| # taz.de -- Vom Kultbild zum Abbild: Die Wirklichkeit der Pfeffersäcke | |
| > Als die Kunst begann, alles Heilige auf die dem Kaufmannsgeist fassbare | |
| > Realität herunter zu brechen: In Hamburg zeigt das Bucerius Kunstforum | |
| > Frührenaissance. | |
| Bild: Zeugnis der Gegenrenaissance? Botticellis um 1475 entstandenes mutmaßlic… | |
| HAMBURG taz | Es ist ein Herbst der Renaissance: München zeigt Perugino, | |
| Dresden Rafaels Madonnen und ihr Umfeld, Berlin hat die international | |
| bestückte Porträtausstellung im Bode Museum. Und London feiert Leonardo. | |
| Hamburg spielt da mit und zeigt am Rathausmarkt eine exquisite Auswahl von | |
| Frührenaissance-Bildern. Woher dieses kaum zufällige Angebot? Endlich | |
| wieder gesicherte Werte zeigen - oder angesichts delirierender Märkte | |
| darauf hinweisen, dass der frühe Kapitalismus auch eine hohe Kultur | |
| finanzierte? Schon im 14. Jahrhundert beginnt in Mittelitalien jener | |
| ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Umbruch, dem die Zeitgenossen | |
| selbst anspruchsvoll den Namen Neuzeit gaben und den wir als Renaissance, | |
| also Wiedergeburt der antiken Größe bezeichnen. | |
| Die Hamburger Ausstellung ist mit rund 40 Werken aus dem wenig bekannten | |
| Lindenau-Museum im thüringischen Altenburg bestückt. So wunderbar diese | |
| meist nicht allzu großen Bildtafeln aus den Predellen einstiger großer | |
| Altarensembles sind, so interessant ist die Geschichte, wie eine der | |
| weltbesten Sammlungen italienischer Frührenaissance ausgerechnet nach | |
| Altenburg kam. Gesammelt und testamentarisch auf Dauer dem Herzogtum | |
| Sachsen-Altenburg vermacht hatte die etwa 180 Bilder, samt 400 | |
| griechisch-etrurischen Keramiken sowie über 70 Gipsabgüssen berühmter | |
| Plastiken, der sächsisch-thüringische Jurist und Astronom, Minister und | |
| Mäzen Bernhard August von Lindenau (1779 - 1854): "Zwei Gründe veranlassten | |
| die Sammlung, … einmal die eigene Vorliebe für | |
| altgriechisch-mediceisch-italienische Kunst und dann die Thatsache, dass | |
| meine Vaterstadt aller plastischen Hülfsmittel entbehrt, um eine Kenntnis | |
| schöner Vorbilder der Malerei, Bau- und Bildhauerkunst und damit eine | |
| höhere, geläuterte Bildung des Geschmacks zu erhalten." Diese Chance erhält | |
| nun dank des Bucerius Kunstforums auch der an Beispielen italienischer | |
| Frührenaissance eher arme Norden Deutschlands. | |
| Für das Glanzstück der Ausstellung, Botticellis "Bildnis einer jungen Frau | |
| im Profil" von 1475, hatte der Freiherr 1847 nur 40 Scudi bezahlt - den | |
| damaligen Preis für drei Kühe. Es ist möglicherweise ein frühes Porträt der | |
| Florentiner Adeligen Caterina Sforza und wurde erst später mit wenigen | |
| Ergänzungen zu einem Bild der heiligen Katharina verändert. Das allerdings | |
| ist eine eher gegenreformatorisch anmutende Maßnahme, die den | |
| Renaissance-Prozess der Verweltlichung kirchlicher Motive später geradezu | |
| umzukehren versucht. Denn in der Malerei zwischen 1300 und 1500 wird der | |
| Universalraum des schimmernden himmlischen Goldgrundes langsam | |
| zurückgedrängt und die Bilder beginnen, real anmutende Szenen mit | |
| Landschaftshintergrund zu zeigen. | |
| Kurator Michael Philipp warnt gleichwohl, nicht in die "Vasari- Falle" zu | |
| laufen, also die Entwicklung der Perspektive und der Körpervolumen nicht | |
| wie der Vater der Kunstgeschichte zum alleinigen Kriterium der Bildqualität | |
| zu machen. Der Architekt, Maler und Biograph Giorgio Vasari, hatte in | |
| seiner 1550 erschienen "Lebensbeschreibung der berühmtesten Künstler" zwar | |
| relativ genau über die Künstler der Spätgotik und der frühen Renaissance | |
| berichtet, verfolgte aber hinter der Reihe seiner Biografien ein klares | |
| Entwicklungsmodell: Alles Kunstbestreben kulminiert im Dreigestirn Raffael, | |
| Leonardo und Michelangelo. | |
| Die Künstler davor waren für ihn vor allem als Vorläufer interessant, als | |
| Stufen eines Weges zur idealen, der Antike entsprechenden Ausformung der | |
| Körper in einem weit gehend realistischen Bildraum. Und diesem Modell | |
| folgen die meisten noch heute - ein gutes Beispiel für langfristig | |
| gelungene Propaganda im Sinne des mediceischen Florenz, des papalen Rom und | |
| seiner persönlichen Künstlerfreunde. Tatsächlich ist eine solche | |
| idealisierte Entwicklung vom steifen Byzantinismus zum realistischen | |
| mittelitalienischen Kunstideal ein weltgeschichtlicher Sonderfall, der | |
| schon für das zum Orient und seinen Formen orientierte Venedig und das in | |
| Stiltraditionen konservativere Siena nicht so eindeutig und vor allem nicht | |
| so linear gilt. Schon gar nicht ist das eine Frage des Könnens der | |
| Künstler. Gerade im heutigen Wissen um die Abstraktion und den | |
| Zeichencharakter des Bildes, sollte man die angeblich primitive, | |
| spätmittelalterliche Malweise nicht unterschätzen. Es hat durchaus seine | |
| Würde, etwas spirituell Gemeintes aufzuzeigen, statt alles Heilige auf die | |
| dem Kaufmannsgeist fassbare Realität herunter zu brechen. | |
| Hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte italienischer Malerei vom Kultbild | |
| zum Abbild der Welt kann die chronologisch aufgebaute Hamburger Ausstellung | |
| allerdings einen ganzen Hochschulkurs ersetzen. Denn nichts zeigt die | |
| extreme Veränderung des Blicks auf Personen und Räume so gut, wie der | |
| Vergleich zweier Bilder derselben Szene, gemalt im Abstand von immerhin | |
| rund 230 Jahren. Das früheste und das späteste Bild der Ausstellung sind | |
| beide eine Darstellung der Geißelung von Jesus: Um 1275 malt Guido da Siena | |
| einen mit blutigen Wunden vor einer rosa, gelb und blau stilisierten | |
| Architektur an einer volumenlos dünnen Säule Leidenden mit zwei zum Schlag | |
| ausholenden, doch seltsam distanzierten Personen unter einem goldenem | |
| Himmel; 1508 zeigt Luca Signorelli in einem grauen Innenraum an einer | |
| archäologisch korrekt dargestellten ionischen Säule eine mit makelloser | |
| Haut leuchtende Hauptfigur, eher elegant mit locker überkreuzten Beinen und | |
| durchsichtigem Lendenschurz, während die sechs muskulösen Peiniger wie | |
| Bewegungsstudien wirken. | |
| Aus der Vergeistigung in goldener Transzendenz wurden die religiösen | |
| Geschichten in sinnlich überprüfbare Realität verkörpert. Die Bilder der | |
| Renaissance sind von Künstlerstars personalisiert, gegenüber dem | |
| christlichen Thema von einiger Autonomie und zeigen ihren religiösen Inhalt | |
| als Geschehen in den Dimensionen, Räumen und modischen Konventionen der | |
| damaligen Welt. Dabei ist die Alltagsrealität kein Widerspruch zum | |
| Göttlichen, sondern gerade in dieser Gegenwart zeigt sich der durchaus | |
| wissenschaftlich erforschbare Ausdruck des göttlichen Wirkens. Doch auch | |
| diese Gewissheit und ihre Bilderwelt wird zusammenbrechen: Im Zeitalter der | |
| wissenschaftlichen und geographischen Entdeckungen scheinen die | |
| Verzerrungen des Manierismus - wie sie die überkreuzte Bilddynamik bei | |
| Signorelli schon andeutet - der passende Ausdruck einer ausufernden Welt, | |
| die nur noch mühsam in einem Bild zu fassen ist. | |
| ## Bis 8. Januar: Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis | |
| Botticelli. Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, täglich 11 - 19 Uhr, | |
| donnerstags bis 21 Uhr. Rahmenprogramm mit Literatur und Musik. Katalog: | |
| 224 Seiten, 24,80 Euro, Hirmer | |
| 13 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Hajo Schiff | |
| ## TAGS | |
| Hamburg | |
| Zeichnung | |
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