| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Liberia: Friedenskicker auf einem Bein | |
| > Einst hat Dennis Parker für den Rebellenführer Charles Taylor gekämpft. | |
| > Jetzt kämpft er für Frieden in seinem Land - mit Krücken und viel | |
| > Motivation. | |
| Bild: Das neue Motto Liberias: Gemeinsam sind wir stark. | |
| Cooper D. George steht mitten auf dem staubigen Fußballplatz in Monrovia. | |
| Der hochgewachsene Mann setzt die Trillerpfeife an die Lippen und pfeift. | |
| Dann brüllt er los: "Lauft, lauft, lauft. Schneller, schneller, schneller." | |
| Die 20 Kicker gehorchen ihrem Trainer sofort. Sie sprinten, geben alles, | |
| rennen um ihr Leben - auf drei Beinen. Ein richtiges, das in einem | |
| schwarzen Fußballschuh steckt, haben sie noch. Die anderen beiden, das sind | |
| zwei Krücken. Wer noch beide Beine hat, dem fehlt der rechte oder linke | |
| Arm. | |
| "Das ist ganz schön schwierig", sagt George, der seit Anfang des Jahres | |
| Cheftrainer ist. Er meint nicht den Sprint seiner Kicker, denen nach der | |
| Übung dicke Schweißperlen über die Gesichter laufen. Er meint seine Arbeit | |
| als Coach der liberianischen Nationalmannschaft der Fußballer mit | |
| Amputationen. "Du kannst sie ja nicht so trainieren wie Spieler, die noch | |
| beide Beine haben. Und außerdem musst du sie manchmal ganz schön | |
| ermutigen." Die meisten Fußballer haben weder Job noch Geld. Ihnen bleiben | |
| nur der Sport - und die Erinnerungen, weshalb sie heute für den Club der | |
| Amputierten spielen müssen. | |
| Bei Dennis Parker ist es 1993 passiert. "Im Krieg", sagt der Spieler, der | |
| ein Trikot in Knall-Organe trägt, knapp. Vier Jahre tobten die | |
| Ausschreitungen damals schon, als er verwundet wurde und sein rechtes Bein | |
| amputiert werden musste. Gekämpft hat er für Rebellen-Führer Charles | |
| Taylor, der 1989 die National Patriotic Front of Liberia (NPFL) gegründet | |
| hatte. Ihr Ziel: Sie wollten Präsident Samuel Doe stürzen und seine | |
| Militärdiktatur beenden. Als die Kugel Parkers Bein traf, war Doe - im | |
| Jahre 1980 selbst durch einen Putsch an die Macht gekommen - längst tot. | |
| Kämpfen musste Dennis Parker trotzdem. "Wenn ich es nicht getan hätte, | |
| hätten sie mich umgebracht." Damals war er 16 Jahre alt. | |
| Doch er will nicht mehr über den Krieg sprechen, hat keine Lust mehr auf | |
| die ewigen Erinnerungen - wie so viele im Land. James Dorbor Jallah geht es | |
| nicht anders. "Wir sind müde", sagt er, "und ganz ehrlich: Was bringt es?" | |
| Dorbor Jallah war bis vor zwei Monaten stellvertretender Minister für | |
| Regionalplanung. Im zweiten Bürgerkrieg, der von 1998 bis 2003 tobte, hat | |
| er seinen Vater verloren. "Einer der Mörder stammt aus meinem Dorf", sagt | |
| er. Trotzdem denkt er seit einiger Zeit nicht mehr an Rache. "Das wäre doch | |
| nur eine Spirale, von der niemand etwas hat. Unglücklich machen würde es | |
| doch vor allem unsere Kinder, die nichts mit diesem Krieg zu tun haben." | |
| ## "Große, grüne Wiese" | |
| Viel lieber redet James über die wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimat, | |
| auf die er stolz ist. Das Haushaltsbudget beispielsweise hätte sich in den | |
| vergangenen sechs Jahren von 80 Millionen US-Dollar auf knapp 500 Millionen | |
| US-Dollar erhöht. "Liberia ist eine große, grüne Wiese für Unternehmer." | |
| Dazu tragen vor allem die Bodenschätze wie Diamanten und Eisenerz sowie | |
| zukünftig auch Öl bei. Die multinationalen Firmen haben schon lange darauf | |
| geschielt und längst Rohstoffabkommen mit der Regierung geschlossen. | |
| Von der großen, grünen Wiese haben die allermeisten Liberianer nichts. Eine | |
| Familie mit drei bis vier Kindern muss von 100 US-Dollar im Monat leben. | |
| Aufstiegschancen gibt es so gut wie keine, denn durch die langen | |
| Kriegsjahre konnte ein Großteil der heutigen Jugendlichen und jungen | |
| Erwachsenen nicht zur Schule gehen. Ihnen bleiben höchstens Jobs als | |
| Verkäufer und Putzkräfte. | |
| Wenn Fußballtrainer Cooper D. George an die Regierung denkt, wird er wütend | |
| und spürt nichts vom wirtschaftlichen Aufschwung und der rosigen Zukunft. | |
| George hat sich auf die kleine Bank neben dem Spielfeld gesetzt und | |
| beobachtet seine Kicker. Torschusstraining. Bei jedem Treffer klatschen die | |
| Zuschauer, die sich nach und nach um das Fußballfeld aufgestellt haben. | |
| Das Training am späten Nachmittag ist für viele eine willkommene | |
| Abwechslung. Auch den Spielern tun Interesse und Applaus gut. Beides spornt | |
| an: fürs Leben, aber ganz besonders für die Afrikameisterschaft, zu der das | |
| Team Ende November nach Ghana fahren will. | |
| ## "Ich will für mein Land Tore schießen" | |
| Die Teilnahme ist selbstverständlich, schließlich ist Liberia | |
| Titelverteidiger von 2008. Ein riesiger Erfolg. Damals hatte das Team | |
| gerade einmal zwei Jahre Spielpraxis. Der Trainer ist sicher, dass sich die | |
| Spieler seitdem stark verbessert haben, angriffslustiger sind, eine bessere | |
| Taktik haben. Sorge macht ihm allerdings die Finanzierung der Reise. "Denk | |
| nicht, dass uns die Regierung unterstützt. Wir bekommen noch nicht mal das | |
| Geld für Transportkosten", schimpft er. | |
| Dennis Parker wünscht sich im Moment nur eins: Die Turnierteilnahme muss | |
| unbedingt klappen, ist sie doch sein wichtigster Termin in diesem Jahr. | |
| "Ich bin so stolz, dass ich zum Team gehöre. Jetzt will ich für mein Land | |
| Tore schießen." Gerade hat er einmal getroffen. Dennis Parker ist Stürmer. | |
| Für ihn ist der Beginn der Afrikameisterschaft am 18. November deshalb so | |
| bedeutsam wie für die gut vier Millionen Liberianer der morgige Dienstag. | |
| Es sind die zweiten Wahlen nach dem Bürgerkrieg. Um das Amt des Präsidenten | |
| bewerben sich 16 Kandidaten. Gut stehen die Chancen für die Amtsinhaberin | |
| und frischgebackene Trägerin des Friedensnobelpreises Ellen Johnson-Sirleaf | |
| von der Einheitspartei, der Unity Party. Auch Eric will sie wählen. Ein | |
| bisschen abseits vom Fußballfeld verkauft er Telefonkarten für Handys. | |
| "Meine ganze Familie unterstützt sie. Mama Ellen soll es noch mal machen", | |
| sagt er, grinst und beobachtet gespannt die amputierten Kicker, die nun | |
| Leibchen in Gelb und Blau tragen und sich auf ihren Krücken über den Platz | |
| schwingen. Gerade hat Trainer George das kleine Übungsspiel angepfiffen. | |
| Eric liebt Fußball. Trotzdem möchte er keinen ehemaligen Fußballstar zum | |
| Vizepräsidenten haben. Möglich wäre das, denn George Weah, einstiger | |
| Weltfußballer, kämpft nach der Niederlage von 2005, als er in der Stichwahl | |
| gegen Johnson-Sirleaf verlor, erneut um die politische Führung. Dieses Mal | |
| ist er jedoch nur möglicher Vize hinter Spitzenkandidat Winston Tubman. Das | |
| Duo tritt für den Kongress für demokratischen Wandel (Congress für | |
| Democratic Change) an und gilt ebenfalls als aussichtsreich. | |
| Deshalb ist eine Neuauflage der Wahlen von 2005 gut möglich. Eine Stichwahl | |
| müsste laut Verfassung dann vier Wochen später - am 8. November - | |
| stattfinden. "Bei 16 Kandidaten ist es ohnehin sehr schwierig, mehr als 50 | |
| Prozent der Stimmen zu erhalten", schätzt Heiko Meinhardt ein. Der | |
| Mitarbeiter des Evangelischen Entwicklungsdienstes ist seit Juni als | |
| Wahlberater im Land und hat unter anderem mehr als 500 Beobachter | |
| ausgebildet. Er hat ein gutes Gefühl, wenn er an Dienstag denkt. "Ich gehe | |
| davon aus, dass es geordnet und friedlich ablaufen wird. Mit Gewalt rechne | |
| ich nicht." | |
| ## Angst vor Ausschreitungen | |
| Trotzdem ist die Angst vor Ausschreitungen groß. Schon bei dem bloßen | |
| Gedanken daran tauchen die Bilder aus dem Krieg wieder auf, verbunden mit | |
| der Sorge, dass Liberia es doch nicht geschafft hat und auf einem falschen | |
| Weg ist. Auch Mary Gartor quält dieses Gefühl. Die Mutter und Großmutter | |
| ist auf dem Weg nach Hause und muss einmal quer über den Fußballplatz. Die | |
| alte Frau murmelt nur eins, wenn sie an den Wahltag denkt: "Frieden." Der | |
| würde ihr schon reichen. | |
| 100 Meter entfernt wischt sich Fußballer Parker den Schweiß von der Stirn. | |
| Das Trainingsspiel ist abgepfiffen. 30 Minuten lang hat er, der Stürmer, um | |
| jeden Ball gekämpft. Jetzt ist er müde, die Arme tun ihm weh. Trotzdem | |
| strahlt er, nachdem er etwas Luft geholt hat. "Es ist ein tolles Gefühl, | |
| für dieses Team spielen zu dürfen", sagt er. Aber er will nicht nur zeigen, | |
| dass er Tore schießen kann, dass er seinen Sport liebt. | |
| Für ihn bedeutet das Kicken auf einem Bein auch: "Ich bin | |
| Friedensbotschafter." Darüber sprechen er und seine Teamkollegen gerne mit | |
| den Zuschauern. "Gewalt zerstört alles und bringt nichts. Dafür bin ich das | |
| beste Beispiel", sagt Dennis Parker und schaut vorsichtig an seinem Körper | |
| hinunter, bis sein Blick am rechten Beinstumpf hängen bleibt. Das will er | |
| auch am morgigen Wahltag deutlich machen. "Alles muss unbedingt friedlich | |
| ablaufen", fordert er. Und plötzlich wird der Wahltermin genauso wichtig | |
| wie seine Afrikameisterschaft. | |
| 10 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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