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# taz.de -- Debatte Terror in Norwegen: Krieger wider die Gleichheit
> Nicht nur der Hass auf Muslime trieb den Attentäter von Norwegen an. Sein
> extremer Frauenhass verbindet ihn mit anderen radikalen Ideologen.
Bild: Der Attentäter von Utøya, Anders Behring Breivik, ist auch voller Fraue…
Mit einer verstörenden Mischung aus Rationalität und Irrationalität,
eiskalt die mediale Wirkung seiner Tat einkalkulierend, hat der Norweger
Anders Behring Breivik seine Morde geplant. Will man Nachahmern vorbeugen,
muss man sich mit seiner ideologischen Begründung beschäftigen, die er im
Internet ausführlich dargelegt hat. Neben seinem kalten Hass auf Moslems
und "Multikulti", auf den schon vielfach hingewiesen wurde, ziehen sich
auch Frauenangst und Frauenhass wie ein roter Faden durch sein so genanntes
"Manifest".
Auf den ersten Blick mag das überraschen, geben viele Islamgegner doch vor,
ihnen ginge es nicht zuletzt um die Befreiung der unterdrückten
muslimischen Frauen vom Joch ihrer Religion. Doch zumindest Breivik, dessen
Islamfeindschaft sich aus völkisch-rechtspopulistischen und
christlich-fundamentalistischen Quellen speist, geht es nicht um
Frauenrechte, sondern um die Wahrung einer bedrohten hierarchischen
Ordnung, in der Männer vor Frauen, Weiße vor Nichtweißen und Christen vor
Muslimen rangieren.
Gleich seitenweise hat Breivik in seinem "Manifest" Passagen von seinem
ideologischen Vorbild, dem Blogger "Fjordman", übernommen, in denen dieser
gegen "totalitäre Feministinnen" zu Felde zieht: per Gleichstellungspolitik
und "Gender Mainstreaming" zielten sie auf die Auslöschung der männlichen
Identität. Scheidung, Abtreibung, Pille, Homosexuelle - all das ist für
Breivik nicht tolerierbar. Stattdessen müssten das Patriarchat und die
traditionelle Familie wieder eingesetzt werden, um einen "Babyboom"
auszulösen. Frauen müsse es verboten werden, einen höheren Grad als
Bachelor zu erreichen. Skurrilität am Rande: Er schlägt vor, "von der
Außenwelt abgeschottete" Sex-Sonderzonen zu errichten.
## Marx, Lady Gaga, Mens Health
Dem "Kulturmarxismus" der Frankfurter Schule schreibt Breivik zu, den Boden
für Multikulturalismus und den "totalitären" radikalen Feminismus bereitet
zu haben. Schon Marx habe die bürgerliche Familie zerstören und eine
"Kommune der Frauen" errichten wollen; Wilhelm Reich, Herbert Marcuse und
anderen sei es um die Errichtung des Matriarchats gegangen. Die dadurch
verursachte "Feminisierung der europäischen Kultur" sei nunmehr "fast
vollendet". Auch "die letzte Bastion der männlichen Vorherrschaft, die
Polizei und das Militär", sei bedroht. Damit nicht genug. Männermagazine
wie Mens Health propagierten den "feminisierten Mann", Frauen wie Heidi
Klum, Madonna und Lady Gaga die "Rassenmischung" und lose Sitten.
In einer Tabelle ordnet er die europäischen Länder nach "Sexualmoral",
gemessen an der Promiskuität von jungen Frauen. Am wenigsten Moral gebe es
in Norwegen, am meisten in Malta (nebenbei die alte Heimat der
Tempelritter). Obsessiv widmet er sich dabei dem Thema
Geschlechtskrankheiten. Angeblich hatte sein Stiefvater 700 Sexualkontakte,
er habe seine Mutter mit Genitalherpes angesteckt, was bei dieser eine
Gehirnentzündung zur Folge gehabt habe, seine Halbschwester sei ebenfalls
geschlechtskrank. "Meine Schwester und meine Mutter haben nicht nur mich
beschämt, sondern sich selbst und unsere Familie", schreibt er; seine
Familie sei "als Sekundäreffekt der feministisch-sexuellen Revolution"
zerbrochen. Letztlich sind damit also die Frauen wieder an allem schuld .
## Panik vor dem Kontrollverlust
Aus seinem ganzen Pamphlet spricht eine panische Angst vor Kontrollverlust,
Sexualität, Verweichlichung, Identitätsauflösung durch "Verweiblichung".
Das wiederum ist, bei allen Unterschieden, der gemeinsame Kern aller
diktatorischen oder totalitären Ideologien, von den Nazis über die
radikalen Islamisten bis hin zu ihren Gegnern, den konservativen
Islamfeinden. In seinem Standardwerk "Männerphantasien" hat Klaus Theweleit
einst beschrieben, von welch pathologischer Angst vor "Leibesvermischung"
schon Anfang des 20. Jahrhunderts die rechten Freikorpskämpfer und Nazis
getrieben waren. Sie fürchteten sich vor "Flintenweibern" wie Breivik heute
vor "Feministinnen". Die Nazis machten die "verweiblichten" Juden für den
Niedergang ihres militärisch-strammen Mannesideals verantwortlich, der
Norweger die Moslems und die Feministinnen.
## Mohammed Attas Spiegelbild
Dahinter steckt womöglich auch eine Form von Sexualneid. So scheint bei
Breivik an mehreren Stellen seines Manifestes eine heiße Bewunderung für
jene Moslems durch, die ihre "Ehre" um jeden Preis verteidigen - die
"Ehre", schreibt er, sei das Allerwichtigste. So stilisiert sich der
Attentäter von Oslo in Wort und Bild zum entsagungsvollen Mönchsritter und
kommt dabei seinem islamistischen Gegenbild Mohammed Atta sehr nahe, der,
ebenfalls von panischer Frauenangst getrieben, auch einen eliminatorischen
"Reinheitskult" pflegte. Beide, das ist eine weitere Gemeinsamkeit, sahen
sich als "Märtyrer" ihrer Sache.
Angesichts der in Norwegen ausgeprägten Egalität zwischen Geschlechtern,
Schichten und Ethnien weint Breivik einem Männlichkeitsmodell hinterher,
das sich historisch in Europa innerhalb der aufkommenden Nationalstaaten
und ihren Armeehierarchien entwickelte. Im militärischen Drill geht es um
die totale Kontrolle des Körpers und die völlige Unterdrückung von
Empathie, weil ein Soldat sonst die "Arbeit" des Tötens nicht machen
könnte. Gefühle sind "weiblich", stehen für Schwäche und Feigheit und
müssen deshalb unterdrückt werden. Mit diesem Muster arbeiten fast alle
Armeen und autoritären Ideologien der Welt - und auch der "Kontrollfreak"
Breivik.
Warum aber hat ausgerechnet Norwegen einen solchen "Kreuzritter"
hervorgebracht? Norwegen hat seit den Wikingern keinen Krieg mehr begonnen
und die skandinavische Gleichstellungspolitik gilt eigentlich als das beste
Heilmittel gegen Männlichkeitswahn und Heldenkriegertum. Aber anscheinend
schützt auch sie nicht vor individuellen Pathologien. Offenbar sah sich
Breivik gerade in dieser vergleichsweise egalitären Gesellschaft mit seinen
Gewalt- und Unterwerfungsfantasien so isoliert, dass er zum einsamen Killer
wurde.
3 Aug 2011
## AUTOREN
Ute Scheub
## TAGS
Islamophobie
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