# taz.de -- Polit-Krimi zur Islamismusdebatte: Dann brennt eine Moschee | |
> Deutschland nach einem Anschlag: Der Roman "Radikal" von Yassin | |
> Musharbash erzählt von Islamisten und Islamhassern in Berlin. Ein leider | |
> brandaktueller politischer Krimi. | |
Bild: Brennpunkt Berlin. | |
Dies ist ein politisches Buch. Äußerlich kommt "Radikal", der Debütroman | |
von Yassin Musharbash, wie ein Krimi daher. Ein gut geschriebener dazu. Mit | |
gut gesetzten Irreführungen und Cliffhangern gelingt es Musharbash, den | |
Leser über die knapp 400 Seiten zu fesseln. | |
Doch es geht ihm offensichtlich nicht nur um spannende Unterhaltung. | |
"Radikal" erzählt von Islamisten und Islamhassern. Von einem Attentat auf | |
einen Bundestagsabgeordneten. Musharbash veranschaulicht, was ein | |
Terroranschlag in Deutschland auslösen könnte. Und leitet dies ab aus | |
längst vorhandenen Strukturen. Das macht den Krimi zu einem politischen, | |
leider brandaktuellen Buch. | |
Die Geschichte spielt im Berlin von heute. Sie strotzt nur so vor aktuellen | |
Bezügen. Der Tod von Osama bin Laden findet genauso Erwähnung wie die | |
Ehec-Epidemie, die Ende Mai die Republik beschäftigte. Das Berlin im Buch | |
unterscheidet sich von der realen Hauptstadt nur in einem Punkt. | |
Musharbashs Protagonisten agieren kurz nach vorgezogenen Neuwahlen. | |
## Der Obama von Kreuzberg | |
Diese Fiktion schafft Platz für den Protagonisten des Buches. Lutfi Latif, | |
ein studierter, eloquenter Kreuzberger, Harvard-Absolvent und Kolumnist der | |
New York Times. Oder wie es im Buch heißt: "der Shootingstar der weltweiten | |
Gemeinschaft der Exilmuslime. Zumindest derer, die im Westen leben". Latif | |
zieht für die Grünen in den Bundestag ein – und wird zum Liebling der | |
Medien, die ihn zum "Obama von Kreuzberg" hochstilisieren, auch weil er | |
"genau wie der US-Präsident mit einer Anwältin verheiratet war und zwei | |
Töchter hatte". Bald schon ist Latif als Deradikalisierungsbeauftragter der | |
kommenden Bundesregierung im Gespräch. | |
Doch dann explodiert eine Bombe bei einer Sendung des Frühstücksfernsehens, | |
bei der Latif zu Gast ist. Es gibt zahlreiche Tote. Schnell, sehr schnell | |
werden die Attentäter von Politik und Medien einsortiert: Al-Qaida ist | |
verantwortlich. Schließlich gibt es sogar ein Bekennervideo. | |
Musharbash hat seinen Roman im Juni beendet. Als Anders Behring Breivik | |
Ende Juli in Oslo 76 Menschen tötete, lagen die Rezensionsexemplare von | |
"Radikal" bereits in den Redaktionen. So belegte der Anschlag in Norwegen | |
auf gruselige Weise, wie nah Musharbash mit seiner Fiktion der Realität | |
gekommen ist. Auch nach dem Attentat in Oslo waren sich Terrorismusexperten | |
der hiesigen Medien binnen wenigen Stunden einig, dass nur al-Qaida | |
dahinterstecken könne. Und dann war doch alles ganz anders. | |
Musharbash weiß, wovon er spricht. Der 36-Jährige gehört selbst zu diesen | |
Experten. Vor fünf Jahren erschien sein Sachbuch "Die neue al-Qaida. | |
Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks". Hauptberuflich arbeitet er | |
als Redakteur bei Spiegel Online, Spezialgebiet: Terrorismus. | |
Umso mehr sind Leser geneigt, Musharbashs Schilderungen von Netzwerken der | |
Islamisten in Deutschland für bare Münze zu nehmen. Auch seine Schilderung | |
von Hahnenkämpfen in der Redaktion eines fiktiven deutschen | |
Nachrichtenmagazins gewinnen vor seinem beruflichen Hintergrund besonderen | |
Reiz. | |
## Thilo heißt hier Enzo | |
Im Fokus der Geschichte steht aber weniger der Terrorismus der Fremden aus | |
dem Osten als die Macht der heimischen Islamhasser. Sumaya, die junge | |
Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten, und vor allem ihr Freund, ein | |
klandestin arbeitender Islamismusexperte, erkunden das Netzwerk radikaler | |
Islamgegner, die keineswegs nur am spinnerten Rand der Gesellschaft zu | |
finden sind. So ist es nur konsequent, dass auch Thilo Sarrazin in der | |
Figur des Enzo Graether Erwähnung findet. | |
En passant gewährt Musharbash, dessen Vorfahren zum Teil aus Jordanien | |
stammen, Einblick in die Weltsicht junger gebildeter Muslime in Berlin. | |
Doch die naheliegende Lösung, alles in Schwarz-Weiß zu beurteilen, umgeht | |
er geschickt. Eher liegen ihm die Zwischentöne, die Brüche. Etwa wenn er | |
Sumaya, deren Familie aus Palästina stammt, durch die Oranienburger Straße | |
in Berlin-Mitte schlendern lässt, eine Touristenmeile, an der es ihrer | |
Meinung nach nur ein einziges schönes Gebäude gibt: die Synagoge. Oder wenn | |
ihr Freund, der Islamismusexperte, den islamophoben Aktivisten nahekommt. | |
Räumlich, personell. Argumentativ. | |
Dann brennt eine Moschee. Ein Kommissar torpediert seine Ermittlungen. Und | |
eine Journalistin verhindert einen Text. "Es gab keine Helden in dieser | |
Geschichte", heißt es kurz vor Ende. "Sie hatten sich in den Halbschatten | |
zerren lassen." | |
Yassin Musharbash: "Radikal". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 400 | |
Seiten, 14,99 Euro | |
14 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
## TAGS | |
Islamismus | |
Islamophobie | |
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