# taz.de -- Polittheater in Russland: Der Kreml frisst sein eigenes Kind | |
> Der Milliardär Michail Prochorow verlässt die Partei "Rechte Sache" - | |
> eine Schöpfung der Präsidialkanzlei, die Demokratie vorgaukeln sollte. Er | |
> wollte sich nicht gängeln lassen. | |
Bild: Keine Lust, eine Marionette des Kremls zu sein: Michail Prochorow. | |
MOSKAU taz | Russlands Politlandschaft gleicht einem Marionettentheater, | |
das seit Jahren ein und dasselbe Stück aufführt: die souveräne Demokratie. | |
Autor, Regisseur und Strippenzieher ist Wladislaw Surkow, der erste | |
Vize-Vorsitzende der Präsidialkanzlei. Ob Ideologie, Parteiensystem oder | |
Zivilgesellschaft - Surkow schreibt das Drehbuch. Im Mai entschied der | |
talentierte Polittechnologe eine neue Puppe ins Spiel zu bringen. Die Wahl | |
fiel auf den Oligarchen Michail Prochorow, den Anteilseigner des | |
weltgrößten Nickelherstellers, Norilsk Nickel. Forbes veranschlagt den | |
46jährigen mit einem Vermögen von 17 Milliarden Dollar. | |
Prochorow übernahm auf Geheiß des Kreml die Führung der Partei "Prawoe | |
Delo" (PD, Rechte Sache). Es war der Versuch, der vor sich hinsiechenden | |
Partei von liberaleren Vertretern aus Geschäftswelt, Intelligenz und Kultur | |
Leben einzuhauchen und sie dabei an der Leine zu halten. Vor den Dumawahlen | |
war der PD zugedacht, Russlands imitierte Demokratie wie einen echten | |
Marktplatz von Ideen aussehen zu lassen. Zudem versprach sich der | |
Kreml-Demiurg, die kritischen Stimmen jener mittelständischen Klientel zu | |
binden, die vor gesellschaftlichem Stillstand und rasantem Staatsverfall | |
nicht die Augen verschließen. | |
Das Experiment ist gescheitert. Auf dem Parteikongress am Mittwoch | |
lieferten sich Anhänger des Parteivorsitzenden und Vertreter der | |
Kremlfraktion eine Schlägerei. Nach Aussagen Prochorows hatte die | |
Kremlfraktion von der Parteibasis kein Mandat erhalten. Doch das ist nur | |
nebensächlich. Entscheidender ist, dass Prochorow schon nach kurzer Zeit | |
bei Wladislaw Surkow in Ungnade fiel und dieser ihn nicht mehr als Chef | |
dulden wollte. Gestern verließ der Milliardär mit seinen Anhängern die | |
Partei. | |
An seiner Loyalität zu Premierminister Wladimir Putin und Präsident Dmitri | |
Medwedjew hatte der geschasste Parteichef nie Zweifel aufkommen lassen. Um | |
nicht in den Geruch eines Oppositionellen zu geraten, stellte er die PD als | |
eine "alternative Partei der Macht" dar, sozusagen als Ergänzung zur | |
Staatspartei Vereinigtes Russland. | |
Beobachter vermuten, dass der Kreml zuschlug, weil die PD versuchte, auch | |
in der Wählerbasis des "Vereinigten Russland" mit linksnationalen Themen | |
Stimmen zu fangen. Die Staatspartei VR ist verunsichert, weil sie Umfragen | |
zufolge nicht mehr die Zweidrittelmehrheit erzielt. Selbst mit dem üblichen | |
massiven Wahlbetrug nicht. Vor der Demontage soll Michail Prochorow noch | |
den Beistand Putins und Medwedjews gesucht haben. Die griffen aber nicht | |
ein. Der Oligarch versprach, eine eigene Partei zu gründen, die aber zu den | |
nächsten Dumawahlen nicht mehr antreten kann. | |
Fraglich ist auch, ob der Kreml sie zulassen würde. Seine Wut konnte der | |
Oligarch nach der ersten Niederlage kaum überspielen. "In unserem Land gibt | |
es einen Puppenspieler, der das gesamte politische System privatisiert hat, | |
Surkow", sagte Prochorow und gelobte, alles für dessen Rücktritt zu tun. | |
Erst dann könne echte Politik beginnen. | |
16 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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