# taz.de -- Kommentar Weißrussland: Die EU musste Tacheles reden | |
> Die Regierung in Minsk treibt Weißrussland noch tiefer in die | |
> internationale Isolation. Die Frage ist jetzt, wie lange Lukaschenko noch | |
> so weiter machen kann. | |
Bild: Halb zu Tode gehungert: Der Aktivist Sergej Kowalenko während der Urteil… | |
Wenn die weißrussische Staatsführung allen Ernstes meint, mit ihrem Boykott | |
des EU-Ostgipfels in Warschau irgendjemanden zu beeindrucken, hat sie sich | |
gründlich verkalkuliert. Das dürfte dieser Schritt aber auf jeden Fall | |
bewirken: Er wird das Land international weiter in die selbst gewählte | |
Isolation treiben. | |
Die Motivation der EU, mit den Minsker Autokraten im Gespräch zu bleiben, | |
wird er alles andere als befördern. Und er müsste all jene, die aufgrund | |
ihrer wirtschaftlichen Interessen noch immer an eine Öffnung des Landes | |
unter Lukaschenko glaubten, nun endgültig eines Besseren belehren. | |
Die Frage ist jetzt, wie lange sich Staatspräsident Alexander Lukaschenko | |
dieses Katz-und-Maus-Spiel noch leisten kann. Weißrussland steckt derzeit | |
in der schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit 1991. Eine | |
massive Abwertung des Rubels, Preissteigerungen und eine galoppierende | |
Inflation bringen viele Menschen in existenzielle Nöte. | |
Soziale Proteste scheinen nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Langsam | |
entwickelt sich eine Zivilgesellschaft. Auf Dauer wird ihr, das heißt vor | |
allem jungen Leuten, die heute besser denn je vernetzt sind, mit | |
Repressionen nicht mehr beizukommen sein. | |
Und die EU? Von Anfang an war klar, dass der "Östlichen Partnerschaft" | |
keine durchdachte Strategie zugrunde liegt. Das rächt sich jetzt. Nach zwei | |
Jahren muss Brüssel zur Kenntnis nehmen, dass sich die Erwartungen, die mit | |
diesem Projekt verbunden waren, nicht ansatzweise erfüllt haben. | |
Im Gegenteil: Anstatt einer Transformation in Richtung Demokratie haben | |
sich in den beteiligten Staaten mehr oder minder autokratische Regimes | |
etabliert. | |
Auch in der Ukraine geht die Reise seit dem Machtantritt von | |
Staatspräsident Wiktor Janukowitsch 2010 zurück in die Vergangenheit. Die | |
Pressefreiheit wurde immer weiter eingeschränkt, Oppositionelle unter Druck | |
gesetzt und auch bei Wahlen wieder auf altbewährte "Fälschungsmechanismen" | |
zurückgegriffen, wenn es denn dem Machterhalt diente. | |
Zudem sitzt mit Julia Timoschenko eine der wichtigsten | |
Oppositionspolitikerinnen im Gefängnis. Ihr droht wegen Amtsmissbrauchs als | |
Regierungschefin eine siebenjährige Haftstrafe. Dieser Prozess, der allen | |
rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn spricht, ist eindeutig politisch | |
motiviert. | |
Gerade vor diesem Hintergrund ist es richtig und wichtig für die eigene | |
Glaubwürdigkeit, dass die EU endlich Tacheles redet und wie jetzt in | |
Warschau demokratische Reformen mit Nachdruck einfordert. Und dass sich | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel mit weißrussischen Oppositionellen trifft. | |
Eine Regierung, die politische Gegner einsperrt und sie dann auch noch ein | |
bisschen foltert, kann nicht erwarten, mit der EU an einem Tisch auf | |
Augenhöhe zu verhandeln. Und eine Regierung, die die politische Konkurrenz | |
mit zweifelhaften Verfahren versucht aus dem Verkehr zu ziehen, kann nicht | |
darauf setzen, mit Brüssel ein Assoziierungsabkommen abzuschließen. | |
Auch um den Preis neuer Spannungen: Diese klare Stellungnahme der EU war | |
überfällig. | |
30 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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