# taz.de -- Debatte Internationaler Währungsfonds: Klug und unbequem | |
> Christine Lagarde tritt jetzt aus dem Schatten ihres Vorgängers | |
> Strauss-Kahn heraus. Und sie profiliert sich - im Widerspruch zum | |
> deutschen Sparkurs. | |
Der IWF gehört zu den Krisengewinnlern. War der Fonds vor dem Crash noch | |
selbst in der Krise, weil die traditionelle Kundschaft - Schwellen- und | |
Entwicklungsländer - ihre Kredite zurückgezahlt und sich damit den Auflagen | |
aus Washington entzogen hatte, so war er plötzlich wieder groß im Geschäft, | |
als Island, Ungarn, Lettland, die Ukraine und schließlich auch Griechenland | |
vor dem Bankrott gerettet werden mussten. | |
Der damalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hatte die Gunst der Stunde | |
sofort erkannt und sein Talent als Kommunikator und seine Kompetenz als | |
Ökonom in die Waagschale geworfen, um den Fonds neu zu positionieren. So | |
machte er den IWF zum informellen Exekutivarm der G 20 und nutzte die | |
Gelegenheit, einige Kurskorrekturen an dessen bisher dogmatisch | |
neoliberalen Ausrichtung einzuleiten. | |
Die Überraschung war groß, als unter den Strukturanpassungsauflagen für die | |
Ukraine eine Erhöhung (!) der Sozialausgaben zu finden war. Bis dahin | |
liefen die Konditionen immer gnadenlos auf Sozialabbau hinaus. Auch wurde | |
ein neues Kreditfenster ohne direkte Auflagen geschaffen - wenn auch nur | |
für Länder, die ohnehin schon auf Austeritätskurs lagen. | |
## IWF nahm Attac-Positionen auf | |
Zudem stimmte Strauss-Kahn kritische Töne an, wie man sie bis dahin eher | |
bei Attac als beim IWF vermutet. In der letzten großen Rede vor seinem | |
Sturz stellte er das Scheitern von Neoklassik und Monetarismus fest - drei | |
Jahrzehnte lang das ökonomische Leitbild für den IWF - und bezeichnete die | |
soziale Ungleichheit als "eine der 'stillen' Ursachen der Krise". | |
Die Praxis sah allerdings nicht immer so reformfreudig aus. So sind zum | |
Beispiel die Konditionen für Griechenland genauso brutal wie jene in den | |
90er Jahren für Argentinien und andere hochverschuldete Länder. Aber | |
schließlich kann man eine so große und komplexe Institution wie den IWF | |
nicht über Nacht umkrempeln. Strauss-Kahn repräsentierte jenen Teil der | |
Funktionseliten, der angefangen hat, wirklich Lehren aus der Krise zu | |
ziehen. Er markierte damit auch im IWF die Spaltungslinien, die die Krise | |
innerhalb des Führungspersonals des Westens erzeugt hat. | |
Von Christine Lagarde dürften allzu kritische Töne zur neoliberalen | |
Vergangenheit des IWF dagegen nicht zu erwarten sein. Während ihr Vorgänger | |
aus der sozialistischen Partei Frankreichs kommt (wobei er allerdings eher | |
dem Typus "New Labour" von Tony Blair oder Gerhard Schröder zuzurechnen | |
ist), war sie Mitglied der konservativen Regierung Sarkozys, die sich in | |
den letzten zwei Jahren immer wieder für neoliberale Reformen starkgemacht | |
hat. Nicht immer erfolglos, wie etwa im Fall der Erhöhung des | |
Renteneintrittsalters. Verteilungsfragen und Soziales dürfte daher auch im | |
IWF nicht zu ihren Prioritäten zählen. | |
## Lagarde auf Konfrontationskurs | |
Auch ist die neue IWF-Chefin von Beruf Juristin und nicht Ökonomin. Selbst | |
wenn sie sich in ihrer Zeit als Ministerin in Paris einige ökonomische | |
Kenntnisse angeeignet haben dürfte, macht sie ihr beruflicher Hintergrund | |
abhängiger von Beratung aus dem IWF, insbesondere dem Sekretariat. Dieses | |
jedoch ist seit jeher von den USA dominiert. Allerdings wäre es verfrüht, | |
daraus eine proamerikanische Parteinahme abzuleiten. | |
Bei der internationalen Konferenz der Notenbanker in dem amerikanischen | |
Wintersportort Jackson Hole am 27. August hatte sie ihren ersten großen | |
Auftritt, der durchaus spektakulär ausfiel. Sie warnte vor der neuen | |
herannahenden Krisenwelle und kritisierte, dass die Regulierung der | |
Finanzmärkte nur schleppend und unvollkommen vorankommt. Sie wies darauf | |
hin, dass viele europäische Banken nicht ausreichend kapitalisiert sind, um | |
einem erneuten Schock zu widerstehen. | |
Das brachte ihr massive Kritik aus Europa ein. Denn sie desavouierte damit | |
die rosa-roten Ergebnisse des Stresstests für die Banken, den die | |
EU-Kommission kurz zuvor veröffentlicht hatte. Zahlreiche Kommentatoren | |
interpretierten ihre Rede als Versuch, das Image besonderer | |
Europafreundlichkeit abzustreifen. Allerdings kann man das auch genau | |
umgekehrt sehen. Da ihre Analyse in der Sache zutreffend ist, war es ein | |
Freundschaftsdienst an den Europäern, sie aus ihren Illusionen zu reißen | |
und Klartext zu reden. Außerdem hat sie die Probleme der USA ebenso | |
unmissverständlich angesprochen wie die der EU. | |
Dass sie sich bei der Bundesregierung nicht gerade beliebt gemacht hat, ist | |
nicht verwunderlich. Stört sie doch das Hochgefühl vom neuen deutschen | |
Wirtschaftswunder, wenn sie dessen baldiges Ende ankündigt. Das ist das Los | |
der Kassandra: Sie spricht die unbequemen Wahrheiten aus, deshalb hört man | |
nicht auf sie. | |
## IWF fordert Konjunkturhilfen | |
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Bundesregierung über Lagarde | |
ärgert. Schon die Zusammenarbeit mit Wolfgang Schäuble im Management der | |
Eurokrise war nicht reibungslos. So vertrat sie beharrlich die französische | |
Linie einer europäischen Wirtschaftsregierung, bis Merkel ihren Widerstand | |
dagegen aufgab. Im März 2010 kritisierte sie auch die deutschen | |
Handelsbilanzüberschüsse, den ganzen Stolz des Vize-Exportweltmeisters. | |
Auch mit ihrem "Aktionsplan", den Lagarde bei der Jahrestagung von IWF und | |
Weltbank am Wochenende vorstellte, widerspricht sie der deutschen Linie. | |
Während Berlin, aber auch die Niederlande, Österreich und Finnland auf | |
einen strikten Sparkurs setzen und bei Griechenland jetzt sogar noch | |
strengere Sparmaßnahmen draufsatteln, hat die IWF-Chefin erkannt, dass man | |
Länder auch totsparen kann. Ausdrücklich warnt sie davor, "den Gürtel | |
drastisch enger zu schnallen". Stattdessen plädiert sie für einen Mix aus | |
kurzfristiger Konjunkturstimulierung und mittelfristiger Konsolidierung. | |
Inflation sieht sie gegenwärtig ausdrücklich nicht als Problem. | |
Für die gefährlichste Bedrohung hält sie dagegen einen erneuten Absturz der | |
EU in die Rezession. Der Aktionsplan soll eine solche Katastrophe | |
verhindern. Sie würde nicht nur die ganze Weltwirtschaft mit sich reißen, | |
sondern das Chaos in der EU endgültig unbeherrschbar machen. Ob der Euro | |
das überlebt, ist alles andere als sicher. So ist zu hoffen, dass die | |
Bundesregierung in der gegenwärtigen Lage dem Rat der IWF-Chefin folgt. | |
27 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Peter Wahl | |
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