Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Greenwashing: Manifest gegen Nachhaltigkeit
> Sina Trinkwalder wird am Freitag als "Social Entrepreneur der
> Nachhaltigkeit" geehrt. Die taz veröffentlicht ihre Preisrede gegen
> Greenwashing.
Bild: Manchmal ist die Fantasie schöner als die Realität.
Nie war es so einfach, ein besserer Mensch zu sein: Wir trinken für den
guten Zweck, wir essen Brot für die Dritte Welt, veranlassen die eigene
Krötenwanderung zur nächstgelegenen Sozialbank. Wir sind fair, leben bio,
fahren öko. Doch das neue Bewusstsein ist nur eine Fassade, hinter der die
alte, schmutzige Konsumwirtschaft quicklebendig ist.
Die Industrie hat vor allem eines erkannt: das Potenzial der Menschen, die
die Sehnsucht nach einer besseren Welt in sich tragen. Und diese Sehnsucht
ist einfach bedient. Bringt uns "saubere" Produkte. Nicht aber: produziert
in einem ökologischen Kreislauf. Wichtig ist für den Verbraucher, was
hinten herauskommt.
Berufsbetroffene ersetzen Geist durch Moral. Der einst als alternativ
konzipierte Lebensstil der Lohas (Life of Health and Sustainability) ist
zur oberflächlichen, hippen Modeerscheinung avanciert. Es gibt ein ganzes
Heer von Beratern und Unternehmern, das - als moralische Avantgarde und
neoökologischer Jetset - den ethisch-ökologisch korrekten Lebenswandel
konsumierbar macht.
Sie haben keine Inhalte und keine Themen, die über das Bedienen einer
diffusen Sehnsucht hinausgehen. Konzeptionelles Nirwana. Ein bisschen
Askese hier, ein bisschen Hedonismus da, ein bisschen links-alternativ, ein
bisschen werteverbunden. Die selbst ernannten grünen Vorreiter sind nicht
mehr als Zeitgeist-Opportunisten, die auf subtile Weise das
postindustrielle Produkt Gesinnung verkaufen.
Weder sie noch ihre Kunden glauben noch an Ideologien, wie es die 68er
taten, aber dieser Relativismus speist sich aus der fast kompletten
Negierung von Komplexität: Tut dieses, kauft jenes, und die Welt wird ein
Stückchen besser.
Ökologische Neuerung ist kinderleicht
Doch für die Energie- und Ökowende wird es nicht reichen, zu fordern, dass
die Windräder endlich die Atomkraftwerke ablösen. Die Energiewende ist viel
komplizierter, und wir können sie nicht als frivolen Wechsel von Böse nach
Gut bewältigen. Wer sich ernsthaft in diese Auseinandersetzung begibt,
merkt schnell, dass man dabei seinen Heiligenschein verliert.
Denn die grüne Wende findet langsam statt - ohne die Dauerempörten und
Karma-Consulter. Weltunternehmen wie Siemens oder General Electric
investieren gerade "grüne" Milliarden. Sie schaffen damit zumindest ein
wenig grünen Technologiefortschritt, den wir so dringend brauchen.
Das reicht aber nicht. Denn was bringt uns eine ökologische Innovation,
wenn sie auf Kosten der Menschen geht, die sie produzieren? Nichts. Im
Gegenteil. Gerade in den heutigen Produktionsländern vieler Konzerne ist
ökologische Neuerung kinderleicht - denn niemand kontrolliert, wie bio ein
Produkt tatsächlich ist, welche Folgen es vor Ort hat.
Das eigentliche Problem ist der Verzicht in Form von Rationalitätsaskese.
Der Verzicht, sich ernsthaft mit den Problemen der heutigen Zeit
auseinanderzusetzen und echte Ideen für eine tragfähige Zukunft zu
entwickeln. Der Konsument gibt sich kritisch und weiß um seine "Macht". Das
macht jedoch nichts, weiß wiederum die Industrie. Zu leichtgläubig nämlich
agiert der Kunde in seiner wahllosen Öko-Sehnsucht. Sie ermöglicht eine
Oberflächlichkeit, die der Wirtschaft ihr Geschäft ungemein erleichtert:
Ein Unternehmen muss nicht das Richtige tun, es muss nur richtig aussehen.
Der wegen des Klimawandels sensibilisierte Konsument belohnt ausgeklügelte
Scheinlösungen, angepriesen als ökologische Innovation. Dieser gefährliche
Stillstand der Weltverbessererwirtschaft verhindert eine kritische und
visionäre Auseinandersetzung mit einer zukunftsoffenen und sinnvollen
Wertschöpfung. Genau diese aber ist notwendig.
Was also brauchen wir wirklich?
Vom Wohlstand zur Lebensqualität: Wir brauchen nicht mehr Lebensqualität,
aber eine bessere. Wir benötigen nicht mehr Wirtschaft, aber eine
respektvollere. Die Zivilisationskrankheit "Burn-out" ist das Resultat des
schnellen 21. Jahrhunderts - wer am Markt bestehen will, muss Prozesse
optimieren und die Angestellten an die Grenze des Leistbaren treiben. Dem
Qualitätsgedanken gegenüber dem Produkt wird Rechnung getragen, gegenüber
dem Mitarbeiter wird rücksichtsloser Raubbau betrieben. Wir brauchen Mut,
um eine Entschleunigung anzustoßen.
Von der Kette in den Kreislauf: Nachhaltigkeit ist kein erlösendes
Geschäftsmodell, keine neue Wertschöpfungsrevolution. Es gibt eine
offensichtliche Strategie für die Ökonomie der Zukunft:
Wertschöpfungsketten müssen zu verlustfreien Kreisläufen werden. Alter Wein
in recycelten Schläuchen wird nicht ausreichen. So bringt es nur wenig,
einer uralten Synthetikfaser den Schein der "biologischen Abbaubarkeit" zu
geben, wenn das nur unter Laborbedingungen funktioniert und mit der
Realität wenig zu tun hat. Aus diesem Kreislauf des mauscheligen
Greenwashing müssen wir ausbrechen in nachvollziehbare
Wertschöpfungskreisläufe, die wirklich funktionieren.
Act local, respect global: Wir müssen endlich konsequent den regionalen
Aspekt der Rohstoffproduktion beachten. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé
verbraucht jährlich 320.000 Tonnen Palmöl und nimmt die damit
einhergehenden Regenwaldrodungen in Kauf. Schließlich wäre eine
Substitution mit heimischen Ölen und Fetten oder aber zumindest auf
zertifiziertes Palmöl, wie sie bereits einige Hersteller vollzogen haben,
schlecht für den Gewinn. Der Kunde hat kaum eine Chance, aktiv dagegen
Maßnahmen zu ergreifen, denn "Pflanzliche Öle und Fette" auf dem Etikett
klingt zwar gut, bedeutet in der Praxis aber eben doch meist Palmöl.
Rücksicht für Fortschritt: Wir brauchen einen ehrlichen ökoeffizienten
Aufbruch. Engagement der Unternehmen auf der einen Seite, aber auch
Kompromisse beim Bürger. Regenerative Energien erfordern eine neue
Infrastruktur der Stromnetze. Der ureigene Egoismus von direkt Betroffenen
jedoch, die für einen unverbauten Blick bis zum Bundesverwaltungsgericht
ziehen, behindert die notwendigen Maßnahmen. Doch mit dem Atomkraftausstieg
sind die Würfel des regenerativen Zeitalters gefallen. Wer A sagt, muss
auch B sagen.
Eine neue Zeit - in der Stadt und auf dem Land: Wir müssen uns von dem
Mythos der krank machenden Großstadt verabschieden. Das
Vernetzungspotenzial der Megacitys (Information, Energie, Strom, Wasser)
kann so kanalisiert werden, dass die Großstädte zum Herzen des ökologischen
Aufbruchs werden. Gleichzeitig gilt es, kleinstädtische Strukturen zurück-
beziehungsweise neu zu entwickeln, um auch in diesem Lebensraum
Unabhängigkeit von Öl und Auto zu schaffen.
Mit Herzblut statt halbherzig: Wir brauchen keine Konzerne, die
Nachhaltigkeit als Verkaufsvorteil proklamieren, denn sie verkaufen damit
nur eines: unsere Zukunft. Mittlerweile macht jeder deutsche Autobauer in
"eco" und "green". Sieht man genauer hin, erfährt man, dass die
Autoindustrie sich bislang nur halbherzig auf das Abenteuer postfossile
Autowelt eingelassen hat. Das Zögern basiert auf dem wichtigsten Kriterium
für Unternehmenserfolg: den Verkaufszahlen. Solange diese stimmen, wird
nicht gerüttelt. Währenddessen machen Batteriebauer aus China und Japan den
Markt. Was wir aber brauchen, sind Visionäre mit Herzblut, die bereit sind,
die Gefahr des Scheiterns in Kauf zu nehmen, um konsequent die Richtung zu
wechseln.
Ehrliche Rechnung statt Schattenbilanz: Wir brauchen eine neue Logik in
unseren Kosten-Nutzen-Rechnungen. Der amerikanische Management-Guru Umair
Haque belegt überzeugend, dass ein Hamburger bei McDonalds tatsächlich 30
Euro und nicht nur 3 Euro kostet, legt man auch Umwelt- und Sozialkosten
zugrunde. Aber den realen Preis zu ermitteln wird allein nicht genügen, er
muss auch bezahlt werden. Und zwar nicht nur vom Verbraucher: Die Konzerne
müssen endlich an ihre Gewinne. Für Umwelt und Soziales.
Das Ende der Ü-Ei-Generation: Spiel, Spaß und Spannung erwarten junge
Manager heute von ihrem Job. Sie zocken - und verzocken es. Weil sie für
ihr Handeln nicht verantwortlich gemacht werden - in guten Jahren kassieren
sie Millionen Boni, in schlechten Jahren kürzen sie der Belegschaft das
Weihnachtsgeld. Das Wall Street Journal schrieb 2010 über das Ende des
Managements. Heute erleben wir es. Zu Recht! Denn wir brauchen keine
Manager, die nur für den Profit handeln, sondern beständige, regional
verwurzelte Unternehmer, die sich wieder dem Standort Deutschland
verpflichten.
Gemeinwohl nicht im Alleingang: Wir brauchen jeden Einzelnen in unserer
Gesellschaft, um gemeinsam die Weichen der Zukunft zu stellen.
Ehrlichkeit: Mehr brauchen wir nicht.
4 Nov 2011
## AUTOREN
S. Trinkwalder
E. Wenzel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kinder bei McDonalds: McBuch mit doppelt Käse
Gut fürs Image: McDonalds kooperiert mit der „Stiftung Lesen“. Wer sich
jetzt ein Happy Meal bestellt, bekommt ein Kinderbuch dazu.
Gewerkschafter zu Tode gefoltert: Mord – Strafanzeige gegen Nestlé
Luciano Romero, ein kolumbianischer Gewerkschafter, sollte gegen Nestlé
aussagen – und wurde ermordet. Nun muss sich die Konzernleitung vor Gericht
verantworten.
FDP-Minister torpediert Energiewende: Rösler will bei Solaranlagen sparen
Kritiker sprechen von "industrie- und energiepolitischem Unsinn". Mit der
Forderung die Solarindustrie zu deckeln, versetzt Rösler die Branche in
Unruhe - und die eigene Fraktion.
Zu viele Zertifikate verteilt: Schwere Mängel im Emissionshandel
Vor allem Stahlkonzerne profitieren von kostenlosen CO2-Zertifikaten. Der
Emissionshandel ist laut BUND eine Gelddruckmaschine für die
energieintensive Industrie.
Ethisches Wirtschaften: Bilanz für Nachhaltigkeit statt Rendite
Wie sehr dient ein Unternehmen der Allgemeinheit? Neun Unternehmen aus
Bayern wollen das jetzt in einer "Gemeinwohlbilanz" ermitteln.
Unilever und die Primatenforscherin: Hamburg adelt Urwaldvernichter
Die Primatenforscherin Jane Goodall wird in der Unilever-Konzernzentrale
zur Botschafterin der Umwelthauptstadt Europas ernannt. Die Firma zählt zu
den größten Verbrauchern umweltschädlichem Palmöls.
WWF wehrt sich gegen Vorwürfe: Die Bösen sollen sich bessern
Der Umweltverband WWF führt einen Abwehrkampf. Der Vorwurf: Er akzeptiere
Raubbau und Greenwashing. Wie eng dürfen Umweltschützer mit Bösewichten
kuscheln?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.