# taz.de -- Grüne Finanzpolitik: Abschied vom "Wünsch dir was" | |
> Ernüchterung bei der Finanzkommission um Fraktionschef Trittin: Wollen | |
> die Grünen 2013 regieren, müssen sie sich von lieb gewonnenen Forderungen | |
> verabschieden. | |
Bild: Das Geld, das liebe Geld! Jürgen Trittins realpolitischer Blick. | |
BERLIN taz | In den Oppositionsjahren gerieten Parteitage der Grünen oft zu | |
"Wünsch dir was"-Veranstaltungen. Munter wurden teure Vorschläge | |
beschlossen, niemand redete von Gegenfinanzierung. Da wäre zum Beispiel die | |
Werbungskostenpauschale von 2.000 Euro, die die Partei im Wahlprogramm 2009 | |
forderte. Arbeitnehmer könnten durch sie viel mehr Betriebsausgaben | |
absetzen als bisher. Eine schöne Idee, dachten die Grünen. | |
Jetzt, da sich die Partei auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet, sieht | |
es anders aus. Eine Finanzkommission der grünen FraktionschefInnen in Bund | |
und Ländern hat errechnet, was die grüne Programmatik kostet würde und aus | |
welchen Einnahmequellen sie bezahlt werden könnte. Heute will ihre | |
Konferenz das Papier offiziell absegnen. Das Urteil über die Pauschale ist | |
nüchtern: "Nicht finanzierbar", heißt es im Abschlussbericht der Kommission | |
um Fraktionschef Jürgen Trittin. Denn sie würde jährlich 6 Milliarden Euro | |
weniger Steuereinahmen bedeuten. | |
Die Grünen machen sich ehrlich, denn ohne Ehrlichkeit lässt sich kein | |
Wahlkampf erfolgreich bestreiten, glaubt Volker Ratzmann, Fraktionschef der | |
Berliner Grünen. "Bei den BürgerInnen wächst das Bewusstsein, dass | |
Nachhaltigkeit mit finanzieller Solidität zu tun hat", sagt der | |
Mitverfasser des Berichts. "Eine FDP mit ihrer radikalen | |
Steuersenkungsrhetorik hat keinen Rückhalt mehr." | |
Die Analyse fokussiert auf das Jahr der Bundestagswahl. Für 2013 sagt sie | |
eine gesamtstaatliche Finanzierungslücke von 43,3 Milliarden Euro voraus. | |
Dabei habe man mittelfristige Planungen der Länder und Angaben des | |
Bundesfinanzministeriums zugrunde gelegt, erklärt Ratzmann - langfristige | |
Auswirkungen der Schuldenkrise sind noch nicht eingerechnet. Sehr wohl | |
planen die Grünen aber mit der Schuldenbremse, die im Bund ab 2016 greift. | |
Ratzmann sagt: "Schuldenbremse heißt nun mal: Haushaltskonsolidierung | |
first." | |
## Kaum Einnahmen aus der Ökosteuer | |
Bei den Einnahmen geht das Papier davon aus, dass mit der | |
Finanztransaktionssteuer – die 12 Milliarden Euro bringen würde – erst mal | |
nicht zu rechnen ist. "Die notwendige europäische Verständigung […] steht | |
noch aus." Auch das seit Langem verfolgte Ziel, die Steuerverwaltung den | |
Ländern wegzunehmen und im Bund zu zentralisieren – was 11 Milliarden Euro | |
einspielen soll –, sei "ohne Mitwirkung der Länder nicht zu verwirklichen". | |
Und die ist kaum zu erwarten. Karoline Linnert, Grünen-Finanzsenatorin in | |
Bremen, ist etwa eine Gegnerin der Idee. Sie sagt: "Es sind illusorische | |
Erwartungen bezüglich der erhofften Mehreinnahmen im Umlauf." | |
Auch was Einnahmen aus der Ökosteuer angeht, dimmt die Kommission die | |
Erwartungen. Ursprünglich hofften die Grünen auf Einnahmen von 10 | |
Milliarden Euro. Schon die Hälfte sei ein großer Erfolg, heißt es in dem | |
Bericht. Auch deshalb, weil Vorhaben wie die Brennelementesteuer oder die | |
Flugticketabgabe schon umgesetzt sind. "Damit reduziert sich das Volumen | |
bisheriger grüner Reformvorschläge", sagt Gerhard Schick, Finanzexperte der | |
Bundestagsfraktion. | |
Um die Staatseinnahmen zu erhöhen, wird im Bericht ein höherer | |
Spitzensteuersatz vorgeschlagen. War die Partei bisher für die Anhebung des | |
Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent, wird jetzt auch eine Erhöhung | |
auf 49 Prozent zur Debatte gestellt. Strittig ist, ob die Grünen bei der | |
Forderung nach einer auf 10 Jahre befristeten Vermögensabgabe bleiben, die | |
dem Bund 100 Milliarden Euro brächte. Oder ob sie, falls sie regieren, | |
dauerhaft die Vermögensteuer wieder einführen, die den Ländern zugutekäme. | |
Hier zeichnet sich bereits ein Interessenkonflikt zwischen Grünen in Bund | |
und in Ländern ab. Die Bremerin Linnert sagt: "Ich bin für die | |
Vermögensteuer." Deutschland sei bezüglich Vermögen im OECD-Vergleich ein | |
Niedrigsteuerland. Auch NRW-Fraktionschef Reiner Priggen plädiert für die | |
weitergehende Variante. Durch Bundesbeschlüsse hätten die Länderfinanzen | |
gelitten. "Die Länder haben auf Dauer nur finanzpolitische Chancen, wenn | |
sie Einnahmeverbesserungen über den Bund bekommen", sagt Priggen. | |
Neben dieser Frage steht den Grünen jetzt eine schmerzhafte Klärung bevor. | |
Das Fazit des Finanzberichts lautet: Das strukturelle Defizit von rund 43 | |
Milliarden lässt sich mit ihren Vorschlägen um "etwas mehr als die Hälfte" | |
reduzieren. Das heißt, die Grünen werden diskutieren müssen, auf welche | |
inhaltlichen Ideen sie im Wahlkampf verzichten. Wie wichtig ihnen etwa die | |
Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ist, oder der Green New Deal. Ratzmann sagt: | |
"Die Priorisierung ist eine politische Entscheidung, die jetzt die Partei | |
treffen muss." | |
26 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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