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# taz.de -- Architekt Arno Brandlhuber über den Wahlkampf: "Eine Politik zum R…
> Arno Brandlhuber ist Architekt, Stadtplaner und extrem unzufrieden mit
> der Immobilienpolitik des Senats. Für den Wahlkampf hat er eigene Plakate
> entworfen. Ohne Botschaft - um auf die fehlenden Inhalte der Parteien
> hinzuweisen
Bild: Ocker, braun oder ockerbraun? Die Farbe ist jedenfalls - Geschmackssache.
taz: Herr Brandlhuber, am Wochenende plakatieren die Parteien ihre
Wahlwerbung. Auch Sie stellen Plakate bereit: eine orange-braune
Farbfläche, ohne Botschaft. Was wollen Sie damit sagen?
Arno Brandlhuber: Die Wahlausagen zeigen bei zahlreichen Themen und
insbesondere zur Stadtentwicklung kaum mehr programmatische Unterschiede
und blenden relevante Inhalte aus. Und wo Unterschiede bestehen, scheinen
sie sich in der Praxis aufzulösen. Diese Farbe, der Durchschnitts-Farbcode
aus allen momentan im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, CMYK
14/40/80/20 beziehungsweise RGB 165/96/36, steht für das Fehlen politischer
Differenz. Diese Farbe soll überall dort auftauchen, wo das Fehlen dieser
politischen Differenz offensichtlich wird: Wenn irgendwo steht: "Berlin
verstehen"...
... wie auf den aktuellen Wahlplakaten der SPD...
... dann werden hier bewusst konkrete Aussagen ausgespart. Ein Fall
fehlender politischer Farbbestimmung, ein Fall für die Durchschnittsfarbe.
Wenn zum Beispiel ein Tafel-Empfänger feststellt, dass in keinem Programm
die Forderung auftaucht, die Essenstafeln zugunsten einer echten
Sozialpolitik abzuschaffen, dann darf er sich vernachlässigt sehen. Selbst
die Verwendung dieser Plakate als Packpapier äußert sich in den
öffentlichen Raum. Das Braun soll sagen: "Ich vermisse hier eine politische
Aussage in einem Bereich, der mich betrifft."
Was wollen Sie bewirken?
Eine Debatte über Unklarheiten im politischen Farbspektrum. Lassen sich
noch konkrete Aussagen auffinden, die dem Einzelnen eine Wahl zwischen
inhaltlichen Alternativen lassen? Als Stadtplaner will ich bis zum 18.
September wenigstens einen der Spitzenkandidaten zu einem Bekenntnis
bewegen: Ich stehe dafür, dass öffentliche Liegenschaften in Berlin nicht
weiter privatisiert werden. Das Grundeigentum Berlins und die damit
verbundenen Gestaltungsfreiräume werden nicht weiter reduziert. Solche
konkrete Forderungen fehlen mir in diesem Wahlkampf. Während es auf
Bundesebene um Positionen zum Atomausstieg oder Rüstungsexporten geht,
setzt man in Berlin auf emotionalisierende, personalisierte Slogans.
Was fehlt Ihnen genau?
Ich stelle fest, dass es zu dem Thema, das mich bewegt - Stadtentwicklung -
kaum belastbare Aussagen gibt. Man muss ja nicht zu jedem Thema künstliche
Differenzen aufbauen. Dass alle Parteien sich für Schrebergärten oder
Elektromobilität einsetzen, ist in Ordnung, weil es einen breiten
gesellschaftlichen Konsens dafür gibt. Aber wenn die SPD im Wahlprogramm
sagt: "Gerechtigkeit bedarf der Freiheit und Freiheit der Gleichheit der
Lebensverhältnisse in der ganzen Stadt", dann hört sich das zwar
überzeugend an. Aber es fehlt jede Aussage dazu, wie diese Gleichheit
hergestellt wird. Bei der Linken gibt es das Problem, dass das
Parteiprogramm ganz deutlich vom Regierungshandeln abweicht.
Alle Parteien, außer die FDP, wollen einen neuen Umgang mit Liegenschaften.
Also die Privatisierung von öffentlichem Grund und Boden stoppen. Was ist
daran auszusetzen?
Keiner will die Privatisierung stoppen. SPD und Linke hatten auch schon im
letzten Wahlkampf einen anderen Umgang formuliert. De facto ist das
Gegenteil passiert: Berlin hat in zentralen Bereichen fast alles an
öffentlichen Liegenschaften aufgegeben, was vermarktbar war. Dass das in
vielen Fällen auch wirtschaftlich ein Fehler war, ist bekannt. Aber
trotzdem sagt keine einzige Partei, keiner ihrer Spitzenkandidaten, jetzt:
Eine weitere Reduzierung dieses öffentlichen Eigentums wird es mit uns
nicht geben.
Vielleicht der Haushaltslage wegen: Berlin hat ja kein Geld!
Gerade ein schwach finanziertes Land braucht Grundbesitz, über den man
verfügen kann, um soziale, kulturelle und nachhaltig wirtschaftliche Ziele
durchzusetzen. Nachhaltig, weil nicht nur eine einmalige Einnahme
realisiert wird. Die Handlungsmöglichkeiten auch einer Kommune hängen ganz
wesentlich an der Eigentumsfrage. Wer Eigentum hat, kann darüber verfügen.
Und selbst steuern.
Warum ist das so wichtig für eine Stadt?
Eigentumsrechte bewaffnen immer die, die sie sich leisten können. Und
schließen die aus, die sie sich nicht leisten können. Wenn man für Berlin
weiterhin eine soziale Mischung wünscht, gibt es nur einen Weg: Die
Eigentumsfrage darf nicht allein entscheidend sein für den Zugang zu
Wohnen, Bauen und Planen. Man kann dazu bestimmte Grundstücke und
Liegenschaften dem Markt entziehen, wie das Rotaprint-Gelände im Wedding
und etliche mehr. Oder Nutzungsformen fördern wie das Erbbaurecht oder
Kleingenossenschaften, die sich nicht nur der Eigentumsbildung
verpflichten. Das Erbbaurecht ermöglicht Berlin Nutzungen zu etablieren,
ohne öffentliche Liegenschaften zu privatisieren. Eigentum in öffentlicher
Hand stellt Handlungsfreiräume sicher. Das gilt insbesondere für
Wohnungsbaugesellschaften.
Das sieht Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer (SPD) anders: Sie betont
stets die "entspannte" Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt ...
... und bemüht damit für die Mieter hier einen wirklichkeitsfremden
Vergleich auf anderer Ebene. Die Mieten in Berlin sind tatsächlich noch
niedriger als in München oder Zürich. Aber es zeichnen sich deutliche
Verschiebungs- und Verdrängungsmechanismen ab, zu denen sich die Politik
positionieren muss. Es kann nicht sein, dass ungewollte Verdrängungen an
den Stadtrand geduldet und durch Ausblendung unterstützt werden.
Woran liegt es, dass sich in Berlin keine Partei an den Immobilienmarkt
traut?
Berlin ist immer noch die niedrigpreisigste Hauptstadt Europas. Und weil in
der Vergangenheit immer noch genug Zwischenräume vorhanden waren, stand das
Thema lange nicht auf der Agenda. Aber jetzt sind die Leerräume in
zentralen Lagen stark reduziert, die Mieten steigen. Was auch mit einer
Wegentwicklung von der polyzentrischen Stadtstruktur Berlins hin zu einer
stärkeren Ausrichtung auf die Mitte zusammen hängt. Während sich alles auf
den innersten Kreis konzentriert, vermehren sich in anschließenden
Bereichen strukturelle Probleme. Und an der Peripherie findet unter anderem
der stärkste Zuzug von Hartz-IV-Haushalten statt, die an den Rand gedrängt
werden. Das heißt, die vielzitierte Berliner Mischung wird zu Gunsten einer
homogenen Lagenbildung verschoben. Ein gravierendes Problem. Als
Neu-Berliner konnte ich verfolgen, wie rasant diese Entwicklung in den
letzten fünf Jahren war. Jetzt wird für viele sehr deutlich, dass hier
gegenzusteuern ist.
Zurück zum Wahlkampf: Sie wünschen sich bessere Lösungsvorschläge von den
Parteien?
Ich wünsche mir überhaupt den Willen zur Lösung.
In anderen Bereichen gibt es durchaus konträre Positionen: Etwa der Bau der
Autobahn A100 oder der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor. Ist es
nicht etwas ungerecht, den Parteien Ununterscheidbarkeit zu unterstellen,
weil sie bei der Stadtentwicklung schwächeln?
Es läuft auf die Frage nach den Differenzen hinaus, die sich derzeit
ausmachen lassen oder eben nicht. Zur A 100 kann sich der Wähler an
konkreten Aussagen orientieren, in Fragen der Stadtentwicklung nicht.
Stadtentwicklung wie Architektur ist das Ordnen von sozialen Beziehungen
durch Gebautes. Wie wichtig diese Frage für unser Zusammenleben ist, dringt
zur Zeit immer deutlicher ins allgemeine Bewusstsein.
Wo stehen Sie politisch? Wenn man Sie reden hört, hat man fast den
Eindruck, nicht mit einem Architekten, sondern einem radikalen
Gentrifizierungsgegner zu sprechen.
Ich gehöre keiner Partei an, keiner organisierten Initiative. Meine
Sympathie für aktive Formen der Teilhabe wächst. Gerade hinsichtlich der
Bewahrung einer gemischten Stadt, kulturell wie sozial. Und ich bin noch
nicht bereit, hier die Politik aus der Verantwortung zu lassen, wie dies
etwa bei den Tafeln geschieht. Zum anderen gibt es in Berlin eine
Expertise, sich auf bestimmte Art und Weise zu organisieren: von den
Instandbesetzungen bis zu Bewegungen gegen Stadtflächenabriss und für
behutsame Stadterneuerung. Ein spezifisches Potenzial an Engagement und
Erfahrung, das maßgeblich zur kulturellen Identität Berlin beiträgt und an
Orten wie Stuttgart erst ad hoc gebildet werden muss. Diese Kultur der
Mitbestimmung findet immer weniger Weg in die Organisation politischen
Handelns. Erstaunlich - wo es hier eine Dreiviertelmehrheit für ein linkes
Milieu gibt. Das im Wahlkampf die Mitte sucht und dabei seine Kernthemen
vernachlässigt.
Das heißt, die drei linken Parteien sind in Berlin so stark, dass sie nicht
mehr links sind?
Ja, aus stadtentwicklungspolitischer Sicht inhaltlich belegbar. Die Linke
ist zwar im Lippenbekenntnis linksorientiert, aber im Regierungshandeln
nicht. Es ist doch zum Reinhauen, dass Gemeineigentum aus einer linken
Perspektive aufgegeben wird. Die Grünen wollen diesen Bereich
offensichtlich nicht angehen, um sich in der Mitte zwischen rot, rot und
schwarz zu positionieren, möglichen Koalitionen geschuldet.
Wahltaktisch ist das doch klug.
Wahltaktik interessiert mich überhaupt nicht! Gerade in einem Wahlkampf, in
dem nicht klar ist, welche Koalition am Ende sich bildet, geht es doch um
Aussagen! Belastbare. Damit man weiß, wer welche Positionen mit in die
Verhandlungen nimmt. Plakate wie die der SPD erklären den Wähler für
unmündig. Weil man sich nur noch aus einer gelenkten Emotionalität heraus
entscheiden kann. Gegen diese fehlenden Inhalte richtet sich die Farbe der
Entdifferenzierung.
Wen wählen Sie am 18. September?
Ich will zunächst deutliche Alternativen in den Aussagen. Dann werde ich
die Partei wählen, die mir für die Stadtentwicklung das überzeugenste
Angebot macht.
29 Jul 2011
## AUTOREN
Nina Apin
Gereon Asmuth
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