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# taz.de -- Asylpolitik der CDU: Ausgrenzung als Sozialtherapie
> Die CDU in Mecklenburg-Vorpommern unterstellt Asylsuchenden per se
> soziale Inkompetenz. Ihr Lösungsvorschlag: enge Gemeinschaftsunterkünfte.
Bild: Laut CDU eine passende Erziehung zur sozialen Kompetenz: Minderjährige F…
GREIFSWALD taz | Die Mehrheit der Asylbewerber ist sozial inkompetent und
nicht in der Lage, selbstverantwortlich in eigenen Wohnungen zu leben:
Diese Ansicht jedenfalls vertritt der CDU-Landesverband
Mecklenburg-Vorpommern in einem Schreiben zur Heimunterbringung von
Flüchtlingen an den Schweriner Flüchtlingsrat, das dieser jetzt auf seiner
Homepage veröffentlichte. Auch eine passende "Therapie" hat die CDU für die
angeblich verhaltensauffälligen Flüchtlinge: die Unterbringung in einer
Gemeinschaftsunterkunft, enge Flure und Mehrbettzimmer inklusive.
Acht "Wahlprüfsteine" hatte der Flüchtlingsrat im Frühjahr 2011 an die
Parteien im Land verschickt und Verbesserungen in der Flüchtlingspolitik
angeregt. Auf die Forderung, die Heimunterbringung abzuschaffen, erklärte
der CDU-Landesverband seine ablehnende Haltung so: "Die Mehrheit der
Asylbewerber hat Defizite hinsichtlich allgemeiner Regeln des
Zusammenlebens. Viele zeigen Verhaltensauffälligkeiten (wie) mangelnde
Konfliktfähigkeit, niedrige Toleranzgrenze, ,Ellenbogenmentalität' und
Defizite in den sozialen Kompetenzen (beim) Verhalten gegenüber
Mitmenschen, insbesondere Frauen und Kindern. […] Durch die Unterbringung
in Gemeinschaftsunterkünften und die damit einhergehende Betreuung werden
soziale Kompetenzen erworben."
Woher die CDU ihr Wissen hat, vermochte ein Sprecher des
CDU-Landesverbandes nicht zu sagen. Die Landespolitik, schrieb er der taz,
sei in den "letzten 20 Jahren" zu der Auffassung gelangt, dass eine
zentrale Erstunterbringung "sinnvoll" sei. Tatsächlich gibt es weder
Studien, die beweisen, dass Flüchtlinge per se verhaltensauffällig sind,
noch solche, die nahelegen, dass ein Aufenthalt in der Enge einer
Gemeinschaftsunterkunft eine therapeutische Wirkung haben könnte.
Bernd Mesovic von der Frankfurter Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sieht in
der Unterstellung "eine unglaubliche Stigmatisierung". Er fühle sich durch
das Schreiben an die Jahre der offensiven Hetze gegen Ausländer Ende der
80er und Anfang der 90er Jahre erinnert.
## Psychische Störungen durch Heimaufenthalt
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es neun Asylbewerberheime mit je 100 bis 120
Plätzen. Birgit Witte vom Ökohaus Rostock, das seit 2001 Träger eines
Asylbewerberheims ist, kann die Haltung der CDU nicht nachvollziehen. "Der
längere Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft hat das Potenzial,
psychisch sehr negativ auf die Bewohner zu wirken", sagt sie. Ihrer
Erfahrung nach entwickelten viele Flüchtlinge während der Zeit im Heim
psychosomatische Störungen, die sich aus den dortigen Lebensbedingungen und
der gesellschaftlichen Ausgrenzung ergäben.
Das Aufnahmelager Horst für Flüchtlinge in Mecklenburg-Vorpommern liegt
acht Kilometer von der nächsten Siedlung entfernt, fernab von
Rechtsanwälten, Beratungsstellen, Bibliotheken und Internetanschluss. Im
Herbst 2010 hatte es heftige Proteste von Flüchtlingen gegen die Unterkunft
gegeben. Während sich FDP, Grüne und Linke den Forderungen des
Flüchtlingsrates nach einer Verlegung des Standorts in eine größere Stadt
anschließen, sind sich die Koalitionspartner CDU und SPD einig darin, an
der Erstaufnahmeeinrichtung mitten im mecklenburgischen Wald festhalten zu
wollen. Der CDU-Landtagsabgeordnete Wolfgang Waldmüller erklärte dazu, man
habe sich selbst über den Zustand der Einrichtung informiert. Es gebe dort
"genug Platz, gutes Essen, sichere ärztliche Versorgung".
Die Unterbringung von Asylbewerbern in Gemeinschaftsunterkünften ist oft
teurer, als es Unterkünfte in Privatwohnungen wären. Warum dennoch an der
Heimunterbringung festgehalten wird, zeigt eine Stellungnahme des
brandenburgischen Landkreises Oberspreewald-Lausitz in einem Rechtsstreit
um die Unterbringung von Flüchtlingen von November 2007. Darin heißt es,
der Zweck der Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sei unter anderem,
Asylbewerber und potenzielle Nachahmer abzuschrecken.
10 Jul 2011
## AUTOREN
Anke Lübbert
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