| # taz.de -- Debatte Italien: Ohne Plan und Verstand | |
| > Jetzt hat auch die Mehrheit in Italien bemerkt, dass Berlusconi dem Land | |
| > schadet. Doch die Opposition ist auf dem linken Auge weiterhin blind. | |
| Bild: Das Lächeln fällt Silvio Berlusconi sichtlich schwer. | |
| ROM taz | Eigentlich wäre das die Stunde der Opposition. Ein Italien, das | |
| sich plötzlich in einem Atemzug mit Griechenland genannt sieht, eine | |
| Regierung, die daraufhin mit immer neuen Entwürfen eines Sparprogramms das | |
| Chaos weiter schürt, woraufhin "die Märkte" den Druck erneut erhöhen, am | |
| Ende ein Sparpaket, das wieder mal die Reichen schont und die breiten | |
| Massen beutelt, dazu mit Silvio Berlusconi ein Ministerpräsident, der statt | |
| mit der Rettung des Landes exklusiv mit der Rettung der eignen Haut in den | |
| weiter überbordenden Sexskandalen beschäftigt ist. | |
| Den Beratungen des Senats über das Blut-und-Tränen-Programm kann er nicht | |
| beiwohnen, weil er stattdessen mit seinen Rechtsanwälten konferieren muss - | |
| ja eigentlich müsste Italien da doch eine auftrumpfende Opposition erleben, | |
| die ihren sicheren Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen vorbereitet. | |
| Ein Blick auf die letzten Meinungsumfragen aber liefert ein gänzlich | |
| anderes Bild. Gewiss, Berlusconi erscheint da als politisches | |
| Auslaufmodell. Die Arbeit seiner Regierung wird von nur noch gut 20 Prozent | |
| der Bürger positiv eingeschätzt, und auch die persönlichen Zustimmungswerte | |
| ausgerechnet jenes Egopopulisten, der die eigene werte Person zur | |
| Ausnahmeerscheinung und zum zentralen Wahlkampfargument hochstilisiert | |
| hatte, der sich schon einmal mit Napoleon, mit Moses oder Kaiser Justinian | |
| verglich, sind mit ebenfalls 20 Prozent völlig im Keller. Seine Partei | |
| "Volk der Freiheit" würden heute nur noch 25 bis 27 Prozent (statt über 37 | |
| Prozent bei den Parlamentswahlen 2008) wählen. | |
| Die Italiener haben also durchaus, trotz Berlusconis weiterhin | |
| unangetasteter Medienmacht, in der übergroßen Mehrheit bemerkt, dass diese | |
| Regierung und ihr Chef ein Schaden fürs Land sind. Bloß: Ein positives | |
| Urteil über die Arbeit der Opposition wollen auch nur 20 Prozent der Bürger | |
| fällen. Mit anderen Worten: Auch beim Großteil ihrer eignen Wähler fallen | |
| die Gegenspieler Berlusconis gnadenlos durch. | |
| Das negative Urteil trifft vorneweg die wichtigste Oppositionspartei, den | |
| Partito Democratico (PD) unter Pierluigi Bersani. Nur etwa 27 Prozent | |
| würden ihn heute wählen, weit weniger als die 33 Prozent von 2008 - und | |
| bloß ein hauchdünner Vorsprung vor der Berlusconi-Partei. In Spanien | |
| hingegen liegt die rechte Oppositionspartei Partido Popular laut Umfragen | |
| stolze 14 Prozentpunkte vor dem regierenden José Zapatero. | |
| ## "Trauriger Nachzügler" | |
| Zuzuschreiben hat der erst 2008 aus der Fusion zwischen den | |
| "Linksdemokraten" und der von Christdemokraten dominierten Mittepartei | |
| entstandene PD diese triste Situation vor allem sich selbst. Verzagtheit - | |
| dies war immer wieder die Chiffre des Agierens der "Democratici", eine | |
| Verzagtheit, die in dem tief verwurzelten Glauben zu rühren scheint, im | |
| "eigentlich rechten" Italien könne eine linke Kraft ihre Schlachten nur | |
| verlieren. Deshalb spreche wahrer politischer Weitblick dafür, diese | |
| Schlachten gleich gar nicht zu schlagen. | |
| Zum Beispiel die Referenden im letzten Juni, über das Nein zu Atomkraft, | |
| über das Ja zu öffentlicher Wasserversorgung, über die Ablehnung eines | |
| Immunitätsgesetzes zugunsten Berlusconis. Völlig sicher zeigte die | |
| PD-Führung sich, dass das für die Gültigkeit der Volksabstimmung nötige | |
| Quorum von 50 Prozent Wahlbeteiligung nie und nimmer erreicht werden | |
| könnte. | |
| Als politische Kamikaze mussten sich die Referendumsbetreiber aus der | |
| Zivilgesellschaft sowie aus kleineren Oppositionsparteien schmähen lassen. | |
| Als dann die Umfragen den möglichen Sieg verhießen, sprang der PD in | |
| letzter Minute auf den mit Volldampf in Fahrt geratenen Zug auf. Es ist | |
| auch das Verdienst des PD, wenn am Ende Berlusconi im Bürgervotum eine | |
| herbe Niederlage erlitt - doch eines PD, der als trauriger Nachzügler, | |
| nicht als Vorreiter auf den Plan trat. | |
| ## Opposition als moralische Verlierer | |
| Nicht besser lief es bei den Kommunalwahlen im letzten Frühjahr. Der PD war | |
| überzeugt, dass Mailand "nie zu gewinnen" war, dass das seit bald 20 Jahren | |
| von PD-Bürgermeistern missregierte Neapel dagegen "unwiederbringlich | |
| verloren" war. In Mailand hätte die Parteiführung gern einen früheren | |
| Bürgermeister aus dem Berlusconi-Lager (!) aufgestellt, ganz nach dem | |
| Motto, dass die Rechte eigentlich nur mit von der Linken vorgeschickten | |
| rechten Kandidaten zu schlagen ist. | |
| Stattdessen trat bei den Vorwahlen des Oppositionslagers der stramm linke | |
| Giuliano Pisapia an und setzte sich durch. Wieder hob die Litanei des PD | |
| an: Mit so einem Linksausleger sei die Wahl "von vornherein verloren". Doch | |
| Pisapia gewann triumphal, getragen von persönlicher Popularität ebenso wie | |
| vom Enthusiasmus tausender junger Wahlkampfhelfer. Ähnlich lief es in | |
| Neapel. Die Linke siegte - und der PD stand als moralischer Verlierer da. | |
| ## Bitte ein neues Wahlgesetz | |
| Jetzt steht wieder ein Referendum an, über das von Berlusconi gestrickte | |
| Wahlgesetz. Erneut stand der PD bei der Sammlung der nötigen Unterschriften | |
| monatelang abseits, um schließlich erst im letzten Moment aktiv zu werden. | |
| Diesmal demonstrierte er zudem, dass es einen weiteren Grund für die | |
| politische Schockstarre gibt, die ihn immer wieder trifft. Verzagt ist die | |
| Partei - und in eigentlich allen zentralen Fragen heillos gespalten. Ein | |
| neues Wahlgesetz? Gern. Doch über die Frage, ob das deutsche oder das | |
| französische Modell, das spanische oder - warum nicht? - ein schöner Mix | |
| die beste Lösung wäre, setzte sogleich ein munteres Streiten ein. | |
| Das Resultat: Eigentlich hat der PD keine Position. Keine Position auch | |
| hatte er in den letzten Tagen zu den Gewerkschaftsprotesten des größten | |
| Bundes CGIL gegen Berlusconis Sparpaket. In letzter Minute entschloss | |
| Parteichef Bersani sich persönlich zur Teilnahme - relativierte die aber | |
| sogleich mit der Bemerkung, er käme "immer, wenn gegen die Regierung | |
| protestiert wird". Schließlich will er die beiden anderen Bünde, die den | |
| Generalstreik ablehnten, nicht verprellen. | |
| Ja, eigentlich hätte heute in Italien die Stunde der Opposition geschlagen. | |
| Eine Partei aber, die nie Partei ergreift, sei es, weil sie sich nicht | |
| traut, sei es, weil sie nur selten zu gemeinsamen Positionen findet - eine | |
| solche Partei wird nie zur überzeugenden Alternative werden. | |
| 12 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neue Skandale um Italiens Premier: Berlusconi zahlt für Falschaussagen | |
| In einem Korruptionsfall ist der italienische Ministerpräsident vor Gericht | |
| erschienen. Ein anderer Vorwurf scheint Silvio Berlusconi allerdings | |
| deutlich mehr Sorgen zu bereiten. | |
| Weitere Peinlichkeiten von Berlusconi: "In der Freizeit bin ich Regierungschef" | |
| Neue Enthüllungen aus abgehörten Telefonaten: Italiens Premier soll damit | |
| geprahlt haben, dass Frauen Schlange stehen, um Sex mit ihm zu haben. Die | |
| Opposition fordert erneut seinen Rücktritt. | |
| Illegale Enthüllung von Amtsgeheimnissen: Neues Verfahren gegen Berlusconi | |
| Silvio Berlusconis Umfragewerte sind auf einem historischen Tiefststand | |
| angelangt. Darüber hinaus droht Italiens Regierungschef ein weiterer | |
| Prozess. | |
| Schuldenkrise in Europa: Italiens Sparpaket ist durch | |
| Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen kommen auf Italiens Bürger zu: Auch | |
| das Abgeordnetenhaus stimmte jetzt für Berlusconis Sparpaket. Vor dem | |
| Parlament wurde demonstriert. | |
| Italienische Staatsanleihen: China soll kaufen | |
| Geringe Nachfrage, höhere Zinsen: Italien hatte am Dienstag Mühe, | |
| Staatsanleihen an den Mann zu bringen. Die Regierung setzt nun auf | |
| Sparmaßnahmen - und chinesische Hilfe. | |
| Generalstreik in Italien: Demo gegen Berlusconis Sparpaket | |
| Berlusconi muss sich keine Sorgen wegen des Generalstreiks gegen seine | |
| Sparmaßnahmen machen – die Gewerkschaftsbünde pflegen weiter den Dialog mit | |
| der Regierung. | |
| Ausfall des Regierungschefs: Berlusconi nennt Italien "Scheißland" | |
| Er wolle sein Land, das ihn anekele, bald verlassen, sagte Silvio | |
| Berlusconi am Telefon. Jetzt beschwichtigt der Regierungschef. Es geht um | |
| Falschaussagen und mutmaßliche Erpressung. | |
| Sparpaket in Italien: Besserverdiener müssen nicht zahlen | |
| Nun werden die Gutverdiener in Italien doch verschont: Obwohl das Land | |
| enorm sparen muss, kippt die Regierung nach heftigem Widerstand die | |
| Sondersteuer für hohe Einkommen. | |
| Neues Sparpaket in Italien: Berlusconi besteuert seine Freunde | |
| Angesichts des Drucks der Finanzmärkte verabschiedet Italiens Regierung ein | |
| zweites Sparpaket. Reiche werden besteuert, Stellen abgebaut und Feiertage | |
| gestrichen. |