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# taz.de -- Sozialleistungen für Flüchtlinge: Asylbewerber gehen leer aus
> Die Sozialleistungen für Asylsuchende sind verfassungswidrig niedrig. Das
> hat selbst die Bundesregierung eingeräumt. Änderungen stehen frühestens
> 2012 an.
Bild: Als Teil des "Asylkompromisses" sollten Flüchtlinge 1993 deutlich schlec…
BREMEN taz | Obwohl sie selbst festgestellt hat, dass die Sozialleistungen
für Asylbewerber verfassungswidrig sind, will die Bundesregierung die
Bezüge von Flüchtlingen vorerst nicht neu berechnen. Gegenüber dem
Bundesverfassungsgericht kündigte das Sozialministerium an, das Thema "bis
Ende des Jahres" mit den Ländern zu besprechen. Erst dann soll ein neuer
Gesetzentwurf erarbeitet werden.
"Die Bundesregierung will den erkannten verfassungswidrigen Zustand
aufrechterhalten", sagt Georg Classen vom Flüchtlingsrat Berlin. "Seit
Februar 2010 ist klar, dass es Handlungsbedarf gibt. Die Bundesregierung
hat seither nichts getan. Sie sitzt das Thema aus und erfindet ständig neue
Ausreden für ihre Untätigkeit."
Das Sozialministerium verwies hierzu am Dienstag nur auf seine zwei Wochen
alte Antwort auf eine Abgeordnetenanfrage. "Die Überprüfung ist noch nicht
abgeschlossen", heißt es da.
Dabei hatte die Bundesregierung schon vergangenes Jahr eingeräumt, dass die
Sätze nicht rechtens sind. Im Februar 2010 entschied das
Verfassungsgericht, dass die Hartz-IV-Sätze nicht nach dem tatsächlichen
Bedarf berechnet wurden. Das gilt auch für die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Auf eine Anfrage der Linkspartei-Abgeordneten Ulla Jelpke antwortete
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), dass die Leistungen im
AsylbLG "auf der Grundlage von Kostenschätzungen" erfolgt seien. Und
schloss: "Das entspricht nicht den Anforderungen des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts." Schon damals kündigte von der Leyen an, die
Sätze neu berechnen zu wollen. Geschehen ist nichts.
## Flüchtlinge werden absichtlich schlechter gestellt
Asylbewerber erhalten bis zu einer offiziellen Anerkennung als Flüchtlinge
ebenso wie die weit über 100.000 Geduldeten weit geringere Sozialleistungen
als Deutsche. Sie müssen oft jahrelang in Sammelunterkünften leben und mit
Sachleistungen in Höhe von "360 D-Mark" auskommen - so steht es im bis
heute gültigen, 1993 beschlossenen Gesetz. Hinzu kommt ein Taschengeld von
heute 40,90 Euro. Zusammen macht dies rund ein Drittel weniger aus als
Hartz IV.
Als Teil des "Asylkompromisses" sollten Flüchtlinge 1993 deutlich
schlechter gestellt werden als deutsche Sozialleistungsempfänger. Die
Kosten für Lebensmittel stiegen seither um fast 25 Prozent. Einen
Inflationsausgleich gab es nicht.
In einigen Bundesländern werden die Sachleistungen wöchentlich in Form von
Lebensmittelpaketen ausgeteilt, meist jedoch geben die Sozialämter
Gutscheinhefte aus, die nur von bestimmten Läden angenommen werden.
Das Thema ist seit rund einem Jahr auch in Karlsruhe anhängig. Bis Ende des
Jahres will das Verfassungsgericht über die Klage des geduldeten Irakers
Aram K. aus Eschweiler entscheiden. Der seit 2003 in Deutschland lebende
abgelehnte Asylbewerber klagte, weil er von 225 Euro im Monat plus Miete
leben musste. Zu arbeiten war ihm wie fast allen Geduldeten verboten.
## "Ins Blaue hinein geschätzt"
Das Landessozialgericht in Essen hielt die Höhe seiner Bezüge für einen
Verstoß gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. Sie
reichten "offensichtlich nicht aus, um eine menschenwürdige Existenz zu
gewährleisten", so die Richter. Zudem seien sie "ins Blaue hinein"
geschätzt worden. Das Gericht legte die Klage schließlich dem
Bundesverfassungsgericht vor. Möglicherweise kommt dessen Beschluss dem
Gesetzgebungsverfahren in Berlin nun zuvor.
Ob das zu einem Ergebnis führen wird, ist überaus fraglich. Denn die
Gespräche mit den Ländern gestalten sich schwierig. Vor allem
Rheinland-Pfalz, Berlin und Baden-Württemberg wollen das AsylbLG komplett
abschaffen. Nach ihrem Willen sollen Flüchtlinge deutschen
Sozialleistungsempfängern gleichgestellt werden und Hartz IV bekommen.
Für einige unionsregierte Länder wie Bayern und Niedersachsen kommt das
nicht infrage. Sie bestehen auf gesonderten Sozialleistungen und wollen das
AsylbLG unbedingt erhalten. "Da wird es keinen Konsens geben", glaubt der
Flüchtlingsratsprecher Classen. "Möglicherweise ist dies auch genauso
beabsichtigt."
9 Aug 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
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