# taz.de -- Euro-Krise: Wulff kritisiert EZB scharf | |
> Der Bundespräsident hält Maßnahmen der Währungshüter für rechtlich | |
> bedenklich. Und kritisiert Eurobonds indirekt als "falsch verstandene | |
> Solidarität". | |
Bild: Christian Wulff übt ungewöhnlich scharfe Kritik an der EZB. | |
BERLIN/FRANKFURT rtr | Bundespräsident Christian Wulff hat die Europäische | |
Zentralbank wegen des Ankaufs von Staatsanleihen ungewöhnlich scharf | |
kritisiert. Die obersten Hüter des Euro gingen über ihr Mandat hinaus, | |
sagte Wulff am Mittwoch auf einer Konferenz von | |
Wirtschaftsnobelpreisträgern in Lindau am Bodensee. "Dies kann auf Dauer | |
nicht gutgehen und kann allenfalls übergangsweise toleriert werden. Auch | |
die Währungshüter müssen schnell zu den vereinbarten Grundsätzen | |
zurückkehren." | |
Er halte den massiven Aufkauf von Anleihen einzelner Staaten durch die EZB | |
für rechtlich bedenklich, erklärte Wulff weiter. Der Artikel 123 des | |
Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbiete der EZB den | |
unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank | |
zu sichern. "Dieses Verbot ergibt nur dann Sinn, wenn die Verantwortlichen | |
es nicht durch umfangreiche Aufkäufe am Sekundärmarkt umgehen." Der | |
indirekte Kauf von Staatsanleihen sei im Übrigen noch teurer als der | |
direkte. Wieder verdienten Finanzmarktakteure Provisionen ohne jedes | |
Risiko. | |
Die EZB hat bislang für rund 110 Milliarden Euro Anleihen von Griechenland, | |
Irland, Portugal, Spanien und Italien gekauft. Das im Mai 2010 gestartete | |
und unlängst wiederbelebte Programm ist höchst umstritten. Kritik kommt vor | |
allem aus Deutschland und insbesondere von der Bundesbank. Deren Ex-Chef | |
Axel Weber hatte sich schon zu Beginn offen gegen die große Mehrheit des | |
EZB-Rats gestellt. Sein Nachfolger Jens Weidmann folgt dieser Linie. | |
Hart ins Gericht ging Wulff in Lindau auch mit der gesamten | |
Finanzwirtschaft: "Der Finanzsektor muss wieder in eine dienende Rolle | |
zurückfinden und zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung beitragen." | |
Starke und gut funktionierende Kapitalmärkte seien dafür notwendig, | |
"Risiken zu beherrschen, anstatt sie zu schaffen". Eines der | |
Grundprinzipien der Marktwirtschaft sei: "Risiko und Haftung gehen Hand in | |
Hand". Wer Risiken eingehe, könne auch scheitern. "Dieses Prinzip muss auch | |
für den Finanzsektor gelten, für kleine Anleger wie für große | |
Finanzinstitute", mahnte das Staatsoberhaupt. Hier müsse Versäumtes | |
dringend nachgeholt werden. | |
Indirekt wandte sich Wulff auch gegen die Einführung so genannter | |
Eurobonds, also gemeinsamer Staatsanleihen aller Euro-Länder. "Solidarität | |
ist wesentlicher Teil der Europäischen Idee. Es ist allerdings ein | |
Missverständnis, Solidarität allein an der Bereitschaft zu messen, andere | |
finanziell zu unterstützen, für sie zu bürgen oder gar mit ihnen gemeinsam | |
Schulden zu machen." Zu viel falsch verstandene Solidarität könne ein | |
großer moralischer Fehler sein, mahnte der Präsident: "Auch der Bürge kann | |
sich unmoralisch verhalten, wenn er die Insolvenz nur hinauszögert." | |
Gefordert sei hier die Politik, die das Heft des Handels im Interesse der | |
Menschen und der Zukunft der jungen Generation zurückgewinnen müsse, | |
forderte Wulff: "Statt klare Leitplanken zu setzen, lassen sich Regierungen | |
immer mehr von den globalen Finanzmärkten treiben. Immer öfter treffen sie | |
eilig weitreichende Entscheidungen kurz vor Börsenöffnung, anstatt den Gang | |
der Dinge längerfristig zu bestimmen." Die Politik dürfe sich nicht mehr | |
länger "am Nasenring durch die Manege führen lassen, von Banken, von | |
Rating-Agenturen oder sprunghaften Medien. Politik hat Gemeinwohl zu | |
formulieren, auch mit Mut und Kraft im Konflikt mit Einzelinteressen". | |
24 Aug 2011 | |
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