| # taz.de -- Vorwahl der französischen Sozialisten: Wahlkampf der Dinosaurier | |
| > Im Kampf um die sozialistische Präsidentschaftskandidatur haben einige | |
| > Kandidaten eine ungewöhnliche Online-Strategie entwickelt: Je | |
| > rückständiger, desto besser. | |
| Bild: Lieber TV als Twitter: die sozialistischen Kandidaten in Frankreich. | |
| Arnaud Montebourg möchte französischer Präsident werden. Dafür müssten ihn | |
| die Sozialisten aber erst einmal aufstellen. Um Stimmen zu sammeln, plant | |
| Montebourg einen wöchentlichen Chat mit seinen Facebook-Anhängern. Einen | |
| Dokumentarfilm über seine Rundfahrt durch die französischen Regionen soll | |
| außerdem für das Internet produziert werden, so wie eine Reihe von | |
| Wahlkampfclips. | |
| Um ihren Kandidaten für die Präsidentenwahl 2012 zu bestimmen, organisieren | |
| die französischen Sozialisten am 9. Oktober eine "offene Vorwahl", an der | |
| nicht nur die Parteimitglieder teilnehmen dürfen, sondern auch die Bürger. | |
| Wer seine Stimme abgeben will, muss lediglich ein Bekenntnis zu den linken | |
| Werten unterzeichnen. Auch dadurch ist der Wahlkampf mehr als | |
| parteiinternes Geplänkel. | |
| Seit dem beispielhaften "E-Campaigning" von Barack Obama im Jahr 2008 wird | |
| das Internet weltweit als ein notwendiger Bestandteil jedes Wahlkampfs | |
| betrachtet. Genau wie der mit 49 Jahren als "jung" geltender Kandidat | |
| Montebourg versucht auch der 48-jährige Manuel Valls, moderne Formen der | |
| Kommunikation einzusetzen. Laut der Onlinezeitung Rue89 haben seine | |
| PR-Fachleute vor, eine Videoserie über ihn ins Netz zu stellen. | |
| "So versuchen wir, der mangelnden Präsenz der kleinen Kandidaten in den | |
| Massenmedien entgegenzuwirken" sagt Sébastien Gros, der für die Kampagne | |
| Valls' zuständig ist. Eine andere mediale Neuigkeit findet man immerhin bei | |
| Ségolène Royal, die als Sarkozys ehemalige Herausforderin der breiten Masse | |
| bereits bekannt ist. Seit Ende Juni gibt sie Interviews auf Twitter. | |
| ## Möglichst weit weg von Twitter | |
| Bei den "alten" Kandidaten gilt eine andere PR-Strategie: Sie bleiben | |
| möglichst weit weg von den sozialen Netzwerken. "Ich verabscheue Facebook | |
| und Twitter" sagt die 61-jährige Martine Aubry vor der Presse. "Solche | |
| Webseiten sind symptomatisch für unsere Gesellschaft, wo jeder eine | |
| Nabelschau betreibt. Ich mag es nicht, über meine Gefühle und mein | |
| persönliches Leben zu reden." Ihre rein informativen Twitter-Nachrichten | |
| schreibt die Parteivorsitende bekannterweise nicht selbst. | |
| François Hollandes Kampfteam setzt auch eher auf traditionelle | |
| Kommunikationsmittel, nämlich E-Mails. "Ein einfacher Newsletter lässt sich | |
| gut weiterleiten" sagt Vincent Feltesse, der für das E-Campaigning des | |
| 59-jährigen Kandidaten zuständig ist. Diese Gesinnung passt ganz gut zum | |
| rückständigen Bild der Sozialisten, das The Economist vor einigen Tagen in | |
| einem Leitartikel als [1]["Unter Dinosauren"] skizziert hat. Dem zum Trotz | |
| sind Hollande und Aubry zur Zeit Spitzenreiter in den Umfragen. | |
| Die Anwärter der Sozialisten äußern sich gern über ihren rückständigen | |
| Umgang mit dem Web. Denn das Altmodische ist eine bewusste Entscheidung. | |
| "Eine Initiative, die die Internetbenutzer super modern finden, kann von | |
| der breiten Öffentlichkeit schlecht empfangen werden." Kampagnen-Stratege | |
| Feltesse verspottet die Politiker, die zuviel Zeit auf Twitter verbrächten: | |
| "Das Publikum wählt lieber einen Kandidaten, der seine Zeit dazu benutzt, | |
| relevante Lösungsansätze für die Eurokrise, die Arbeitslosigkeit und die | |
| Unsicherheit zu finden". | |
| Auf Twitter reagiere man zu schnell und oberflächlich. "Ein | |
| Präsidentenkandidat muss dagegen langfristig denken und handeln" sagt auch | |
| Ségolène Royal. Darüber sind sich die Kommunikationsteams aller Kandidaten | |
| einig, so Rue89. "Authentisch", "nüchtern", "maßvoll" und "einfach" sind | |
| überall die Stichwörter, auch bei den internetaffineren Valls und | |
| Montebourg. Zumal eine gute Kommunikation im Internet Geld kostet und es | |
| noch nicht bewiesen ist, dass sie außerhalb der Netzgemeinde eine | |
| ausschlaggebende Wirkung hat. | |
| ## Die "Bling-bling"-Gefahr | |
| Es gibt einen Grund, warum sich alle Sozialisten unbedingt als ernst und | |
| normal profilieren wollen – "die normale Präsidentschaft" ist sogar der | |
| Motto von François Hollande. Und der Grund heißt Nicolas Sarkozy. | |
| Mit seinen 43.000 Anhängern ist das Staatsoberhaupt auf Twitter der | |
| erfolgreichste französische Politiker. Gemeinsam mit der Rolex-Uhr, den | |
| Freunden aus dem Showbusiness und der Model-Frau gehören die sozialen | |
| Netzwerken zu den Merkmalen des "Bling-bling"-Präsidenten, wie Kritiker | |
| Sarkozy nennen. Ihm wurde aufgrund seines Auftretens eine | |
| "Entpräsidentialisierung" vorgeworfen. Mit seinem informellen und sorglosen | |
| Verhalten schade er dem Amt, sagen Kritiker. | |
| Um ein Gegenbild von Sarzozy zu entwerfen, sind die Kandidaten der | |
| Sozialisten skeptisch gegenüber Twitter, Facebook und YouTube. Lieber als | |
| auf die Dinge mit Pfiff setzen sie auf die guten alten Methoden: Präsenz in | |
| den traditionellen Massenmedien und Wahlkampf vor Ort. | |
| Doch ganz ohne das Internet kommen auch sie nicht aus. Für eine effiziente | |
| Kampagne vor Ort ist es unvermeindlich. So werden bei Montebourg circa die | |
| Hälfte der neuen Aktivisten durch das Netz geworben. Sein PR-Team findet | |
| die Nutzer, die interessante Kommentare auf den Seiten hinterlassen, und | |
| schlagt ihnen vor, sich aktiv als Volontär "IRL" zu engagieren – "in real | |
| life", im wahren Leben. | |
| Der erste, der diese Methode einsetzte, hieß Barack Obama. | |
| 1 Sep 2011 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.economist.com/node/21526894 | |
| ## AUTOREN | |
| Céline Béal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Senatswahlen in Frankreich: Mehr als eine Ohrfeige für Sarkozy | |
| Das gab's noch nie: Erstmals seit der Gründung der 5. Republik beherrschen | |
| Mitte-links-Kräfte das traditionell konservative Oberhaus in Frankreich. | |
| Clearstream-Affäre in Frankreich: Freispruch für Dominique de Villepin | |
| Schlappe für Sarkozy: Ex-Regierungschef Dominique de Villepin ist in der | |
| Clearstream-Affäre erneut freigesprochen worden. Und könnte zur Konkurrenz | |
| für Sarkozy werden. | |
| Schaulaufen der Sozialisten Frankreichs: Unter dem lästigen Schatten von DSK | |
| Dominique Strausss-Kahn, der Exfavorit der Sozialisten um die | |
| Präsidentschaftskandidatur, könnte mit neuen Skandalen den Anwärtern Aubry | |
| und Hollande die Suppe versalzen. | |
| Kommentar Dominique Strauss-Kahn: Erleichterte Sozialisten | |
| Viele Sozialisten in Frankreich sind erleichtert, dass ein Comeback von | |
| Domique Stauss-Kahn wieder in weite Ferne gerückt ist. Für viele passt DSK | |
| nicht in die Partei. | |
| Vorwahl der Grünen in Frankreich: "Spätblühende" mit Volldampf | |
| Eva Joly hat die Vorentscheidung der französischen Grünen für die | |
| Präsidentschaftskandidatur gewonnen. Sie kam aus dem Nichts und verpasste | |
| die direkte Nominierung nur knapp. | |
| Kommentar Frankreichs Grüne: Les Verts werden modern | |
| Les Verts haben den Beweis ihrer Reife erbracht und wollen für voll | |
| genommen werden. Dabei können sie sich auf die Wählergunst und die | |
| Popularität neuer Gesichter berufen. |