| # taz.de -- Perfide Werbestrategie der Mediziner: Der Arzt als Chefredakteur | |
| > Man sollte skeptisch sein, wenn in der Infozeitschrift im Wartezimmer der | |
| > Arzt als Chefredakteur aufgeführt ist. Arztpraxen nehmen zweifelhafte | |
| > PR-Dienste in Anspruch. | |
| Bild: Für das Wartezimmer beim Arzt gibt es ganz spezielle Werbezeitschriften. | |
| HAMBURG taz | Viele MedizinerInnen klagen über chronische | |
| Arbeitsüberlastung, oft mit Recht. Gleichwohl scheinen manche noch genug | |
| Zeit zu haben, sich nebenbei ehrenamtlich als "Chefredakteure" zu betätigen | |
| - und PR-Firmen sind gern bereit, bezahlte Hilfe zu leisten. | |
| Ein augenfälliges Beispiel ist die Zeitschrift PraxisJournal, die | |
| eigentlich einer ausgewählten LeserInnenschaft vorbehalten sein soll: "Nur | |
| für unsere Patienten, nicht zur Weitergabe bestimmt", steht oben auf Seite | |
| 1, gleich unter dem Titel. Aber: So exklusiv wie angegeben ist dieses | |
| Medium nicht wirklich. | |
| Denn etliche Ausgaben des in der Regel achtseitigen PraxisJournals findet | |
| man auch im Internet - praktisch für jedermann downloadbar von den | |
| Homepages niedergelassener FachärztInnen, vornehmlich aus der Krebsmedizin. | |
| "Liebe Patientin, lieber Patient, aus vielen Gesprächen mit Ihnen wissen | |
| wir, dass das Gefühl der Hilflosigkeit eine der nur schwer auszuhaltenden | |
| Begleiterscheinungen jeder Krebserkrankung ist." Mit dieser einfühlsamen | |
| Ansprache begannen DoktorInnen aus Bonn, Troisdorf und Bad Honnef ihr | |
| Editorial im PraxisJournal, Ausgabe August 2009. Über dem Text abgebildet: | |
| vier ÄrztInnen, freundlich lächelnd. | |
| Was so persönlich formuliert daherkommt, konnten PatientInnen wortgleich | |
| auch in PraxisJournalen lesen, die andernorts gratis abgegeben wurden - nur | |
| die fettgedruckten Namen der angegebenen Urheber unterschieden sich | |
| jeweils. Mal traten OnkologInnen aus Darmstadt als unterzeichnende | |
| ChefredakteurInnen auf, mal solche mit Praxen in Bonn, Kassel, Magdeburg | |
| oder Velbert. | |
| Wortwörtlich stimmen indes nicht nur Editorials auf der ersten Seite | |
| überein; die Hefte enthalten auch viele identische Texte, deren Verfasser | |
| aber nicht ausdrücklich benannt werden. | |
| ## Auch Rätsel gibt es | |
| Die Themenpalette des PraxisJournals ist so bunt gestaltet wie das Blatt, | |
| sie reicht von Diagnostik- und Therapieoptionen über die Ergebnisse | |
| klinischer Studien bis zu Palliativmedizin und Patientenverfügungen. | |
| Geboten wird zudem Service, etwa Tipps zu Ernährung und Büchern, hin und | |
| wieder ist ein Rätsel abgedruckt. | |
| Mitunter blickt man auch auf Firmenanzeigen. So konnte ein Unternehmen, das | |
| Therapeutika gegen bestimmte Krebsarten anbietet, in einigen Ausgaben des | |
| PraxisJournals mit dem Slogan "Das Menschenmögliche tun" auf sich | |
| aufmerksam machen. | |
| Die ärztlichen Chefredakteure verantworten eine Reihe von Informationen, | |
| auf die viele schwer kranke Menschen Hoffnungen setzen dürften. Im | |
| PraxisJournal vom Mai 2007, herausgegeben von Troisdorfer Onkologen, | |
| erschien in der Therapierubrik ein Artikel mit der Überschrift "Trastuzumab | |
| verbessert die Prognose auch bei frühem Brustkrebs". | |
| Zum Einstieg folgte der Hinweis, dass das Medikament "besser bekannt" sei | |
| unter dem Markennamen Herceptin und dass es "bei etwa 20 bis 25 Prozent der | |
| Brustkrebspatientinnen hochwirksam" sei. Der Wirkstoff verursache "weniger | |
| Nebenwirkungen als eine Chemotherapie", berichtete der eine DIN-A4-Seite | |
| kurze Text. Zum Beleg wurden vier internationale Studien tabellarisch | |
| aufgeführt. | |
| ## Alte Geschichten | |
| Dieser Artikel, illustriert mit einer Grafik, die den Wirkmechanismus von | |
| Trastuzumab veranschaulichen sollte, schien einem Krebsmediziner aus | |
| Twistringen so gut gefallen zu haben, dass er ihn komplett und in gleicher | |
| Aufmachung in eine Ausgabe "seines" PraxisJournals übernahm. | |
| Das Heft kam allerdings erst im November 2009 heraus, also zweieinhalb | |
| Jahre später als das Vorbild der Troisdorfer Fachkollegen. Auf die | |
| naheliegende Frage, ob sich zwischenzeitlich am Stand der Wissenschaft was | |
| geändert haben könnte, ging der Text nicht ein - wie auch, es war ja der | |
| alte. | |
| "Studien von heute sind die Therapien von morgen" stellte das PraxisJournal | |
| eines Neunkirchener Onkologen im Juni 2009 fest. Der Artikel versprach, was | |
| Monate später so auch im hauseigenen Blatt von Krebsärzten aus Velbert | |
| versprochen wurde: "Wenn wir Ihnen die Teilnahme an einer Studie anbieten, | |
| können Sie jedoch sicher sein, dass die zu erwartende Nutzen-Risiko-Bilanz | |
| eindeutig positiv ist." | |
| Solche Übereinstimmungen geben Anlass zu Vermutungen: Schreiben die | |
| Doktoren etwa regelmäßig voneinander ab? Der geübten Methode kommt auf die | |
| Spur, wer gewohnt ist, auch eher Unscheinbares zu lesen und sich das | |
| Impressum der PraxisJournale genau anschaut. | |
| ## München Gesellschaft | |
| Über den Namen der Praxisinhaber, denen dort stets die "Chefredaktion" | |
| zugeschrieben wird, steht jeweils ein Copyrightvermerk einer "LUKON GmbH". | |
| Bei dieser Firma, die ansonsten im Blatt nicht weiter erwähnt wird, handelt | |
| es sich um eine Verlagsgesellschaft aus München, die ihre PR- und | |
| Redaktionsdienste sogenannten "Health Professionals" anbietet. | |
| Also lässt LUKON sich auch gern von Arztpraxen beauftragen, um für sie | |
| Druckwerke oder Internetseiten zu produzieren. Die Inhalte sollen laut | |
| Anspruch dieses Unternehmens für "interessierte Nicht-Mediziner" gut | |
| verständlich sein, denn es sind ja die Kranken, die Zielgruppe derartiger | |
| Aktivitäten sein sollen. | |
| Neben niedergelassenen FachärztInnen gehören zur LUKON-Kundschaft auch | |
| Universitätskliniken und Pharmamultis wie Novartis und GlaxoSmithKline. | |
| All das ist nicht erkennbar für KrebspatientInnen und andere NutzerInnen | |
| des PraxisJournals, die dort prägnant formulierte Artikel über Wirkstoffe, | |
| neue Gentests und Verfahren zur Krebsfrüherkennung lesen - es sei denn, sie | |
| blicken bewusst ins Impressum, werden skeptisch und recherchieren | |
| anschließend selbst mit einiger Ausdauer im Internet. | |
| ## Emotionale Bindung | |
| Das PraxisJournal ist - aufgrund seiner erstaunlichen, über die | |
| Geschäftsräume diverser OnkologInnen weit hinaus gehenden Verbreitung via | |
| Internet - eine potenziell auffällige Variante, aber beileibe kein | |
| exklusiver Fall. Es gibt reichlich PR-StrategInnen, die ÄrztInnen anraten, | |
| sich auf ähnliche Art zu präsentieren, etwa mit dem Ziel, die "emotionale | |
| Bindung der Patienten an die Praxis" zu fördern. | |
| Dass solche Praktiken heutzutage zum Alltag konkurrierender MedizinerInnen | |
| gehören, weiß auch die Bundesärztekammer. Deren Zentrale Ethikkommission | |
| publizierte im November 2010 eine öffentlich kaum beachtete, jedoch | |
| lesenswerte Stellungnahme im Deutschen Ärzteblatt - Überschrift: "Werbung | |
| und Informationstechnologie: Auswirkungen auf das Berufsbild des Arztes". | |
| Unter anderem steht da: "Unerlaubt bzw. ethisch inakzeptabel ist Werbung | |
| grundsätzlich dann, wenn sie die Unwissenheit, Leichtgläubigkeit oder | |
| Unerfahrenheit ihrer Adressaten ausnutzt." Solche - juristisch inspirierten | |
| - Papiere der Ärzterepräsentanten könnten für PatientInnen ein Anlass mehr | |
| sein, sich bei Gelegenheit schlauer zu machen. | |
| Wer beim nächsten Praxisbesuch als Zugabe zu Diagnosen, Behandlung, | |
| Arzneiverordnung und notwendiger Aufklärung eine Zeitschrift des Hauses | |
| geschenkt bekommt, sollte den Mediziner und womöglichen "Chefredakteur" | |
| bitten, verständlich zu erläutern, aus welchen Quellen er bei seinen | |
| Recherchen geschöpft hat. Und ob der Doktor gedenkt, künftig offenzulegen, | |
| wer welche Texte in "seinem" Journal geschrieben hat. | |
| 21 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Peter Görlitzer | |
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