# taz.de -- 68. Filmfestspiele Venedig: Madonna wird pomadig | |
> Madonnas Film hat von Womens Lib noch nie gehört. Roman Polanski übt sich | |
> in Boulevard mit Kate Winslet, Jodie Foster und Christoph Waltz. | |
Bild: Betulichkeit bis zum Augenreiben: Madonna, Schauspieler und Regisseur in … | |
Das elfte Gebot, pflegte Billy Wilder zu sagen, lautet: "Du sollst nicht | |
langweilen." Ausgerechnet Madonna hat dagegen verstoßen. Die Mostra zeigt | |
ihren Spielfilm "W.E." außer Konkurrenz, und er ist leider so betulich | |
geraten, dass man sich verdutzt die Augen reibt: Hat sie sich jetzt von | |
Lady Gaga allen Schneid abkaufen lassen? | |
Der Film "W.E." verwebt zwei Handlungsstränge; der erste spielt im New York | |
des Jahres 1998 und erzählt die Geschichte eines poor little rich girl | |
namens Wally Winthrop (Abbie Cornish), der zweite handelt davon, wie sich | |
die US-Amerikanerin Wallis Simpson (Andrea Riseborough) in den dreißiger | |
Jahren in den britischen Thronfolger Edward XIII. (James D'Arcy) verliebt. | |
Mit den bekannten, in dem Film "The Kings Speech" zur Genüge ausgemalten | |
Folgen: Edward XIII. heiratet Wallis Simpson, bringt damit seine Familie | |
gegen sich auf, er verzichtet auf den Thron, und sein Bruder George V. wird | |
König, obwohl er stottert und den öffentlichen Auftritt scheut. | |
Wally Wintrop ist mit einem Arzt verheiratet, der sich keine Zeit für sie | |
nimmt; sie möchte ein Kind, wird aber nicht schwanger, und kaum zieht sie | |
sich ein hübsches Dessous an, bekommt sie zu hören: "Warum willst du wie | |
eine Nutte aussehen?" Ihr Selbstbewusstsein ist so mickrig, als hätte sie | |
von Womens Lib noch nie etwas gehört; ihre übergroße Sehnsucht nach | |
Romantik projiziert sie in die Geschichte von Wallis Simpson und Edward | |
XIII. | |
Vernäht werden die beiden Ebenen immer wieder dadurch, dass ein Gegenstand | |
vor und nach dem Zeitsprung auftaucht, ein Tischtuch, eine Seifenschale, | |
Schmuckstücke, Unterwäsche. Ein wichtiger - und bei dieser Fetischisierung | |
von Objekten sehr hilfreicher - Schauplatz ist das Auktionshaus Sothebys, | |
das den Nachlass von Wallis und Edward ausstellt; die Kristallgläser, | |
Unterkleider und Zigarettenetuis machen Wally träumen. Manchmal schaut | |
Wallis Simpson in diesen Reverien vorbei und sagt so pomadige Sätze wie: | |
"Lebe dein Leben." | |
Roman Polanski hat sich an Billy Wilders Gebot gehalten. Sein 79 Minuten | |
kurzer Wettbewerbsbeitrag "Carnage" adaptiert Yasmina Rezas Theaterstück | |
"Der Gott des Gemetzels" und ist eine handwerklich gut gemachte und | |
geschickt getimte Boulevardkomödie. Kate Winslets Figur kotzt auf | |
Kunstbücher, Jodie Fosters Figur kneift die Lippen so fest zusammen, dass | |
man sie gar nicht mehr sieht, John C. Reillys Figur brüllt: " Ich bin ein | |
cholerischer Hurensohn", und Christoph Waltz Figur verformt ihren Mund zum | |
sardonischen, von Oberst Landa überlieferten Grinsen. | |
Die vier geraten aneinander, weil der Sohn des einen Paares den Sohn des | |
anderen Paares mit einem Stock verletzt hat. Zunächst gibt man sich Mühe, | |
die Angelegenheit in gegenseitigem Einvernehmen beizulegen. Doch Wut und | |
Frustrationen brechen sich schneller Bahn, als der in friedlicher Absicht | |
gereichte Espresso ausgetrunken ist. Der Wechsel der Allianzen zwischen den | |
vieren gerät etwas mechanisch, und genregemäß verwehrt Polanski den Figuren | |
jede Mehrdimensionalität. Besonders Jodie Fosters kontrollfixierte, ans | |
Gute im Menschen glaubende Penelope kommt schlecht weg. | |
Am Ende bleibt nicht viel übrig außer vier nach Strich und Faden | |
vorgeführten Figuren, ein etwas wohlfeiler Zynimsus und ein fröhlicher | |
Hamster. Doch wem das Smartphone seines Gegenübers auf die Nerven geht, für | |
den ist "Carnage" dann doch der richtige Film. Es ist nämlich ziemlich toll | |
zu sehen, wie der sonst so unerschütterliche Alan (Waltz) buchtsäblich zu | |
Boden geht, nachdem sein Telefon auf dem Grund einer Tulpenvase gelandet | |
ist. | |
2 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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