden.
Andere würden ebenfalls folgen. Die Griechen könnten ihre Kredite bedienen,
falls die Wirtschaft wieder wächst. Wichtig ist daher, dass die EU die
Förderung der Realwirtschaft fortsetzt, wie sie es jetzt mit dem
Marshall-Plan für Griechenland begonnen hat.
Die Profiteure stehen nach dem Euro-Gipfel jedenfalls fest. Es sind die
Banken und Versicherungen. Sie müssen sich an den Kosten kaum beteiligen.
Die Beteiligung der Gläubiger ist tatsächlich nur fürs Schaufenster. Da
wird nicht viel rauskommen, was ich aber ganz gut finde. Die Trader
erwischt man doch sowieso nicht. Die Deutsche Bank hat kaum noch
griechische Staatsanleihen, hat aber mit dem Handel der entsprechenden
Derivate bestens verdient. Mit einer Gläubigerbeteiligung trifft man nur
die Unglücksraben, die weniger Schlauen. Das sind Opferrituale für den
Boulevard: Du musst auch deine Strafe kriegen.
Aber kritisieren Attac und der Steuerzahlerbund nicht zu Recht, dass jetzt
die Steuerzahler die Rettungskosten ganz allein tragen müssen?
Dieser Schulterschluss von Attac und Steuerzahlerbund war mir schon immer
verdächtig. Die Steuerzahler haben doch bisher nichts gezahlt. Stattdessen
hat der deutsche Staat von den Griechen Zinsen in Höhe von 200 Millionen
Euro kassiert. Auch in Zukunft ist eine Beteiligung der Steuerzahler klar
ausgeschlossen - und zwar gerade durch die gemeinschaftliche Haftung der 17
Euroländer. Mit dieser Macht auf den Finanzmärkten spricht nichts dagegen,
dass wir es wie Japan oder die USA machen: also permanentes "roll over".
Fällige Staatsschulden werden einfach durch neue ersetzt.
26 Jul 2011
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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