# taz.de -- Schwarz-Gelb im Taumel: Gefährliches Unwissen | |
> SPD und Grüne applaudieren dem CDU-Finanzminister. In den | |
> Koalitionsfraktionen aber nehmen die Zweifel an Merkels Kurs zu. Doch | |
> diese basieren oft auf Unkenntnis. | |
Bild: Trotz des harschen Gegenwindes bleiben sie zuversichtlich: Finanzminister… | |
BERLIN taz | Eigentlich sollte der Finanzminister nur zum Haushalt reden. | |
Doch statt ausschließlich über Ressorttitel und Verschuldung zu referieren, | |
holte Wolfgang Schäuble grundsätzlich zur Schuldenkrise aus. "Wir dürfen | |
das politische Glück eines vereinten Europa nicht aufs Spiel setzen, nur | |
weil es selbstverständlich scheint", rief der erfahrenste Christdemokrat im | |
Kabinett am Rednerpult. Er hob hervor, wie viel Unternehmen in EU-Länder | |
exportieren, wie stark Deutschland also vom Euro profitiert, dass selbst | |
die Schweiz den Franken an ihn koppelt. | |
Es war ein flammendes Plädoyer für Europa und den Euro. Und eine | |
geharnischte Gardinenpredigt für die schwarz-gelbe Koalition. Denn während | |
selbst die Fraktionschefs von SPD und Grünen am Dienstag bei Schäubles | |
Sätzen klatschten, nimmt die Skepsis gegenüber dem Kurs der Regierung in | |
den eigenen Reihen zu. | |
Den zählbaren Beleg dafür brachten die Fraktionssitzungen von Union und FDP | |
am Montagabend. Dort ließen die Chefs Rainer Brüderle und Volker Kauder | |
probehalber über den Rettungsschirm abstimmen. Ein Stimmungsbild, wie immer | |
per Handzeichen. Während bei der FDP zwei Abgeordnete mit Nein stimmten und | |
sich vier enthielten, gab es bei der Union sieben Enthaltungen - und 12 | |
Neins. Schwarz-Gelb hat eine Mehrheit von 19 Stimmen. | |
Wieder mal stellt sich mancher in der Koalition die Frage, ob die eigene | |
Mehrheit von Kanzlerin Angela Merkel bei den Europa-Beschlüssen Ende | |
September wackelt. Zumal von den verschuldeten Nachbarn schlechte | |
Nachrichten für die auf Haushaltsdisziplin bedachten Deutschen kommen: An | |
Italiens Sparbereitschaft zweifelten führende Banker öffentlich, vergangene | |
Woche reisten Kontrolleure der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission | |
unverrichteter Dinge aus Athen wieder ab - wegen Unstimmigkeiten übers | |
Etatdefizit. | |
## Ein komplexes Thema, das viele verwirrt | |
Solche Nachrichten verschlechtern die Stimmung bei den sowieso schon | |
nervösen Abgeordneten von Schwarz-Gelb weiter. "Dass die Troika ihre Koffer | |
gepackt hat, hat das Unbehagen bei manchen Kollegen verstärkt", sagt | |
Gunther Krichbaum, CDU-Abgeordneter und Chef des Europaausschusses im | |
Parlament. Er beobachtet, dass dabei vor allem die Komplexität des Themas | |
verwirrt. | |
Ende des Monats geht es erst mal nur um eine - von den Staatschefs im Juli | |
beschlossene - Ausweitung des Rettungsschirms EFSF. Wenig später stehen | |
wichtigere Entscheidungen, etwa die über den dauerhaften Schirm ESM, an. | |
"Diese Dinge werden von fachfremden Abgeordneten manchmal nicht ausreichend | |
differenziert", sagt Krichbaum. Genau diese Vermengung, die sich aus | |
Unwissen speist, kann für Merkel gefährlich werden. | |
Dass sich ausgerechnet Wolfgang Bosbach gegen den offiziellen Kurs der | |
Kanzlerin gestellt hat und für ein Ausscheiden Griechenlands aus der | |
Eurozone plädiert, hat manchen Zweifler bestärkt. Der bisher immer | |
Merkel-treue Bosbach gilt als seriöses Schwergewicht in der Fraktion. "Die | |
Argumente dieses sehr respektierten Kollegen haben sicher einige | |
beeindruckt", sagt Unionshaushälter Norbert Barthle. Auch seien die Zweifel | |
der zwölf internen Kritiker sehr ernst zu nehmen. | |
## Keine Zweifel an schwarz-gelber Mehrheit | |
Doch weder er noch Krichbaum, beide erfahrene Parlamentarier, halten die | |
schwarz-gelbe Mehrheit für ernsthaft gefährdet. Barthle betont, dass die | |
Koalition eine deutlich stärkere Einbindung des Parlaments anstrebe. "Da | |
werden einige ihre Bedenken noch zurückstellen." Dabei blickt das Parlament | |
auf Karlsruhe: Am Donnerstag wird das Verfassungsgericht ein Urteil zu | |
Mitwirkung des Bundestags an Europa-Entscheidungen fällen, von der sich | |
alle Grundsätzliches erwarten. | |
An der eigenen Mehrheit zweifelt indes auch Peter Altmaier nicht. Der | |
joviale Saarländer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, | |
machte am Dienstag aus seinem üblichen Pressefrühstück eine arithmetische | |
Lehrstunde. "Sehr gelassen und sehr geschlossen" sieht er die Fraktion. Die | |
Zahl der Kritiker bewege sich "im völlig üblichen Rahmen". | |
Erstens sei es nicht legitim, die Enthaltungen unter den Neins zu | |
subsumieren. Zweitens sei längst nicht sicher, dass die Kritiker bei ihrer | |
Haltung blieben. Wer erst mit einer Ablehnung die eigene Position deutlich | |
mache, so Altmaiers Fazit, stimmt am Ende oft mit der Fraktionslinie. | |
## Egoistische Abgeordnete | |
Zusätzlich disziplinierend wirkt, dass im Moment weder Union noch FDP ein | |
Interesse an Neuwahlen haben. Die einen würden angesichts des rot-grünen | |
Umfragehochs in der Opposition landen, die anderen könnten gar an der | |
Fünfprozenthürde scheitern. | |
Viele Abgeordnete haben auch ein sehr egoistisches Motiv. Viele | |
Freidemokraten bekämen kein Mandat mehr. Auch diverse CDUler flögen raus, | |
selbst wenn die Partei ein Ergebnis wie 2009 holte. Damals gewannen | |
Christdemokraten Direktmandate, etwa in Nordrhein-Westfalen, die sie heute | |
wieder an die SPD verlieren würden. | |
Altmaier gab sogar vor, sich über Medienberichte, die das Ende von | |
Schwarz-Gelb herbeischrieben, zu freuen: Je mehr die Presse spekuliere, | |
desto stärker würden sich die Abgeordneten schließlich Gedanken machen, wie | |
sie abstimmen. Nun ist Beruhigung Altmaiers Job. Doch auch wenn die eigene | |
Mehrheit dieses Mal so sicher steht, wie er vorhersagt: Er kann nicht | |
wegreden, dass neue Hiobsbotschaften aus verschuldeten EU-Staaten die eh | |
schon großen Fliehkräfte in der Koalition weiter verstärken würden. Und die | |
Abstimmung über den Rettungsschirm ist - da sind sich die Fachpolitiker | |
einig - kleines Karo im Vergleich mit dem, was danach ansteht. | |
6 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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