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# taz.de -- Polygamie in Kasachstan: Zweitfrauen liegen voll im Trend
> Die Vielehe wird in dem zentralasiatischen Land bei den Muslimen immer
> populärer. Ein entsprechendes Gesetz wurde bisher von weiblichen
> Abgeordneten blockiert.
Bild: Auch er soll eine Zweitfrau haben: Kasachstans Präsident Nursultan Nasar…
ALMATY taz | In Kasachstan geht der Trend zur Zweitfrau und Ismail Sidbekow
freut das. Der 35-jährige Muslim mit dem bartlosen Gesicht arbeitet in der
geistlichen Verwaltung der Muslime direkt neben der weiß gekachelten
Moschee in Almaty.
"Die Scharia gestattet schließlich einem Mann, bis zu vier Frauen zu
ehelichen", erklärt Sidbekow und öffnet den Koran, daher sei die Heirat
einer zweiten Frau von "Gott gewollt". Der Mann müsse aber die Frauen
gleich behandeln sowohl finanziell als auch "physisch, sagt der
Religionsbeamte mit einem Augenzwinkern.
Sidbekow hat bisher nur eine Ehefrau, aber sein guter Freund habe kürzlich
zum zweiten Mal geheiratet und wohne nun im stetigen Turnus eine Woche bei
der ersten und die andere Woche bei der zweiten Familie.
Im Steppenland zwischen Kaspischem Meer und chinesischer Grenze waren die
Nomaden schon lange Freunde der Polygamie. Die erste Frau heißt auf
Kasachisch "Baibische", die zweite Frau "Tokal". Für eine mögliche dritte
und vierte Gemahlin ist kein Wort bekannt. Die Sowjetmacht beendete die
Vielehe vor 90 Jahren mit drastischen Dekreten. Polygamie wurde zusammen
mit dem Brautgeld und der Zwangsheirat verboten. 1991 ging die Sowjetunion
unter, sieben Jahre später wurde die Polygamie aus dem kasachischen
Strafgesetzbuch als "Straftatbestand" entfernt.
Vor allem der Neubau der Hauptstadt Astana in der kasachischen Steppe schuf
Fakten: Die männliche Elite aus der mittleren und höheren Beamtenschaft
entdeckte die Vielehe als probates Mittel beim Pendeln zwischen der alten
und neuen Kapitale. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war die Hauptstadt des
neuen unabhängigen Staates noch die Millionenmetropole Almaty im Süden des
rohstoffreichen Landes. Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew
entschied sich, eine neue Hauptstadt nördlicher in die Steppe unweit des
zuvor unscheinbaren Provinznests Akmol ("Weißes Grab"), zu verlegen.
## Politische Heiratsvermittler
Nach den ersten wirtschaftlichen Krisenjahren infolge der Unabhängigkeit
zog der Ölexport an und spülte Milliarden in die Staatskasse. Der
kasachische Staatschef ließ von einer internationalen Architektenelite die
neue Hauptstadt in wenigen Jahren aus dem Boden stampfen.
Die Staatselite zog während der Woche nach Astana und ließ oft die Familie
in der alten Hauptstadt zurück. Schnell machte der Spruch die Runde, dass
die "Baibische" in Almaty sei, während die "Tokal" in Astana wohne. Sogar
der Präsident soll ein Kind mit einer zweiten Frau haben. Dieses Gerücht
wurde jedoch von offizieller Seite bislang nicht bestätigt.
Bei Standesämtern in Kasachstan ist bisher gleichzeitig nur eine
Eheschließung möglich. Zwei Anläufe im kasachischen Parlament, die
Polygamie staatlich registrieren zu lassen, scheiterten vor allem am
vehementen Widerstand der weiblichen Abgeordneten. Die Kasachin Bakit
Sisdikowa polemisierte, dass dann auch der Frau die Ehe mit mehren Männern
erlaubt werden müsste.
Die männlichen Abgeordneten heulten auf. 2011 wollte der skurrile
Volksdichter Amantau Asilbek mit dem Versprechen, jeder alleinstehenden
Frau mit Hilfe der Polygamie einen Ehemann zu verschaffen, bei den
Präsidentschaftswahlen in Kasachstan um die Wählerkunst buhlen. Dem
politischen Heiratsvermittler wurde aber die Registrierung verweigert.
Doch es gibt einen Ausweg. Anders als in den zentralasiatischen
Nachbarstaaten kann in Kasachstan der Imam auch ohne Vorlage des
standesamtlichen Trauscheins den religiösen Segen oder, wie es in
Kasachstan heißt, "Nike" erteilen. So hilft die Religion, dass die
Zweitfrau in Kasachstan nicht nur eine Affäre bleibt, sondern einen Status
erhält.
## Immer mehr solcher Fälle
Der Religionsbeamte Sidbekow aus Almaty geht in die Offensive. "Warum in
Sünde leben, wenn vor Gott eine solche Verbindung den Segen findet",
erklärt er und wirft dem Westen Scheinheiligkeit vor. Dort hätten viele
Männer Freundinnen oder gingen gar ins Bordell. "Das ist im Islam
verboten." Für den religiösen Segen der Zweitehe gäbe es aber eine
Bedingung. "Die erste Frau muss der Verbindung im Beisein des Imams
zustimmen", sagt Sidbekow.
Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Muslime machten keinen Unterschied
zwischen der ersten oder zweiten Eheschließung, daher werde auch diese
nicht extra festgehalten, erklärt der Kasache, "aber wir haben immer mehr
solcher Fälle".
In Aktau, einer Stadt ganz im Westen des Landes, erklärt der Moscheediener
Murat, dass eine Bescheinigung über das "Nike" für die Zweitfrau gerade für
Reisen in islamische Länder nützlich sei, denn dann könnten beide in einem
Hotelzimmer übernachten.
Dieses Papier bekommt jedoch nur, wer sich in anerkannten Moscheen trauen
lässt. Aber es gebe viele Wanderimame, die die Trauungen einfach so und
ohne Prüfungen durchführten und dann käme der Mann später zur Moschee, um
ein richtiges Zertifikat für die Zweitfrau zu erhalten. "Und das geht dann
natürlich nicht", sagt der Kasache in der Moschee von Aktau.
26 Sep 2011
## AUTOREN
Marcus Bensmann
Marcus Bensmann
## TAGS
Polyamorie
Polygamie
Jemen
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