# taz.de -- Bundesamt für Verfassungsschutz: Alte Nazis als Kommunistenjäger | |
> Das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet seine braune Vergangenheit | |
> auf. Wissenschaftler untersuchen, wie Nazis nach dem Krieg Karriere | |
> gemacht haben. | |
Bild: "Besser jetzt als gar nicht", sagte BfV-Präsident Heinz Fromm. | |
KÖLN taz | Dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) leistete Karl-Heinz | |
Siemens wertvolle Dienste. Bis ins Zentralbüro der westdeutschen FDJ hatte | |
er sich eingeschlichen. Auch nach dem Verbot der KPD-nahen | |
Jugendorganisation 1951 war er weiter ganz nah dran an den Staatsfeinden. | |
Bis 1953 lieferte Siemens aus erster Hand alles, was der Nachrichtendienst | |
über die illegalen Aktivitäten der Jungkommunisten wissen wollte. | |
Dann stellte er sich der Bundesanwaltschaft als Belastungszeuge gegen seine | |
vermeintlichen Genossen zur Verfügung. Nicht wenigen kostete das ihre | |
Freiheit. 1960 durfte Siemens endlich ganz offiziell beim BfV anheuern: als | |
Oberregierungsrat in der für Linksradikalismus zuständigen Abteilung III. | |
Dass es solange bis zur Festanstellung dauerte, hatte einen schlichten | |
Grund: Sein Handwerk als Kommunistenjäger hatte Siemens als | |
SS-Obersturmführer in der Leibstandarte Adolf Hitler gelernt. Solche allzu | |
offensichtlich schlecht beleumundete Leute wurden in den ersten Jahren | |
lieber zunächst nur als "freie Mitarbeiter" beschäftigt, "weil man die | |
Tatsache der Belastung doch immerhin zu respektieren hatte", wie es der | |
langjährige BfV-Präsident Hubert Schrübbers Mitte der Sechziger Jahre | |
feinsinnig formulierte. | |
Wie konnten Antidemokraten zu Verfassungsschützern werden? | |
Dieser Frage wollen Constantin Goschler und Michael Wala vom Historischen | |
Institut der Ruhr-Universität Bochum in den kommenden drei Jahren | |
nachgehen. Die beiden Professoren wurden auserkoren, die | |
"Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950 bis | |
1975 unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter | |
in der Gründungsphase" zu erforschen. Damit stellt sich nun auch der | |
Inlandsgeheimdienst 61 Jahre nach seiner Gründung in einen Reigen mit dem | |
BKA und dem BND, die schon etwas früher damit begonnen haben, ihre | |
"NS-Bezüge" aufarbeiten zu lassen. | |
## Erstes Gutachten kam zu wenig Ergebnissen | |
"Besser jetzt als gar nicht", sagte BfV-Präsident Heinz Fromm am Dienstag | |
bei der Vorstellung des Forschungsprojekts in Köln. Fromm versicherte, die | |
Wissenschaftler würden "in keiner Weise von uns beeinflusst". Goschler und | |
Wala sollen Zugang zu allen Akten erhalten, auch den als geheim | |
klassifizierten. Sofern sie denn noch vorhanden sind. Etliches wurde längst | |
vernichtet. Was sie anschließend publizieren dürfen, werden sie allerdings | |
auch erst mit der Behörde besprechen müssen. "Da wird es mutmaßlich | |
irgendwelche Grenzen geben", räumte Michael Wala ein. | |
Es gab schon einmal eine Untersuchung möglicher NS-Verstrickungen in der | |
Kölner Behörde. Im Zuge eines Abhörskandals gab der BfV-Mitarbeiter Werner | |
Pätsch 1963 an, im Bundesamt seien Seilschaften ehemaliger SSler am Werke. | |
Die Bundesregierung sah sich gezwungen, den ehemaligen Präsidenten des | |
Oberlandesgerichts Karlsruhe, Max Silberstein, mit der Überprüfung der | |
Vorwürfe zu beauftragen. Silberstein wurde zwar fündig, schätzte in seinem | |
gefälligen Gutachten 1964 allerdings nur 16 von insgesamt 865 Mitarbeitern | |
als NS-belastet ein - was, wenn es denn gestimmt hätte, im Vergleich zu BKA | |
und BND eine äußerst niedrige Quote gewesen wäre. | |
Der damalige Verfassungsschutzpräsident Hubert Schrübbers gehörte nicht | |
dazu. Ihm bescheinigte Silberstein vielmehr, er sei "eine voll integre | |
Persönlichkeit". Acht Jahre später kam heraus, dass das eine gewagte | |
Bewertung war: Der SA-Mann, Sturm Münster, hatte ab 1939 als Staatsanwalt | |
in politischen Prozessen gegen Kommunisten und Sozialdemokraten drakonische | |
Strafen für Bagatelldelikte gefordert. | |
An seiner Tätigkeit für die NS-Justiz konnte Schrübbers trotzdem auch | |
nachträglich "nichts Unsittliches entdecken". 1972 wurde er in den | |
vorzeitigen Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger Günther Nollau besaß | |
ebenfalls eine braune Vergangenheit: der promovierte Jurist war 1942 in die | |
NSDAP eingetreten. Schrübbers starb 1979, Nollau 1991. Auch ansonsten | |
dürfte wohl kaum mehr ein NS-belasteter früherer | |
Verfassungsschutzmitarbeiter am Leben sein. | |
Der heutige BfV-Präsident Heinz Fromm hält das für einen Vorteil. Ohne | |
persönliche Betroffenheiten könne mit "größerer Gelassenheit" den | |
Ergebnissen von Wala und Goschlers Untersuchungen entgegengesehen werden. | |
Fromm leitet seit Juni 2000 die in der Kölner Merianstraße ansässige | |
Behörde. Bereits bei seinem Amtsantritt habe er darüber nachgedacht, die | |
braunen Flecken des Bundesamtes aufarbeiten zu lassen. Es sei aber | |
„wahrscheinlich kein Zufall“, dass es nicht schon damals dazu gekommen ist, | |
sagte der 63-jährige Sozialdemokrat. "Möglicherweise war die Zeit noch | |
nicht reif." | |
28 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Schwerpunkt 9/11 | |
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