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# taz.de -- 68. Filmfestspiele Venedig: Andere Welten und andere Gegenwarten
> Der Protagonist aus Andrea Arnolds "Wuthering Heights" fängt im Interview
> an zu weinen. Und in Abel Ferraras "4:44 Last Day on Earth" geht die Welt
> unter.
Bild: Regisseur Abel Ferrara (2. von rechts), mit der Schauspielerin Shanyn Lei…
Solomon Glave beginnt zu weinen, als eine Journalistin fragt, was ihm die
Arbeit an "Wuthering Heights" bedeutet. Der Teenager - er mag 15 Jahre alt
sein - sagt, dass es eine große Sache für ihn sei, überschwänglich dankt er
Andrea Arnold, der Regisseurin, und spricht dabei stockend. Immer wieder
verbirgt er sein Gesicht hinter seinen Händen. Der Produzent, der neben ihm
auf dem Podium sitzt, klopft ihm auf die Schulter, aber das beruhigt ihn
nicht. Der Tränenausbruch während der Pressekonferenz passt wunderbar zum
Film, einer Adaption des 1847 veröffentlichten Romans "Wuthering Heights"
von Emily Brontë.
Andrea Arnold vermisst das dichte emotionale Feld der Vorlage auf
erstaunlich sinnliche Weise. Solomon Glave spielt Heathcliff, einen Jungen,
der von der Bauernfamilie Earnshaw aufgenommen wird. Zwischen Heathcliff
und Cathy, der Tochter der Earnshaws, wächst eine tiefe Verbindung, die
zwischen kindlicher Zuneigung und Liebe oszilliert - und zum Scheitern
verurteilt ist. Im Roman erfährt man über Heathcliffs Herkunft nichts, im
Film nicht viel mehr, mit einem entscheidenden Unterschied: Arnold legt
Heathcliff als schwarze Figur an. Ihr gelingt das Kunststück, in Bildern
und Tönen und nicht über den Dialog zu erzählen.
## Taktile Erfahrung
Zum Beispiel so: "Wuthering Heights" hört genau hin, wenn Cathy ihr Pferd
aufzäumt. Wir erfahren, wie es klingt, wenn das Pferd auf das Metallstück
beißt, schnaubt und den Kopf schüttelt. "Wuthering Heights" schaut auch
genau hin - etwa wenn Heathcliff hinter Cathy auf dem Pferd sitzt:
Close-ups von Cathys Haar und der Pferdemähne erwecken den Eindruck, dass
beides im Galopp ineinander übergeht. Dieses Vermögen, sich dem Konkreten
zuzuwenden, macht den Film fast zu einer taktilen Erfahrung, und manchmal,
etwa wenn die Kamera sich den feuchten Boden der kargen Hügellandschaft
ansieht, meint man, den Geruch dieser Erde zu spüren.
Abel Ferrara lässt derweil die Welt untergehen, an einem Morgen um 4.44 Uhr
New Yorker Zeit. Sein Wettbewerbsbeitrag "4:44 Last Day on Earth" fragt:
Was macht man in den Stunden vor dem großen Knall? Und antwortet: malen,
vögeln, essen, skypen und Beziehungsgefechte austragen. Das jedenfalls tun
die beiden Hauptfiguren, Cisco (Willem Dafoe) und Tina (Natasha Lyonne),
und dass der Film dabei in den meisten Szenen eher alltäglich, fast banal
bleibt, macht ihn zu einem guten Gegengift gegen die in letzter Zeit so in
Mode gekommenen Angstlustfantasien in Sachen Apokalypse, der sich
evangelikale Christen und andere religiöse Hardliner verschreiben (und Lars
von Trier aus Kopenhagen).
Zugleich flankiert Ferraras Film eine Entwicklung, die auf dem Lido bei
jeder Filmvorführung greifbar wird. Die Konzentration aufs Hier und Jetzt
ist nicht mehr zeitgemäß. Bei Ferrara, weil in der Wohnung des Paars
zahlreiche Displays Fenster in andere Welten öffnen. Die Figuren halten
sich zwar in ihrem Apartment auf, aber sie sind nur einen Mausklick von
Ostasien entfernt - oder von einem heftigen Zoff mit der Exfrau, die wie
eine Furie auf dem Bildschirm herumtobt, während Cisco seine neue Freundin
zu beruhigen sucht.
Und so ähnlich ist es auch in den Kinosälen der Mostra. Früher galt die
Aufmerksamkeit dem Geschehen auf der Leinwand, heute bringt jeder sein
eigenes Display mit in den Saal. Ich meine das nicht kulturkritisch -
davon, dass man sich während einer Filmvorführung mit seinem iPhone
beschäftigt, geht die Welt nicht unter. Aber man spürt während dieser
Mostra sehr deutlich, wie sehr die Bilder des Netzes die des Kinos
anfechten.
8 Sep 2011
## AUTOREN
Cristina Nord
Cristina Nord
## TAGS
Görlitzer Park
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