# taz.de -- Waffenhandel im Libanon: Das Geschäft mit dem Krieg | |
> In Syrien eskaliert die Gewalt, im Libanon wächst die Nachfrage nach | |
> Waffen. Ein Besuch bei Abu Dschihad, dem größten Dealer von Beirut. | |
Bild: "Wann immer es eine Revolution gibt, blüht der Waffenschmuggel": Waffenh… | |
BEIRUT taz | Er lächelt, als er seine linke Hand vorstreckt. "Fahr mal da | |
drüber", sagt er. Unter der Haut seines Daumenballens ist ein harter | |
Knubbel zu ertasten. "Schrapnell", ruft er, lacht laut und heftig. Dann | |
zeigt er auf seinen Kiefer, den Bauch, die Hüfte, "hier auch und hier und | |
hier". Er nennt sich Abu Dschihad, Vater Dschihad. Es gibt im Libanon viele | |
Männer wie ihn; Männer, die in den Bürgerkriegsjahren 1975 bis 1990 | |
aufgewachsen sind. Deren Leben sich um den Krieg dreht, selbst in | |
Friedenszeiten. Weil sie aus dem Krieg ihren Status, ihre Identität, ihre | |
Macht beziehen. | |
Abu Dschihad ist der größte Waffenhändler von Beirut. Der 45-Jährige sitzt | |
auf dem Balkon einer Wohnung irgendwo am südlichen Rand der Stadt. Er wirkt | |
munter, fast aufgedreht, spricht in lauten, hastigen Sätzen. Alle paar | |
Minuten bricht er das Gespräch ab, weil der hektische Klingelton seines | |
Handys neue Anrufe meldet. Kunden, die Bestellungen aufgeben wollen. | |
"Sieben-Millimeter-Patronen?", schreit er in den Hörer, "es gibt keine | |
mehr! Alles ausverkauft." | |
Abu Dschihads Geschäft ist der Krieg. Und dieses Geschäft läuft im Moment | |
glänzend. In dem Maße, wie im Nachbarland Syrien die Gewalt eskaliert, | |
wächst auf dem Schwarzmarkt im Libanon die Nachfrage - von Syrern wie von | |
Libanesen. | |
## Schwappt die Gewalt aus Syrien herüber? | |
Die syrische Bevölkerung ist aus vielen verschiedenen Ethnien und | |
Konfessionen zusammengesetzt, die wiederum eng mit den Nachbarländern | |
verwoben sind. Alles, was in Syrien geschieht, hat daher automatisch | |
Auswirkungen auf den Libanon. So ist im Libanon die Angst groß, dass die | |
Gewalt aus Syrien herüberschwappt. | |
Abu Dschihads Kunden sind Privatleute, libanesische Schiiten, die auf den | |
nächsten Krieg vorbereitet sein wollen. Er verkauft nur an Leute, die aus | |
demselben politisch religiösen Lager stammen wie er selbst, also an | |
Anhänger der militanten Islamistenbewegung Hisbollah. Schließlich will er | |
nicht seine Feinde aufrüsten. | |
Noch mehr als der einheimische Bedarf aber würden derzeit Bestellungen aus | |
Syrien den Markt ankurbeln, sagt Abu Dschihad. "Wann immer es in einer | |
Gesellschaft eine Revolution gibt, blüht der Waffenschmuggel", erläutert | |
er. "Derzeit fließt eine Menge Ware nach Syrien, aus dem Libanon, aber auch | |
aus Jordanien und dem Irak." | |
## Waffenanfragen von Syrern | |
Seit mehr als fünf Monaten versucht Syriens Präsident Baschar al-Assad, die | |
Protestbewegung in seinem Land gewaltsam niederzuschlagen. Zugleich häufen | |
sich bei den libanesischen Waffenhändlern Anfragen von Syrern, die sich und | |
ihre Familien gegen die Schergen des Diktators verteidigen wollen. | |
Abu Dschihad liefert indes nicht an die syrische Opposition, da das Regime | |
in Damaskus zu den wichtigsten Förderern der Hisbollah zählt. Das machen | |
nur die sunnitischen Händlerringe im Norden, sagt er. Libanesischen Medien | |
zufolge sind in den vergangenen Wochen große Mengen von Waffen von der | |
Hafenstadt Tripoli aus nach Syrien geschleust worden. Nach einem Bericht | |
der Tageszeitung al-Akhbar hat die Armee dort erst vor wenigen Tagen 1.000 | |
Sturmgewehre sichergestellt, die offenbar in die syrische Küstenstadt | |
Banias verschifft werden sollten. | |
Abu Dschihad ist Schiit und Anhänger der militanten Islamistenbewegung | |
Hisbollah, die hier, in der südlichen Vorstadt, der Dahijeh, einen rigide | |
kontrollierten Staat im Staate errichtet hat. Es ist bereits spät, in der | |
Dunkelheit zeichnen sich hohe, dicht gedrängte Wohnblocks ab. Die bärtigen | |
Gesichter iranischer Geistlicher auf den Postern an den Fassaden sind im | |
schwachen Licht der Straßenlaternen nur als blasse Schemen zu erkennen. | |
## "In Syrien versinkt alles im Chaos" | |
Abu Dschihad steckt in einem Dilemma und überlegt, wie er es erklären soll. | |
Als Geschäftsmann freut er sich über den Boom. Denn die zusätzliche | |
Nachfrage aus dem Nachbarland treibt die Preise nach oben. Vor drei Monaten | |
noch verkaufte er eine AK-47 für 800 US-Dollar pro Stück - heute kann er | |
1.500 verlangen. Als Hisbollah-Anhänger aber macht er sich Sorgen. Denn der | |
Aufstand in Syrien bedeutet nichts Gutes für die "Partei Gottes". Neben dem | |
Iran ist Syrien der wichtigste Unterstützern der Schiitenmiliz. "In Syrien | |
versinkt alles im Chaos", murmelt er, "und sie werden die gesamte Region | |
mit sich reißen." | |
Abu Dschihad lehnt sich nach vorn, stützt die Ellenbogen auf die Knie. Er | |
steht, ebenso wie der Rest seiner Partei, fest hinter dem Regime in | |
Damaskus. Doch das heißt nicht, dass er irgendwelche Sympathien für Assad | |
hegen würde. | |
Noch so ein Dilemma. "Assad ist ein Tyrann, so wie alle anderen arabischen | |
Staatschefs auch. In den syrischen Gefängnissen reißen sie den Leuten die | |
Fingernägel heraus, stellen Sie sich das einmal vor", ruft er. "Ich | |
unterstütze das Regime nur, weil wir keine andere Wahl haben." Ohne das | |
Regime in Damaskus stünde die Hisbollah recht isoliert in der Region. Zudem | |
wäre ihr der Nachschubweg abgeschnitten. Denn die Waffen der Miliz werden | |
aus dem Iran über Syrien in den Libanon eingeschleust. | |
## Scharfe Munition | |
Abu Dschihad hat damit nichts zu tun; die Hisbollah arbeitet nicht mit | |
Mittelsmännern. Nur hin und wieder erledigt er für die Parteimiliz den | |
Transport von Raketen innerhalb des Landes. Er zückt die Pistole, die neben | |
einem Funkgerät im Bund seiner Camouflagehose steckt, und lässt das Magazin | |
in seine Hand gleiten. Es ist mit scharfer Munition geladen. Seine | |
Waffenlager liegen ganz in der Nähe, im verwachsenen Betondschungel der | |
Dahijeh. | |
Er besorgt seinen Kunden alles, womit sich schießen lässt, russische oder | |
amerikanische Maschinengewehre, Panzerfäuste und Mörsergranaten. Die Ware | |
bezieht er von Schmugglern, die Waffen aus aller Welt über die syrische | |
Grenze heranschaffen, oder von Hehlern im Libanon. "Dieses Land ist ein | |
einziges Waffenlager", meint er, auch das eine Spätfolge des Bürgerkriegs. | |
Obwohl er seine Geschäfte illegal abwickelt, braucht sich Abu Dschihad | |
nicht vor strafrechtlicher Verfolgung zu fürchten. Zwar gibt es gegen ihn | |
bereits eine ganze Reihe von Haftbefehlen - es mögen etwa 60 sein oder auch | |
100, er hat irgendwann aufgehört mitzuzählen. Er weiß aber, dass die | |
Polizei nichts gegen ihn ausrichten kann. Denn er gehört einem großen, weit | |
verzweigten Clan an, der sich bis in den Südlibanon erstreckt. Die schlecht | |
ausgestatteten Sicherheitskräfte des schwachen libanesischen Staates | |
scheuen in aller Regel davor zurück, gegen die kriminellen Aktivitäten | |
solcher Sippen vorzugehen. Zudem haben Polizei und Armee ohne Zustimmung | |
der Hisbollah keinen Zugriff auf die Bewohner der Dahijeh. | |
Nicht, dass es der Hisbollah passt, dass Männer wie Abu Dschihad in ihren | |
Hoheitsgebieten eigenmächtig mit Waffen handeln. Doch selbst die mächtige | |
Schiitenmiliz will sich nicht mit den Clans anlegen. Vermutlich ist das | |
auch der Grund, warum Abu Dschihad so offen und freimütig über seine Arbeit | |
spricht. Er zeigt mit beiden Zeigefingern auf seinen Gesprächspartner, ahmt | |
mit den Lippen das Knallen von Schusswaffen nach. Dann schüttelt ein | |
Lachkrampf seinen massigen Körper. | |
## "Ich liebe Waffen. Ich liebe den Krieg." | |
"Ich liebe diese Arbeit", jauchzt er. "Ich liebe Waffen. Ich liebe den | |
Krieg. Wenn ich schlafe, dann träume ich vom Kämpfen, und wenn ich wach | |
werde, denke ich an nichts anderes." Er ist an einer Bruchlinie der Stadt | |
aufgewachsen, in dem Viertel Kafa Aar, wo schiitische und christliche | |
Siedlungen aneinandergrenzen. Während des Bürgerkriegs tobten dort jeden | |
Tag die Schlachten der rivalisierenden Milizen. | |
Als Abu Dschihad gerade kräftig genug war, ein Gewehr zu halten, schloss er | |
sich der schiitischen Amal-Bewegung an, später trat er zur Hisbollah über. | |
Für die Hisbollah ist er in zahlreiche Gefechte gezogen, noch während des | |
Krieges sowie bei vielen Straßenschlachten und Unruhen danach. Die Angst, | |
sagt er, hat er schon vor sehr langer Zeit abgelegt: "Wann auch immer sie | |
sagen: Geh und kämpf, dann gehe ich und kämpfe." Und wenn gerade Frieden | |
herrscht, so wie im Moment, dann schnappt er sich an den Wochenenden sein | |
Sturmgewehr, fährt raus aus der Stadt und schießt in den abgelegenen | |
Bergregionen um sich. | |
Doch Abu Dschihad ist überzeugt, dass er nicht mehr lange auf einen neuen | |
Krieg warten muss. Seine Verkaufszahlen können als Gradmesser für die | |
wachsenden Spannungen gelten. | |
Hinzu kommt, dass das UN-Tribunal zur Aufklärung des Mordes an dem früheren | |
libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri gerade die Anklageschrift | |
veröffentlicht hat. Vier Mitglieder der Hisbollah sollen für den Anschlag | |
im Februar 2005 verantwortlich sein. Der Mord an einem führenden | |
sunnitischen Politiker, eine schiitische Miliz unter Tatverdacht - die | |
Aufklärung des Verbrechens droht das Land zu spalten. Der politische Arm | |
der Hisbollah dominiert derzeit die Regierung in Beirut und versucht, eine | |
weitere Zusammenarbeit des Libanon mit dem Tribunal zu verhindern. "Die | |
Leute sind wie besessen: Alle kaufen im Moment Waffen", sagt Abu Dschihad. | |
"Alle fühlen sich bedroht, alle wollen sich verteidigen können." Dann lacht | |
er, laut und heftig. | |
27 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
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