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# taz.de -- Machtentscheid in Liberia: Der Prinz und die Nobelpreisträgerin
> Prince Johnson war einer der brutalsten Warlords Liberias. Jetzt hängt es
> von ihm ab, ob Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf im Amt bleiben kann.
Bild: Prince Johnson - vom Warlord zum Anwärter um die Präsidentenmacher.
MONROVIA taz | Ungefähr auf halbem Weg wird die Straße, die aus Monrovia in
Liberias Nordosten führt, zu einer fürchterlichen Schlaglochpiste, die sich
durch einen beeindruckenden Wald aus riesigen Kautschukbäumen schlängelt.
Nach dem letzten Regenschauer glänzen die Blätter sattgrün. Kautschuk ist
das Einzige, was es hier oben in Nimba gibt, der nordöstlichsten Region
Liberias an der Grenze zu Guinea. Doch seit Mitte Oktober ist ein zweites
Gut hinzugekommen: Macht.
Denn die Entscheidung, ob Liberias Präsidentin und designierte
Friedensnobelpreisträgerin Ellen Johnson-Sirleaf mit ihrer Unity Party (UP)
weitere sechs Jahre regiert oder ob Oppositionsführer Winston Tubman vom
Congress for Democratic Change (CDC) künftig Staatschef wird, könnte in
Nimba fallen - ausgerechnet, weil sich die Menschen hier beim ersten
Wahlgang am 11. Oktober herzlich wenig für die beiden interessiert haben.
Stattdessen gaben 67,7 Prozent der Wähler in Nimba Prince Johnson von der
National Union for Democratic Progress (NUDP) ihre Stimme. Landesweit hat
der einstige Kriegsherr zwar nur 11,6 Prozent der Stimmen erhalten, dennoch
landete er auf dem dritten Platz und gilt somit als Königsmacher.
## Ein Wort wird zelebriert
Ein ganzes Wochenende lang hat er dieses Wort zelebriert und geliebt. "Ich
bin der Königsmacher. Mal sehen, welche Karte ich am Ende spiele", sagt er
in seinem Haus in Paynesville, einem Stadtteil von Monrovia. Dabei reibt er
sich seine großen Hände und kichert heiser. Seine Anhänger, die er in einem
Pavillon im Garten empfängt, nicken andächtig. Manchmal tauscht er das Ich
gegen ein Wir aus. Er als Königsmacher wolle erst seine Wähler und somit
die "großartigen Menschen von Nimba" befragen. Sie sollen entscheiden.
An der mittlerweile 73-jährigen Präsidentin lässt Prince Johnson kein gutes
Haar. Sie habe den langen Krieg in Liberia finanziert und hätte niemals mit
dem Friedensnobelpreis geschmückt werden dürfen, wettert er. "Wenn sie ihn
bekommt, dann muss ich ihn auch bekommen", ruft Prince Johnson, und seine
Anhänger lachen.
Dann aber wird er ernst. "Ma Ellen hat sich die Auszeichnung doch für 22
Millionen US-Dollar erkauft", behauptet er. Der Königsmacher wirkt so
überzeugt, als ob er die letzte Wahrheit verkünde. Niemand wagt zu
widersprechen. Vom einstigen Warlord geht noch acht Jahre nach dem Ende des
Bürgerkrieges viel Autorität aus - auch wenn sein Thron nur noch ein
schäbiger weißer Plastikstuhl ist.
Ohnehin sind Johnson-Sirleaf und Prince Johnson alte Konkurrenten. Dabei
hatten sie Ende der achtziger Jahre alle einen gemeinsamen Feind: Samuel
Doe, der zehn Jahre lang Präsident Liberias war. Doe, nach dem noch heute
das Fußballstadion von Monrovia benannt ist, galt als brutal und
antidemokratisch.
Seine Gegner sammelten sich im Exil, darunter Charles Taylor, ehemaliger
hoher Mitarbeiter der staatlichen Beschaffungsbehörde, und Prince Johnson,
ehemaliger Assistent des Generalstabs der Armee. Zu Weihnachten 1989
marschierte Charles Taylor mit seiner Rebellenarmee aus der Elfenbeinküste
in Liberias Nimba-Provinz ein. In seinen Reihen: Prince Johnson, der aus
Nimba kam.
Johnson gründete kurz darauf eine eigene Armee, und ein Dreivierteljahr
nach Ausbruch des Bürgerkrieges waren es seine Truppen, die Monrovia
eroberten. Johnson schnappte sich Präsident Doe und schnitt ihm vor
laufender Kamera die Ohren ab. Das Video war lange begehrte
Schwarzmarktware in den Straßen Monrovias.
All das ist Geschichte. Nach Does Sturz erlitt Liberia nacheinander zwei
Bürgerkriege, in denen Charles Taylor die Macht erst per Wahl gewann und
sie dann per Krieg wieder verlor. Er landete vor Gericht in Den Haag.
Prince Johnson landete in Liberias Senat. Heute gibt er sich als guter
Demokrat. "Ein neuer Krieg? Der wäre fatal." Als er das laut und deutlich
seinen Anhängern sagt, nickt er seinem Sohn zu, der unter den Zuhörern ist.
Der Sohn, sagt Johnson, besuche die Universität und solle eine gute
Ausbildung erhalten. Dafür sei Frieden notwendig.
## Die "großartigen Menschen von Nimba"
Der alte Kriegsherr sagt es zwar nicht, doch er lässt durchblicken, dass
CDC-Kandidat Tubman nie in den Krieg verwickelt war, während
Johnson-Sirleaf zeitweise Taylor half. Als in Liberia Blut floss, mehr als
eine Viertelmillion Menschen starben und angeblich 70 Prozent aller Frauen
vergewaltigt wurden, arbeitete Tubman unter anderem für die Vereinten
Nationen in Somalia.
Dennoch hat sich Prince Johnson nicht mehr weiter für Tubman aus dem
Fenster lehnen wollen. Denn vor sechs Jahren trat dieser noch für die alte
Partei von Samuel Doe an, die National Democratic Party of Liberia (NDPL).
Seitdem gilt der 70-jährige Tubman als munterer Parteiwechsler. Er hat eine
Oppositionskoalition für die Stichwahl gebildet, ohne Prince Johnsons NUDP.
Und plötzlich gibt der einstige Warlord bekannt, er werde in der Stichwahl
nun doch die Präsidentin unterstützen. Die Nachricht verbreitet sich in
Monrovia wie ein Lauffeuer.
Kurze Zeit später schiebt Prince Johnson seine Bedingungen hinterher. Nein,
um Geld sei es ihm bei der Entscheidung für "Mama Ellen" nie gegangen -
wohl aber um die Macht. 30 Prozent aller politischen Ämter möchte er für
seine Partei.
Doch viel wichtiger ist ein anderes Kalkül: Die Präsidentin möge die
Empfehlungen der Wahrheitskommission, die nach dem Bürgerkrieg gegründet
wurde, nicht so ernst nehmen. 2009 veröffentlichte diese Kommission eine
Liste mit allen Liberianern, die während des Krieges Schlüsselpositionen
innehatten und dreißig Jahre lang von politischen Ämtern ausgeschlossen
bleiben sollten - Ellen Johnson-Sirleaf und Prince Johnson gehören dazu.
Die "großartigen Menschen von Nimba" hat der Königsmacher über seine
Entscheidung nicht informiert oder gar befragt, wie er es angekündigt
hatte. Dennoch sollen sie nun den Sieg für "Ma Ellen" bringen.
## "Chelsea ist mein Club"
Auch der junge George Jackson soll deshalb jetzt für die Präsidentin
stimmen. Jackson ist Erstwähler und in Nimba groß geworden. In einem
T-Shirt, das irgendwann mal braun war, und in grünen Flipflops schlendert
er an den Marktständen von Saclepea vorbei. Rechts und links der Straße
bieten Verkäufer Tomaten, Orangen, bergeweise Schuhe und Telefonkarten
feil.
Immer wieder tauchen große Hinweistafeln von Hilfsorganisationen auf. Denn
Saclepea hat sich Anfang des Jahres einen Namen als Flüchtlingsstadt
gemacht. Viele tausend Menschen aus der Elfenbeinküste retteten sich
hierher und suchten Schutz vor den Kämpfen in ihrer Heimat, als Streit über
das Ergebnis von Präsidentschaftswahlen zum Bürgerkrieg führte.
George interessiert all das nicht. Er steuert auf die braune Holztafel zu,
auf der die Ergebnisse der englischen Premier League angeschlagen sind.
"Chelsea - das ist mein Club", sagt er und schiebt seine Brust etwas vor.
Das letzte Spiel haben seine Blauen gewonnen, immerhin ein Sieg für den
jungen Mann.
Siegen hätte auch Prince Johnson sollen. "Klar habe ich für ihn gestimmt,
wie die meisten hier", sagt George, der sich in Saclepea mit
Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Jetzt fühlt er sich ein wenig als
Verlierer. "Johnson ist ja raus." Mit dessen Namensvetterin, der
amtierenden Präsidentin, kann er sich bislang nicht anfreunden. "Sieh dir
die Gegend an. Sie hat bislang nichts für uns getan. Wird sich das ändern,
wenn ich sie jetzt wähle?" George Jackson schüttelt den Kopf. Er ist mit
dem Krieg groß geworden, will ihn endlich hinter sich lassen und in die
Zukunft blicken. Dass er mit Prince Johnson einen einstigen Warlord gewählt
hat, ist ihm egal. Er ist immerhin einer von ihnen, aus Nimba.
## "Wer ist Tubman"
Absolut fremd scheint sich hier oben Winston Tubman zu fühlen, den nur
knapp 4.600 Menschen unterstützt haben. In Nimba hat er mit Abstand das
schlechteste Ergebnis erhalten. Dass Tubman in der zweiten Runde keine
Chance hat, davon geht auch eine der Orangenhändlerinnen aus. "Wer ist
Tubman? Mama Ellen kennen wir wenigstens."
Im Internet fordert der Exilantenverband "Diaspora Nimba Citizens Against
the Reelection of President Sirleaf" Prince Johnson auf, die Präsidentin
nicht zu unterstützen, sondern jemanden mit einer weißen Weste zu wählen.
Ellen Johnson-Sirleaf habe diese ganz sicher nicht. Aber wer hat hier
Internet?
In Kenlay wohl niemand. Es ist das letzte Dorf vor der Grenze, ein paar
hundert Meter weiter beginnt die Elfenbeinküste. Die Gegend ist in der
Regenzeit ohne Geländewagen unpassierbar und ziemlich trostlos. Hier lebt
Eve Smith mit ihren fünf Kindern.
Am Freitagabend hat sie sich in die einzige Kneipe gesetzt und schimpft
über die Politik in der Hauptstadt. "Prince Johnson, der hätte vielleicht
etwas verändert. Aber die anderen?", fragt sie und knipst fortwährend den
Lichtschalter an und aus. Doch keine Birne flammt auf, der Generator läuft
noch nicht. "Du siehst, wir haben nichts hier oben, keinen Strom, keine
Arbeit, einfach nichts."
3 Nov 2011
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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