# taz.de -- Studie über erzwungene Ehen: Zwangsheirat trotz deutschem Pass | |
> Laut einer Studie zur Zwangsheirat sollen 58 Prozent der Betroffenen | |
> heiraten, damit die Familie ihr Ansehen nicht verliert. Die | |
> Familienministerin plant eine Hotline. | |
Bild: Ketten der Ehe: Nur schön, wenn sie freiwillig angelegt werden. | |
BERLIN taz | Die Zeit der Vermutungen ist vorbei: Erstmals hat die | |
Bundesregierung eine umfassende Studie zum Thema Zwangsheirat vorgelegt. | |
Dafür wurden Beratungsstellen und Schulen befragt. 2008 haben demnach 3.443 | |
von Zwangsheirat Betroffene oder Bedrohte, zu 93 Prozent Frauen und | |
Mädchen, Beratung und Schutz in entsprechenden Einrichtungen gesucht. | |
Repräsentativ ist diese Zahl nicht, wie die AutorInnen der Studie, die von | |
der Lawaetz-Stiftung und Terre des Femmes erstellt wurde, betonten. Man | |
könne keine Aussagen über das Dunkelfeld machen. "Nur die Mutigen lassen | |
sich beraten", so Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die den | |
Bericht gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten Maria Böhmer (CDU) in | |
Berlin vorstellte. Schröder betonte, dass eine Verweigerung der | |
Zwangsheirat oft die komplette Isolation von der Familie mit sich bringe, | |
weshalb die Hemmschwelle, sich einer Beratung zu offenbaren, extrem hoch | |
liege. | |
Dennoch alarmieren einige der vorgestellten Zahlen. So hört etwa das | |
Problem Zwangsheirat keineswegs mit dem Erlangen der deutschen | |
Staatsangehörigkeit auf: Fast die Hälfte der Beratenen hatte den deutschen | |
Pass. Ein Drittel war bereits in Deutschland geboren. | |
Ein Drittel der von Zwangsheirat Bedrohten oder Betroffenen war noch | |
minderjährig, 40 Prozent waren zwischen 18 und 21 Jahre alt. Knapp zwei | |
Drittel gehen noch zur Schule oder sind in einer Ausbildung. Besonders die | |
Jüngeren und die, die schlecht Deutsch sprechen, darauf wies Schröder hin, | |
kämen nicht aus eigenem Antrieb zur Beratung, sondern würden von Dritten | |
vermittelt. Mit anderen Worten: Bei ihnen hängt es von der Sensibilität | |
etwa der SchulsozialarbeiterInnen ab, ob sie überhaupt ein "Fall" werden | |
oder zur "Dunkelziffer der unerreichbar Eingeschüchterten", wie Schröder | |
sie nannte, gezählt werden müssen. | |
Als Motive für die Zwangsheirat gaben 58 Prozent der Befragten an, dass | |
"meine Familie ihr Ansehen nicht verlieren" dürfe, etwa weil die Tochter | |
bereits versprochen sei. In 27 Prozent der Fälle passte den Eltern der | |
Freund nicht. 24 Prozent wollten die Tochter versorgt sehen, 19 Prozent der | |
Familien hofften auf Geld, und knapp vier Prozent der Kinder sollten | |
verheiratet werden, weil sie lesbisch oder schwul waren. | |
Gemessen an der Häufigkeit, mit der Schülerinnen oder Azubis betroffen | |
sind, ist die Sensibilität der Schulen erschreckend gering: In der | |
Schulbefragung schätzten drei Viertel aller Schulen das Thema Zwangsheirat | |
als irrelevant ein. | |
Um die Hemmschwelle für die Nichterreichten zu senken, wollen Schröder und | |
Böhmer bis Ende 2012 eine Hotline einrichten, die 24 Stunden erreichbar und | |
mehrsprachig besetzt sein soll. Sie forderten auch, dass das Thema in der | |
Lehreraus- und -fortbildung eine Rolle spielen müsse. Und setzten sich mit | |
der Tatsache auseinander, dass 83 Prozent der Beratenen Muslime waren - | |
wobei die AutorInnen der Studie darauf hinweisen, dass die | |
Religionszugehörigkeit keinen Hinweis auf die Art des gelebten Islam gebe | |
und somit eine "leere Variable" sei. Dennoch forderte Schröder "die, die im | |
Islam zu Hause sind" auf, sich gegen Zwangsheirat zu engagieren. Schröders | |
Lockruf in Richtung Imame: "Der Islam ist Teil der Lösung." | |
9 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
## TAGS | |
Gewalt gegen Frauen | |
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