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# taz.de -- Residenzpflicht in Thüringen: Bis zur Kreisstadt und dann stopp!
> Thüringen hat die Bestimmungen für Asylbewerber verändert. Mehr
> Bewegungsfreiheit gibt es aber kaum: Die große Koalition hob die
> schikanöse Regelung nicht auf.
Bild: Asylbewerber und Geduldete dürfen nun ohne Erlaubnis in die Nachbarlandk…
BREMEN taz | Für Miloud Cherif ist die Sache klar: "Ich werde auf keinen
Fall ein Bußgeld zahlen", sagt der junge Algerier. Denn damit würde er
"anerkennen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das habe ich aber nicht."
68 Euro soll der 26-jährige Asylbewerber aus Zella-Mehlis in Thüringen
bezahlen, weil er im vergangenen November mit dem Zug nach Berlin gereist
ist. Auf dem Erfurter Bahnhof kontrollierte ihn die Polizei und stellte
fest, dass er den ihm zugewiesenen Landkreis Schmalkalden verlassen hatte.
Und das ist ein Verstoß gegen die sogenannte Residenzpflicht. Diese
europaweit einmalige Regelung verbietet Asylbewerbern und Geduldeten, sich
innerhalb Deutschlands frei zu bewegen. Selbst kurze Besuche sind nur mit
einer kostenpflichtigen Erlaubnis möglich.
Seit diesem Monat gilt nun in Thüringen eine neue
Residenzpflichtverordnung. Doch geschaffen wurde nur eine umständliche neue
Verbotslandschaft. Mehr Bewegungsfreiheit bietet sie kaum: Asylbewerber und
Geduldete dürfen nun ohne Erlaubnis auch in die Nachbarlandkreise und eine
kreisfreie Stadt. Weiter nicht.
## Thüringer Flüchtlingsrat ist entsetzt
2009 hatte die an der großen Koalition beteiligte Thüringer SPD in ihr
Regierungsprogramm anderes geschrieben. "Die Residenzpflicht weiten wir auf
ganz Thüringen aus", heißt es dort. Brandenburg hatte es 2009 vorgemacht.
Doch der christdemokratische Koalitionspartner stellte sich quer. "Wir
konnten das gegen die CDU nicht durchsetzen," sagt die SPD-Abgeordnete
Regine Kanis. "Zufrieden sind wir damit nicht."
Dass die SPD die Lösung mit den Nachbarlandkreisen "durchgewunken" habe,
sei "einfach nur peinlich", sagt Ellen Köneker vom Thüringer
Flüchtlingsrat. Der hat der Partei dafür den "Preis für die größtmögliche
Gemeinheit" verliehen.
Das CDU-geführte Innenministerium verteidigt die Linie: "Das liegt in
unserem Gestaltungsermessen, und wir haben das so festgelegt," sagt ein
Sprecher des Innenministeriums. "Es muss den Behörden möglich sein, die
Leute kurzfristig zu erreichen." Das sei bei einem "größeren Gebiet ein
größerer Aufwand." Köneker hält das für ein vorgeschobenes Argument: "Das
entbehrt jeglicher Grundlage", sagt sie. "Auch alle Deutschen müssen für
die Behörden erreichbar sein. Die Meldepflicht und eine ladungsfähige
Anschrift reichen dazu vollkommen aus."
Für Osaren Igbinoba von der Flüchtlingsorganisation The Voice aus Jena ist
die neue Regelung "genauso rassistisch wie die alte". Seit Jahren kämpft
The Voice gegen die Auflagen. 2009 starteten sie eine große Kampagne für
den Kameruner Felix Otto. Der sollte neun Monate ins Gefängnis in Erfurt,
weil er wiederholt gegen die Residenzpflicht verstoßen hatte. Auch auf
Grundlage der neuen Verordnung werde die Polizei in Thüringen vor allem
Schwarze auf Straßen und an Bahnhöfen kontrollieren, sagt Igbinoba. "Wir
halten auch nichts davon, das auf das ganze Bundesland auszuweiten. Dieses
Gesetz muss komplett abgeschafft werden."
Miloud Cherif wartet indes den Ausgang seines Verfahrens ab. Seit einigen
Monaten hat ihm die Ausländerbehörde das Taschengeld gestrichen. Er lebt
nun allein von Gutscheinen im Wert von 126 Euro. Zahlen würde er aber auch
nicht, wenn er mehr hätte. "Zur Not gehe ich auch ins Gefängnis", sagt er.
"Jeder Deutsche darf herumreisen - warum ich nicht?"
27 Jul 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
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