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# taz.de -- Pseudo-Demokratie in Russland: Operation Machtwechsel
> Auf Präsident Dmitri Medwedjew folgt im nächsten Jahr der jetzige
> Regierungschef Wladimir Putin. Läuft alles nach Plan, wird er Russland
> bis 2024 führen.
Bild: Rollenverteilung klar geregelt: Noch Regierungschef Wladimir Putin (l.) u…
MOSKAU taz | Unter den 10.000 Delegierten und Gästen des Parteitages der
Partei Vereinigtes Russland in Moskau brach stürmischer Beifall aus, als
Präsident Dmitri Medwedjew am Samstag das Rätsel löste: "Ich schlage dem
Parteitag Wladimir Putin als Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen
vor." Medwedjew schluckte und es schien, als sei er den Tränen nahe. Auf
dem Tandem Putin/Medwedjew, das seit 2008 das Land führte, werden die
Plätze getauscht.
Medwedjew wird Vereinigtes Russland bei den Duma-Wahlen im Dezember
anführen und dann als Premierminister seinem Ziehvater Putin zur Verfügung
stehen. Als Soldat der Putin-Partei kehrt er ins Glied zurück. Medwedjew,
den Wladimir Putin 2008 in den Kreml schickte, war damit nicht mehr als ein
Stellvertreter.
Die Verfassung erlaubt dem Präsidenten zwar nur zwei Amtsperioden
hintereinander, doch jetzt, nach vier Jahren Pause, darf Putin wieder und
das für zwölf Jahre. Denn unter Medwedjew wurde die Amtszeit des
Staatsoberhaupts von vier auf sechs Jahre verlängert. Läuft alles nach
Plan, wird Wladimir Putin, der am 7. Oktober 59 Jahre alt wird, Russland
bis 2024 führen.
Die Ära Putin würde dann ein Vierteljahrhundert umfassen und Moskau wäre
nach einem Intermezzo unter Boris Jelzin zur Tradition zurückgekehrt, die
keinen demokratischen Führungswechsel vorsieht. Nur ein Putsch innerhalb
der Elite oder das Ableben des Machthabers regeln diese Personalie.
## Putins Machtvertikale
Wladimir Putin trat 2000 das Präsidentenamt mit dem Ziel an, den Staat
wieder handlungsfähig zu machen. Mit der Errichtung der "Machtvertikale",
die die Zentralisierung aller Zuständigkeiten im Kreml vorsah, hatte der
Präsident zunächst Erfolg. Die Bevölkerung schätzte den zupackenden
Staatschef, der versprach, Ordnung zu schaffen.
Die zweite Amtsperiode verkaufte Putin den Wählern unter dem Motto "Erfolge
ausbauen und Lebensstandard erhöhen". Dabei konnte sich der Kreml auf
Einnahmen aus dem Rohstoffsektor stützen. Auch in der Ära Medwedjew waren
Stabilität und Kontinuität Leitmotiv. Die Wirtschaftskrise machte jedoch
deutlich, dass sich Russlands Gesellschaftsvertrag nicht mehr so problemlos
umsetzen ließ wie in den Vorjahren.
Der Kontrakt sah vor: Die Politik hebt den Lebensstandard, der Bürger
verzichtet im Gegenzug auf Mitwirkung. Der Kreml hat die Brüchigkeit des
Bündnisses erkannt. Auf Unzufriedenheit vor allem der besser qualifizierten
Bürger antwortete Medwedjew mit einer Vielzahl von Initiativen, die
Modernisierungsbereitschaft beweisen sollten - bislang ohne Erfolg. Nur
eines wurde deutlich: Staat und Gesellschaft sind von der Modernisierung
ausgenommen. Findet Erneuerung statt, dann nur auf der technisch
instrumentellen Seite des maroden Staatswesens. Russlands Reformen sollen
nicht verändern, sondern konservieren.
## Die "Vertikale"
Der Ämtertausch sendet überdies das Signal aus, dass die ohnehin
halbherzige Modernisierung nun ad acta gelegt wird und die Elite weiter auf
Rohstoffeinnahmen setzt. Doch Putins Rezept der "Vertikale" hat sich längst
als ineffektiv erwiesen. Schon jetzt steuert die Führung das Land im
"Handbetrieb". Brennt es irgendwo, eilen Präsident oder Premier herbei, da
niemand sonst mehr Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig wächst die
Unzufriedenheit, viele verlassen das Land Richtung Westen. Mehr als eine
Million gut ausgebildeter Bürger waren es in den letzten Jahren.
Finanzminister Alexej Kudrin, der sich derzeit auf dem Treffen der
G-20-Finanzminister in Washington befindet, kündigte am Sonntag an:
"Aufgrund einer Reihe von Differenzen schließe ich derzeit einen möglichen
Ministerposten unter Dmitri Medwedjew aus." Das Regierungsmitglied
kritisierte das Aufstocken der Militärausgaben, was Staatshaushalt und
Wirtschaft stark belaste. Das Land werde weiter stark von Ölexporten
abhängen.
Expräsident Michail Gorbatschow zeigte sich skeptisch. "Wenn der künftige
Präsident nur am Machterhalt interessiert sein sollte, werden dies für
Russland sechs verlorene Jahre", sagte der 80-Jährige am Sonntag.
Verbittert reagierte einer der engsten Mitarbeiter Medwedjews. "Dies ist
kein Grund zur Freude", schrieb Präsidentenberater Arkadi Dworkowitsch bei
Twitter. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, "auf einen Sportkanal
umzuschalten".
25 Sep 2011
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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