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# taz.de -- Würdigung Tomas Tranströmer: Schutzpatron der Jungen
> Mit Tranströmer lernten wir, dass es lebendige Dichtung gibt, die etwas
> zu sagen hat, die uns etwas sagen kann. Für sein exzellentes Werk bekam
> er den Literaturnobelpreis. Zu Recht.
Bild: Pressekonferenz im Wohnzimmer: Tomas Tranströmer nach der Verkündung.
Zum ersten Mal auf Tomas Tranströmer aufmerksam wurde ich 1998. Jan
Böttcher kam gerade aus Stockholm zurück und steckte junge Berliner
Dichterinnen und Autoren reihenweise mit seiner Begeisterung an. Und einen
wie Tranströmer, diesen sanftmütig Aufbegehrenden, der ohne Dogmen danach
fragte, wie man gut miteinander umgehen kann, konnten wir dringend
gebrauchen.
Denn nach dem allgemein ausgerufenen Ende der Utopien, nach 16 Jahren
Helmut Kohl, suchten wir nach neuen Sichtweisen, nach dem vielleicht nur
ganz kleinen Hebel, um selbst etwas zu bewegen.
Während wir tagsüber die Universität bestreikten, gegen Schöhnbohmsche und
"verkantherte Innenpolitik" demonstrierten, mit Schlingensief für die
"Chance 2000" kämpften, Reclaim the Streets feierten, mit Jan Böttcher "Ich
will nie wieder gesellschaftsfähig sein" sangen, lasen wir einen endlosen
Sommer lang immer und immer wieder die Gedichte von Tranströmer.
Zeilen wie diese, an denen wir dichten übten, und uns auszurichten: "Das
forschende Auge verwandelt die Sonnenstrahlen in Polizeiknüppel. / Und
abends: der Lärm von einem Fest in der Wohnung darunter / schießt hoch wie
unwirkliche Blumen durch den Fußboden".
Mit Tranströmer lernten wir auch, dass es lebendige Dichtung gibt, die
etwas zu sagen hat, die uns etwas sagen kann. Dass Lyrik nichts
Historisches, heute nicht mehr Ernstzunehmendes ist. "Die Mutlosigkeit
unterbricht ihren Lauf." Zeilen, die man anwenden konnte, die einem beim
Denken halfen, weil sie nicht einfach nur Beobachtbares wiedererzählen,
sondern umdeuten, ineinander überführen: "Der Binnensee ist ein Fenster zur
Erde."
Über die Jahre wurde mir Tranströmers Poetik fremder. Wenn ich heute seine
Bücher lese, erscheint mir manches zu stillgestellt, zu vereinfacht;
vermisse ich eine Prise Wildheit in Versstrukturen, Bildern oder
Wortschatz. Aber auch um das sehen zu können, habe ich wohl zuerst die
Lektüre seiner Gedichte gebraucht.
Vielleicht ist es, so gesehen, nicht übertrieben zu sagen, dass Tranströmer
auf unterschwellige Weise einer der heimlichen Schutzpatrone der jungen
wilden Dichtung und Szene ist, die es im deutschsprachigen Raum, vor allem
in Berlin, mittlerweile gibt.
Und nachdem die Akademie so lange geflissentlich an der dänischen
Jahrhundertdichterin Inger Christensen vorbei entschieden hat, bleibt nur
eines: von Herzen zu gratulieren! Für die Dichtung, für ein dezentes,
exzellentes Werk.
6 Oct 2011
## AUTOREN
Daniela Seel
## TAGS
Nobelpreis für Literatur
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