# taz.de -- Debatte Goethepreis für syrischen Autor: Ein Rebell dankt ab | |
> Der syrische Schriftsteller Adonis erhält den Goethepreis – seine Haltung | |
> zu den Ereignissen in seiner Heimat disqualifiziert ihn dafür. | |
Bild: Autor Adonis nimmt in der Frankfurter Paulskirche die Glückwünsche von … | |
Am Sonntag hat der syrische Dichter Adonis in der Frankfurter Paulskirche | |
den Goethepreis, der mit 50.000 Euro dotiert ist, entgegengenommen. Viele | |
Araber betrachten diese Ehrung jedoch mit gemischten Gefühlen. Einerseits | |
freuen sie sich, dass die Ehrung einem prominenten Vertreter der arabischen | |
Poesie und Literatur gilt, die im Westen immer noch viel zu wenig beachtet | |
wird. Auf der anderen Seite kritisieren sie, dass die Wahl jetzt, in dieser | |
Zeit des arabischen Frühlings, ausgerechnet auf Adonis gefallen ist. | |
Auch den Juroren des Goethepreises dürfte in den letzten Wochen etwas | |
unwohl mit ihrer Entscheidung geworden sein. Immerhin begründeten sie ihre | |
Wahl unter anderem damit, Adonis sei "ein leidenschaftlicher Rebell gegen | |
die geistige Erstarrung der arabischen Kultur". | |
Diesem Auswahlkriterium ist der Dichter, der seit Jahrzehnten im Libanon | |
lebt und publiziert, in den letzten Monaten längst untreu geworden. Nach | |
Jahrzehnten der Agonie haben sich die Ereignisse in der arabischen Welt in | |
den vergangenen Monaten in einem rasanten Tempo überschlagen. | |
Volksaufstände in Ägypten, Tunesien und in Libyen stürzen Diktatoren, die | |
noch vor Kurzem fest im Sattel zu sitzen schienen. Endlich gibt es Hoffnung | |
auf einen positiven Wandel in der Region. Doch es scheint, als würden die | |
Rufe nach Freiheit, die nun auch in seinem Heimatland Syrien immer stärker | |
werden, den 81-Jährigen in Verlegenheit bringen. | |
Auch in syrischen Städten gehen die Menschen seit fünf Monaten für mehr | |
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf die Straße. Doch Sicherheitskräfte | |
und die Armee gehen mit harter Hand gegen sie vor: Mehr als 2.000 | |
Zivilisten sind ihnen bis jetzt zum Opfer gefallen. Der syrische Präsident | |
Baschar al-Assad übt sich währenddessen in immer gleichlautenden | |
Reformankündigungen, die längst jede Bedeutung verloren haben. | |
## Vertrauen in Baschar al-Assad | |
Adonis tut sich schwer, eine klare Position dazu einzunehmen. Nicht, dass | |
ihm die Worte fehlen würden: In der libanesischen Tageszeitung as-Safir hat | |
er in ausführlichen Beiträgen Stellung genommen. So veröffentlichte er dort | |
einen "offenen Brief" an den Präsidenten Baschar al-Assad. Darin warf er | |
aber nicht etwa Syriens Staatsoberhaupt die Blutbäder in Daraa und in | |
anderen Städten des Landes vor. Vielmehr setzte er sich ausführlich und bis | |
ins ermüdende Detail mit den Fehlern der syrischen Regierungspartei, der | |
Baath-Partei, auseinander, die in diesem Machtkampf zwischen dem Regime und | |
der Bevölkerung aber nur eine absolute Nebenrolle spielt. | |
In seinem Artikel benennt Adonis weder Täter noch Opfer. Mehr noch, er | |
spricht Baschar al-Assad sogar das Vertrauen aus, die Fehler der | |
Vergangenheit zu korrigieren, und bezeichnet ihn gar als "gewählten" | |
Präsidenten - ausgerechnet Baschar al-Assad, der sein Amt von seinem Vater | |
Hafis nach dessen Tod im Jahr 2000 quasi geerbt hat. Weil er zum Zeitpunkt | |
seiner Machtübernahme eigentlich noch zu jung war, wurde die syrische | |
Verfassung eigens für ihn im Eiltempo geändert. Die Syrer durften diese | |
Farce dann nur noch abnicken. | |
In einem weiteren "offenen Brief", diesmal an die Opposition gerichtet, | |
ging Adonis stattdessen mit den Gegnern des Regimes hart ins Gericht. Als | |
Voraussetzung für seine Bereitschaft, die Proteste zu unterstützen, stellt | |
er Bedingungen, die zu diesem Zeitpunkt in Syrien praktisch unerfüllbar | |
sind. So fordert Adonis, die Opposition dürfe nicht nur daran arbeiten, das | |
Regime politisch zu stürzen, sondern müsse sich gleichzeitig bemühen, die | |
"kulturellen und historischen Fundamente der Diktatur" zu entsorgen. | |
## Forderungen an die Opposition | |
Damit meint er die Forderung nach einer vollständigen Trennung von Religion | |
und Staat, zwischen Stammesstrukturen und Gesellschaft. Sonst, so schreibt | |
er, würde es sich nur um einen rein oberflächlichen Machtwechsel handeln, | |
und die neuen Herrscher würden nur eine Variante des bestehenden Regimes | |
bieten. Eine grundlegende Auseinandersetzung über die Ziele der Revolte | |
aber vermisst Adonis bei den syrischen Oppositionellen und den | |
Aufständischen bis jetzt. | |
Ach was, möchte man ihm da zurufen. Denn Adonis fordert nichts weniger als | |
eine Musteropposition - und das in einem Land, in dem schon ein einziger | |
kritischer Artikel seinen Autor für viele Jahre hinter Gitter bringen kann, | |
oppositionelle Parteien systematisch zerstört und ihre Anhänger mundtot | |
gemacht wurden. In einem Land, in dem, wie gerade geschehen, ein bekannter | |
Karikaturist wie Ali Farzat brutal zusammengeschlagen wird und schon das | |
Weitererzählen von regimekritischen Witzen als "oppositionelle" Handlung | |
gilt. Adonis blendet diese Realität aus. Er erklärt die Oppositionsbewegung | |
für gescheitert, bevor sie sich überhaupt bilden konnte, und versagt ihr | |
jenes Vertrauen, das er dem Präsidenten gewährt. | |
## Von der Jugend abgehängt | |
Adonis Haltung ist symptomatisch für viele arabische Intellektuelle der | |
älteren Generation. Nicht nur er, sondern viele von ihnen hadern mit den | |
revolutionären Umbrüchen in der Region, weil sie ihr altgewohntes | |
Koordinatensystem durcheinanderwirbeln. Einst, in den Sechziger- und | |
Siebzigerjahren, hielten sie sich - als linke, panarabische Säkularisten - | |
für die Speerspitze der arabischen Aufklärung. Nun aber ist die Welt um sie | |
herum in Bewegung geraten - und sie haben keinerlei Einfluss mehr darauf. | |
Mit den jungen Aufständischen, die kein ausgefeiltes politisches Programm | |
haben, können sie nicht viel anfangen. | |
Das Mindeste aber, was man von einem Goethepreisträger Adonis jetzt | |
erwarten würde, wäre, Solidarität mit den Menschen in seiner Heimat zu | |
zeigen. Vermissen lässt er eine leidenschaftliche Parteinahme, wie er sie | |
in seinen Gedichten den Bewohnern Bagdads beim Einmarsch der Alliierten | |
Truppen im Jahre 2003 oder den Opfern des israelischen Kriegs in Gaza 2010 | |
zuteil werden ließ. Warum sich der Dichter, der sich in der Vergangenheit | |
den Wunsch nach Freiheit und Demokratie auf die Fahnen geschrieben hat, | |
beim Kampf der Syrer und Syrerinnen um genau diese Werte so schwertut, ist | |
unbegreiflich. Als "Rebell der arabischen Kultur" hat er abgedankt, als | |
Goethepreisträger ist er denkbar ungeeignet. | |
28 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Mona Naggar | |
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