# taz.de -- Die Lyrik des Tomas Tranströmer: "Wie Silber, bei einem Pfandleihe… | |
> Nach 14 Jahren geht der Nobelpreis erstmals wieder an einen Lyriker. | |
> Tomas Tranströmer ist eine kluge Wahl, die auch die Bedeutung der | |
> literatischen Gattung betont. | |
Bild: "Worte mit unsichtbarer Tinte." | |
Lyrik ist keine publizistische Massenveranstaltung und ihre schreibenden | |
Protagonisten haben es in der Regel schwer beim Leser zu punkten. Daran | |
wird auch die Ehrung für Tomas Tranströmer durch die schwedische Akademie | |
nichts ändern. | |
Sie markiert aber mit ihrer Wahl vor allem ein Bekenntnis zur Essenz der | |
Sprache selbst, zum reinen, unverstellten Werk des Ausgezeichneten – fernab | |
von populären Forderungen des Literaturbetriebs oder überbordender | |
politischer Relevanz. | |
Und - ganz nebenbei – erfüllt Tranströmer beide Kriterien in aller Stille: | |
Er ist nicht nur einer der meistübersetzten und einflussreichsten | |
skandinavischen Poeten, sondern betrachtet man auch das um die 400 Seiten | |
starke Werk des Psychologen, findet man immer wieder das sprachlich | |
eingefrorene Diktat eines sich gesellschaftlich stets neu verortenden | |
Individuums. | |
Im Gedichtband "Klanger och spår" (Klänge und Spuren, 1966) heißt es: | |
"In anderen Teilen der Welt / wird man geboren, lebt und stirbt / in einem | |
ständigen Volksgedränge". Noch deutlich pessimistischer wird Tranströmer 4 | |
Jahre später in "Mörkerseende" (Düstersehend): "Die Zukunft: eine Armee | |
leerer Häuser, / sich vorwärtstastend im Schneeregen." | |
Der heute 80-Jahrige Poet folgt früh symbolistischen und hermetischen | |
Traditionslinien der literarischen Moderne. Seine ersten Veröffentlichungen | |
"17 dikter" (17 Gedichte, 1954), Hemligheter på vägen (Geheimnisse auf den | |
Wegen, 1958), Den halvfärdiga himlen, (Der halbfertige Himmel, 1962) machen | |
dies prägnant deutlich. | |
Unter der formellen Trägerschaft von musikalischen Strukturen, und einer | |
dichten, reduzierten Metaphorik überführt Tranströmer sein lyrisches Ich | |
mit großer sprachlicher Meisterschaft in dessen unmittelbare Wahrnehmungen | |
selbst. Der Schreibende wird ausgeleuchtet von "Worten mit unsichtbarer | |
Tinte, die hervortreten, wenn das Papier übers Feuer gehalten wird" | |
("Längre in", Weiter hinein). | |
Sensibel antwortet Tranströmer auf kurze alltägliche Momente, verklärt sie | |
mystisch, mal hell, mal dunkel und lässt beides sich vereinen: | |
"Klopfzeichen sind zu hören von Zelle zu Zelle / und der Raum strömt herauf | |
aus dem Bodenfrost. // Manche Steine leuchten wie Vollmonde." Der Kieler | |
Literaturwissenschaftler Lutz Rühling hat dies treffend als "Ausdruck eines | |
Epiphanie-Erlebnisses, das aus der profansten Kleinigkeit des Alltags | |
entspringen kann", umschrieben. | |
Nach einem Schlaganfall 1990, der Tranströmers Sprach- und | |
Bewegungsfähigkeit stark einschränkt, wird das Schreiben selbst zum | |
wichtigen Thema. Wie im Band "Sorgogondolen" (Trauergondel, 1996) in den | |
Worten "ausserhalb der Reichweite schimmern, wie Silber, bei einem | |
Pfandleiher". War das reduzierte japanische Haiku-Gedicht schon zuvor eines | |
des beliebtesten Stilmittel Tranströmers, entfaltet es bis zum vorerst | |
letzten Werk "Den stora gåtan" (Das große Rätsel, 2004) eine größere | |
Präsenz. | |
Mit dem diesjährigen Literaturnobelpreis hat man einen "großen" Poeta minor | |
ausgezeichnet. Einen dem Erkennen verhafteten Minimalisten, der die Sprache | |
stets mit liebevoller Härte bei ihrer in die Worte hineinreichenden Wurzel | |
zu packen wusste und weiß. Einen Schriftsteller, dem sprachliche Reduktion, | |
dank der Dichte seiner lyrischen Bilder, vor allem Qualität verheißt: | |
"Überdrüssig aller, die mit Worten, Worten, aber keiner Sprache | |
daherkommen". | |
7 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Scheper | |
## TAGS | |
Nobelpreis für Literatur | |
Nachruf | |
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