# taz.de -- Nach der Revolution in Ägypten: Frust statt Freiheit auf dem Tahrir | |
> In Kairo geht die Demokratiebewegung wieder auf die Straße – jetzt gegen | |
> das herrschende Militär. Denn dieses kehrt zunehmend zurück zu den | |
> Methoden Mubaraks. | |
Bild: Protest auf dem Tahrirplatz in Kairo: Gegen das Militär und die Notstand… | |
KAIRO taz | Es hätte ein Freudentag werden sollen: Am 30. September, hatte | |
das ägyptische Militär angekündigt, als es nach Mubaraks Rücktritt im | |
Februar die Macht übernahm, werde das Notstandsgesetz endgültig aufgehoben. | |
Es galt seit 30 Jahren, seit der Revolution war es jedoch quasi ausgesetzt. | |
Doch am 30. September herrscht auf dem Tahrirplatz alles andere als | |
Freudenstimmung. | |
Am frühen Nachmittag sammeln sich die ersten Gruppen mit Transparenten und | |
Sprechchören: Gegen das Notstandsgesetz, das seit zwei Wochen wieder gilt. | |
Gegen die Änderung des Wahlgesetzes. Und gegen die andauernde | |
Militärherrschaft und die mögliche Kandidatur von Armeechef Tantawi als | |
Präsident. | |
Die Stimmung ist angespannt in Kairo. Nach dem Angriff auf die israelische | |
Botschaft vor drei Wochen, der, wie Videos belegten, vom Militär | |
offensichtlich geduldet oder gar initiiert wurde, hat das Militär das | |
Notstandsgesetz am 10. September wieder voll in Kraft gesetzt. | |
Demonstrationen sind nur mit Genehmigung erlaubt, die Polizei kann ohne | |
Begründung Verdächtige verhaften. | |
"Es ist wieder wie vorher", sagt ein Aktivist. "Notstandsgesetz, | |
willkürlich Verhaftungen, Pressezensur. Wofür haben wir eine Revolution | |
gemacht?" Arbeiter und Angestellte zahlreicher Unternehmen sind aus Protest | |
in den Streik getreten, die bereits streikenden Lehrer und | |
Universitätsdozenten weigern sich, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren. | |
Fast täglich ziehen kleinere und größere Demonstrationen durch Kairos | |
Innenstadt. | |
"Ob in Anzug oder Unterhose - wir sagen nein zur Militärherrschaft!", rufen | |
die Demonstrierenden auf dem Tahrirplatz am Freitag. Sie spielen auf einen | |
Besuch von Armeechef Hussein Tantawi in der Kairoer Innenstadt am Montag | |
an: Zum ersten Mal seit Jahrzehnten war Tantawi nicht in Uniform, sondern | |
im Anzug durch die Straßen gegangen, hatte Bürgern die Hand geschüttelt und | |
mit ihnen diskutiert. | |
Die Staatsmedien berichteten ausführlich, unter Aktivisten wie in der | |
liberalen Presse wurde der Auftritt als Beweis gesehen, dass Tantawi plane, | |
als Präsident zu kandidieren. | |
## Wahlen verschoben | |
Zeitgleich meldete die Zeitung al-Shuruq, die Präsidentschaftswahlen würden | |
auf Ende 2012 verschoben. Dies wurde offiziell bisher nicht bestätigt. | |
Dafür gab das Militär am Dienstag einen Termin für die Parlamentswahlen | |
bekannt. | |
Sie hätten eigentlich im September stattfinden sollen. Die Wahlen sollen | |
nun in drei Runden am 28. November, 14. Dezember und 3. Januar stattfinden, | |
jeweils in einer anderen Region. Das weniger bedeutsame Oberhaus soll im | |
Januar gewählt werden. | |
Bereits vor der Terminankündigung waren Zweifel laut geworden, wie | |
angesichts des geltenden Notstands und harter Pressezensur freie Wahlen | |
stattfinden sollen. Am Donnerstag stürmten Polizisten in Zivil zum zweiten | |
Mal in zwei Wochen das Kairoer Büro des TV-Senders al-Dschasira, | |
beschlagnahmten Ausrüstung und nahmen einen Journalisten fest. | |
Zeitgleich wurde ein Fax öffentlich, mit dem der Militärrat Medien | |
verbietet, über das Militär betreffende Angelegenheiten ohne dessen | |
Genehmigung zu schreiben. | |
## "Unabhängige" Kandidaten | |
Ein Drittel der Parlamentssitze soll jetzt für nicht näher benannte | |
"unabhängige" Kandidaten reserviert sein. Unter Politikern, Parteien und | |
Aktivisten löste die Ankündigung Befürchtungen aus, dies würde Angehörigen | |
des alten Regime und Verbündeten des Militärs die Kontrolle des Parlaments | |
erlauben. | |
Am Mittwoch drohten rund 60 der wichtigsten Parteien und Gruppierungen in | |
einer gemeinsamen Erklärung mit einem Wahlboykott, sollte das Militär diese | |
Änderungen des Wahlgesetzes nicht zurücknehmen, darunter die liberale | |
Wafd-Partei und die islamische Muslimbrüderschaft. | |
Die Muslimbrüderschaft kündigte an, am Freitag nicht an der Demonstration | |
teilzunehmen. Sie werde dem Militär noch bis Sonntag Zeit zu geben, die | |
Änderungen des Wahlgesetzes zurückzunehmen und das Notstandsgesetz wieder | |
auszusetzen. Ansonsten werde es "eine weitere Revolution" geben. | |
30 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
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