# taz.de -- Frankreichs Ex-Präsident vor Gericht: Die Erinnerungslücken von M… | |
> Der Prozess gegen den ehemaligen Staatschef wegen illegaler | |
> Parteienfinanzierung als Bürgermeister von Paris findet ohne ihn statt. | |
> Der Angeklagte ist geistig geschwächt. | |
Bild: Fuhr am Montag nicht zu seinem Prozeß: Frankreichs Exstaatspräsident Ja… | |
PARIS taz | Vor dem Pariser Strafgericht hat Montag ein Prozess wegen | |
Unterschlagung öffentlicher Gelder zur illegalen Finanzierung politischer | |
Aktivitäten begonnen. Der Hauptangeklagte aber ließ sich entschuldigen: | |
Exstaatspräsident Jacques Chirac ist laut medizinischem Gutachten in einem | |
"geschwächten Zustand, der es ihm nicht erlaubt, auf Fragen zur | |
Vergangenheit zu antworten". Nach mehreren Hirnschlägen soll das | |
Erinnerungsvermögen des heute 78-jährigen Staatsmannes zu sehr | |
eingeschränkt sein. Er selber sei sich wegen einer "Anosognosie" seiner | |
Verletzbarkeit nicht bewusst, schrieb ein bekannter Neurologe in seiner | |
Expertise, die am Vorabend des Prozessbeginns nur wie eine Dispens klingen | |
konnte. | |
So begann der "Chirac-Prozess" ohne Chirac, dem eine Welle zusätzlicher | |
Sympathie entgegenschlägt. Die Nachsicht für den stark gealterten Rentner | |
überwiegt heute. Selbst der Sozialist François Hollande meinte, er | |
betrachte diesen Prozess, auf den man so lange gewartet hatte, als | |
schmerzlich, und niemand wolle heute Jacques Chirac etwas zuleide tun. Seit | |
rund zwanzig Jahren und bis heute sind unter und für Chirac alle Rechts- | |
und Machtmittel genutzt worden, damit diesem ein Prozess erspart bleibt. | |
Der auch in der Verfassung verankerte Gleichheitsgrundsatz der Revolution | |
von 1789 scheint für eine Person nicht zu gelten: Das Staatsoberhaupt darf | |
weder gerichtlich belangt noch gegen seinen Willen als Zeuge vorgeladen | |
werden. Auch Sozialisten haben diese Macht missbraucht, doch der | |
Widerspruch zum Gleichheitsanspruch wurde nie so anstößig ausgenutzt, wie | |
unter der Präsidentschaft von Jacques Chirac 1995 bis 2007. Chirac wurde | |
erst als Privatier von den Affären der heimlichen Parteifinanzierung | |
eingeholt. | |
Der Gaullist kumulierte vor seiner Wahl zum Staatschef die Ämter des | |
Bürgermeisters von Paris, Parteichefs sowie Premierminister oder | |
Abgeordneter. Das gab ihm nicht nur beträchtliche Macht, etwa zur Vergabe | |
öffentlicher Aufträge, es stellte ihn auch vor die Aufgabe, die aufwändigen | |
parallelen Aktivitäten zu finanzieren. Dass es dabei nicht mit lauteren | |
Dingen zuging, das pfiffen die Spatzen von Paris schon vor seinem Wahlsieg | |
von 1995 von den Dächern. Die Rede war unter anderem von dutzenden von | |
Gefälligkeitsjobs für Sympathisanten und befreundete Prominente oder eben | |
auch Scheinverträge von Parteifunktionären seines gaullistischen RPR, die | |
jedoch wie kommunale Beamte auf der Gehaltsliste der Hauptstadt standen. Er | |
selber kommentierte diese dringenden Verdächtigungen des lockeren Umgangs | |
mit Steuergeldern im Fernsehen einmal mit einem saloppen "Pscht!". | |
Wegen der Immunität vertröstete man die ungeduldige Justiz auf die Zeit | |
nach dem Mandatsende. Und dies in der offensichtlichen Erwartung, dass bis | |
dann alles verjährt sei. Dass es am Ende doch noch zu einem Prozess wegen | |
insgesamt 28 solcher Scheinjobs kommen sollte, war der Hartnäckigkeit | |
unbestechlicher Untersuchungsrichter zu verdanken. Die Staatsanwaltschaft | |
hatte bereits im Vorfeld auf einen Strafantrag verzichtet. Die Stadt Paris | |
zog ihre Klage gegen eine Entschädigung von 2,2 Millionen Euro zurück. Seit | |
dem Zweiten Weltkrieg wäre Chirac der erste Staatschef gewesen, der vor | |
einem französischer Richter hätte erscheinen sollen. Bei der | |
Möglichkeitsform bleibt es für die französische Justiz. | |
5 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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