# taz.de -- Gewerkschafter zu Tode gefoltert: Mord – Strafanzeige gegen Nestl… | |
> Luciano Romero, ein kolumbianischer Gewerkschafter, sollte gegen Nestlé | |
> aussagen – und wurde ermordet. Nun muss sich die Konzernleitung vor | |
> Gericht verantworten. | |
Bild: Das Grab von Luciano Enrique Romero Molina. | |
TÜBINGEN taz | Fast sieben Jahre nach der Tat sollen die | |
Mitverantwortlichen für den Mord an dem kolumbianischen Gewerkschafter | |
Luciano Romero endlich strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. | |
Die in Berlin ansässige Anwaltsgruppe des „European Center for | |
Constitutional and Human Rights“ (ECCHR) will am Dienstag beim Gericht im | |
schweizerischen Vevey eine Strafanzeige einreichen. Betroffen sind Peter | |
Brabeck-Letmathe, damals Chef der Nestlé AG, und vier weitere | |
Spitzenmanager des Lebensmittelkonzerns. | |
Sie werden „verdächtigt, den gewaltsamen Tod durch Unterlassung von | |
effektiven Schutzmaßnahmen mit verursacht zu haben“, heißt es in einem | |
Entwurf der Strafanzeige, der der taz vorliegt. | |
Romero, ein ehemaliger Arbeiter der damaligen kolumbianischen | |
Nestlé-Tochter Cicolac, war am 10. September 2005 mit 50 Messerstichen zu | |
Tode gefoltert worden. Drei Wochen nach seinem Tod sollte er in Bern vor | |
dem „Permanenten Tribunal der Völker“ gegen den Konzern aussagen. | |
Romero hatte jahrelang in der zum Nestlé-Konzern gehörenden | |
Milchpulverfabrik Cicolac in Valledupar im Norden Kolumbiens gearbeitet und | |
war Mitglied des örtlichen Vorstands der Lebensmittelgewerkschaft | |
Sinaltrainal. Im Zusammenhang mit einem Arbeitskonflikt war er 2002 | |
entlassen worden. | |
## „Mordauftrag“ an rechte Paramilitärs | |
In den Monaten nach seiner Entlassung hatte Nestlé die gesamte Belegschaft | |
von Cicolac auf die Straße gesetzt, die Hälfte der Werksanteile an den | |
neuseeländischen Milchkonzern Fonterra verkauft und mit diesem gemeinsam | |
den Betrieb mit einer neuen Belegschaft unter dem Namen Dairy Partners | |
Americas mit deutlich geringeren Lohnkosten und Sozialleistungen | |
weitergeführt. | |
Laut ECCHR haben führende Manager der Milchfabrik Romero vor seinem Tod in | |
Valledupar öffentlich beschuldigt, Mitglied einer Guerrilla zu sein. Von | |
den rechten Paramilitärs, die damals die Gegend kontrollierten, werden | |
solche Anschuldigungen als Aufforderung verstanden, den Angeschwärzten zu | |
ermorden. Tatsächlich wurden in den Jahren 2007 bis 2009 vier Paramilitärs | |
als Mörder Romeros zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. | |
In einem der Urteile ordnete der Richter an, auch gegen die örtlichen | |
Nestlé-Manager wegen ihrer Beteiligung an diesem Mord zu ermitteln. Diese | |
Ermittlungen kamen bis heute nicht voran. Erwiesen aber sind enge | |
Geschäftsbeziehungen zwischen der Milchpulverfabrik und Großgrundbesitzern, | |
die mit den Paramilitärs zusammenarbeiteten. | |
## Lebensgefährliche Diffamierungen | |
Zwei dieser Milchviehzüchter wurden deshalb inzwischen verurteilt. Nach | |
Aussagen von Salvatore Mancuso, dem inzwischen in die USA ausgelieferten | |
damaligen höchsten Chef der Paramilitärs, hat auch Cicolac diese rechte | |
Terrorgruppe finanziert. Nestlé streitet diesen Vorwurf ab. | |
Die Strafanzeige soll nun die Verantwortung der Konzernleitung für diesen | |
Mord klären. Da Nestlé seit 1944 in Kolumbien tätig ist, „hätte die | |
Konzernleitung wissen müssen, dass Diffamierungen gegen Gewerkschafter die | |
Betroffenen in Lebensgefahr versetzen“, heißt es in einem Schreiben des | |
ECCHR. | |
Die Konzernchefs der Nestlé AG seien für den Mord mitverantwortlich, weil | |
das Mutterhaus und ihre kolumbianische Tochter „eine zentral aus der | |
Schweiz gesteuerte wirtschaftliche Einheit“ bildeten. | |
## Maßstäbe für multinationale Konzerne | |
Sollte eine individuelle Verantwortung der Nestlé-Manager „aufgrund | |
mangelnder interner Organisation und Dokumentation innerhalb des | |
Unternehmens nicht nachweisbar“ sein, richtet sich die ECCHR-Anzeige | |
hilfsweise auch gegen die Nestlé AG als solche. Nach dem Schweizer | |
Strafrecht ist dies möglich. | |
Mit ihrer Anzeige wollen die Menschenrechtsanwälte nicht nur die | |
Hintergründe des Mordes an Romero aufklären. Gleichzeitig soll sie dazu | |
dienen, „das Verhalten multinationaler Konzerne in Konfliktsituationen an | |
strafrechtlichen Maßstäben zu überprüfen“. | |
Das ECCHR will damit einen „Beitrag zur Entwicklung von menschenrechtlichen | |
Standards für Unternehmen in Regionen bewaffneten Konflikts und begrenzter | |
Staatlichkeit“ leisten. Mit anderen Worten: Spitzenmanager multinationaler | |
Unternehmen sollen in Zukunft am Stammsitz des Unternehmens für das | |
Verhalten ihrer Tochterunternehmen in Konfliktregionen zur Verantwortung | |
gezogen werden können. | |
6 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Toni Keppeler | |
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