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# taz.de -- Doppelherrschaft in Russland: Zurück auf die Ersatzbank
> Russlands Präsident Medwedjew hat keine Akzente setzen können – die Fäden
> zieht nach wie vor Regierungschef Wladimir Putin. Er will 2012 in den
> Kreml zurück.
Bild: Spiel, Satz, Sieg für Putin? Medwedjew (l.) könnte bald wieder raus sei…
MOSKAU taz | Ausgedient, oder darf er nochmal? 2012 läuft Dmitri Medwedjews
Amtszeit ab, und noch ist nicht amtlich geklärt, wer in die Rolle des
russischen Präsidenten schlüpfen darf. Medwedjew oder Ziehvater Wladimir
Putin?
Seit 2008 führen Präsident und Premier das Land im Tandem. 2007 ersann
Putin die Doppelspitze, da die Verfassung keine dritte Amtszeit vorsieht.
Ängste, die Doppelherrschaft werde das Land in Turbulenzen stürzen,
bestätigten sich genauso wenig wie die Suche nach unversöhnlichen
Dissonanzen. Das Tandem lief wie geschmiert.
Nun darf Putin (WWP) wieder und will es auch. Damit wäre im politischen
System Russlands eigentlich alles geklärt und Wahlkampf überflüssig. Die
imitierte Demokratie simuliert unterdessen Konkurrenz.
Auf Postern erschien WWP als Agent 007, kurz darauf eroberte Medwedjew in
der Montur des "Captain Russia" die Plakatwände. Eine Armee von spärlich
verhüllten Putingirls macht sich unterdessen kostenlos beim Waschen von
Wagen russischer Produktion die Finger schmutzig und bekennt: "Für den
Premier machen wir alles." Medwedjews Gegenstreitkraft langbeiniger Frauen
verspricht hingegen, sich im Rahmen einer Antialkoholkampagne mit jedem
ausgeschütteten Glas Bier ein bisschen mehr zu entblättern.
Demokratische Kräfte setzten in den Ersatzmann einst große Erwartungen, der
bei Amtsantritt mit glasklaren Analysen und liberalem Gedankengut
aufhorchen ließ. Dem Rechtsnihilismus den Boden zu entziehen, versprach er
und benannte die Mängel in Staat und Gesellschaft. Wer wollte, konnte es
als Kritik am Putinismus deuten. Der Appell zu Modernisierung wurde zum
Mantra der Ära Medwedjew.
Nach drei Jahren fällt die Bilanz nüchtern aus. Rechtsnihilismus und
staatliche Willkür nahmen noch zu. Das Bekenntnis zu mehr Demokratie
gipfelt darin, dass auch bei den nächsten Dumawahlen keine echte Opposition
zugelassen ist. Medwedjew setzte Putins Linie unbeirrt fort.
## Warum die Kopie, wenn das Original zu haben ist?
Beobachter ließen zunächst Langmut walten: Der Präsident wolle verändern,
dürfe es aber nicht. Von 75 leitenden Ministerialbürokraten zählen am Ende
der Amtszeit zwei zu seinem Team. Inzwischen wich die Illusion der
Einsicht: Das Zweiergespann bedient nur unterschiedliche Klientel. Putin
die einfacheren Traditionalisten, Medwedjew Intelligenz, aufgeklärtere
Geschäftswelt und den Westen. Gleichwohl hat der Kremlchef Gefallen am Amt
gefunden und würde gern bleiben. Doch warum sollte der Wähler auf die Kopie
setzen, wenn das Original zur Verfügung steht? Nach elf Jahren Putinismus
zeichnen sich allerdings die systemischen Schwächen des vormodernen
Lenkungsmechanismus ab.
Die Führung steuert das Reich im "Handbetrieb". Brennt es, eilen Präsident
oder Premier an die Brandherde, weil niemand Verantwortung übernimmt.
Planung über den Tag hinaus ist nicht möglich, während die Unzufriedenheit
der Bevölkerung wächst. Sie protestiert nicht, verlässt stattdessen
stillschweigend - wie eine Million gut ausgebildeter Bürger in den letzten
Jahren - das Land in Richtung Westen. Bei Regionalwahlen 2011 erreichte die
Staatspartei Vereinigtes Russland (VR) trotz Manipulation kaum noch 40
Prozent.
In weite Ferne rückte daher das Ziel, bei den Dumawahlen im Dezember eine
Zweidrittelmehrheit zu erzielen. Zwar können Wahlhelfer die "bestellten"
Ergebnisse einbringen. Doch der Betrug ließe sich nicht kaschieren, und
gefälschte Wahlen lösten in einigen postsowjetischen Staaten Revolutionen
aus.
Die beiden Frontfiguren werden mit dem korrupten System nicht persönlich in
Verbindung gebracht. Aber auch ihre Popularität sinkt, und dem
Herrschaftsmodell entgleitet die Legitimität. Um dem entgegenzuwirken, rief
Premier Putin die Allrussische Volksfront (AVF) ins Leben. Sie soll der VR
neuen Geist einhauchen. Die Mobilisierungsfunktion ist nicht zu übersehen.
Gegen wen indes mobil gemacht wird und worin die Bedrohung besteht, bleibt
ein Rätsel. Die Methode erinnert an sowjetische Vorbilder: Post und
Eisenbahn, Rentnerverband, Bauernbewegung und "Russlands Blondinen" reihten
sich schon ein. 500 Organisationen gehören der simulierten "Bewegung"
bereits an, die dem nationalen "Lider" Putin verpflichtet sind.
Das war auch das Ziel. Wer sich weigert, läuft Gefahr, nationales Interesse
zu verraten. Die Idee der Nationalen Front (NF) brachte Exspion Putin aus
der DDR mit. Dort sollte die Front die Beteiligung gesellschaftlicher
Organisationen am politischen Leben garantieren. Tatsächlich sicherte sie
die Führungsrolle der SED. Eines ist klar: Das Duumvirat gehört der
Geschichte an.
12 Aug 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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