# taz.de -- Zank auf Berliner Parteitag: Der große Graben der Grünen | |
> Die Aussprache beim Parteitag der Grünen in Berlin offenbart vor allem | |
> eins: Eine Einigung ist nicht in Sicht. Die Mitschrift einer Tragödie. | |
Bild: Sagen wir's so: Die Stimmung am Mittwoch hätte besser sein können. | |
Der Ort: Die mit über 250 Menschen übervolle Aula einer Sprachschule in | |
Prenzlauer Berg. Bei einem kleinen Parteitag wollen die Grünen sich am | |
Mittwochabend ausprechen - über alles, was im Wahlkampf schief gelaufen | |
ist. Es geht aber auch um die Krise in der Fraktion, wo sich Linke und | |
Realos gegenseitig blockieren. Am Vortag war der von den Linken | |
angefeindete Fraktionschef Volker Ratzmann entnervt zurückgetreten. | |
Prolog: Der Landesvorstand legt eine Selbstkritik in fünf Punkten vor. | |
Quintessenz: Richtig lief im Wahlkampf fast nichts. | |
Bettina Jarasch: "Als erste spricht unsere Spitzenkandidatin, äh, frühere | |
…" Raunen. | |
Auftritt Renate Künast: "Es ist auch für mich eine gefühlte Niederlage, ich | |
habe schon schönere Wahlkämpfe geführt. Es wäre einfach zu sagen, es lag an | |
mir - glaube ich aber nicht." | |
Chor der Pressevertreter: Woran dann? | |
Künast: "Ich hätte viel früher darauf bestehen sollen, dass wir das Ganze | |
strategisch zu Ende denken." Dann mit Blick auf langatmige Sitzungen: "Man | |
kann sich bei uns den Hintern platt sitzen - so lange dauert nicht mal ein | |
Sitz-Test bei Ikea." | |
Chor: Daran kann's ja wohl nicht gelegen haben. | |
Künast zum Streit in der Fraktion: "Wie soll uns denn einer glauben, dass | |
wir Verantwortung für die ganze Stadt übernehmen können, wenn wir es nicht | |
mal bei uns selbst können?" Applaus - zweimal in 20 Minuten. | |
Bettina Jarasch erklärt: "Ab jetzt spricht jeder drei Minuten." | |
Irma Franke-Dressler, ganz die ehemalige Landesvorsitzende: "Denkt an eure | |
Fehler und daran, dass es weitergehen muss!" | |
Sieglinde Müller, basiserprobt: "Ich stand im Wahlkampf mit einer halben | |
Gasflasche da statt mit neun. Schnüre für die Luftballons hatten wir auch | |
nicht. Dann kam Renate, hatte kein Wasser, hat meins getrunken. Hat | |
geredet, bis die Batterie vom Megaphon leer war." | |
Chor: Klappt bei bei denen überhaupt irgendwas? | |
Roland Wenke, Ballonprofi: "Liebe Sieglinde, wir hatten neun Gasflaschen | |
und genug Schnur." | |
Chor: Na geht doch! | |
Benedikt Lux sitzt in der letzten Reihe und sagt nichts. | |
Auftritt Christian Ströbele, der Saal ist mucksmäuschenstill: "Ich war | |
dafür, dass Renate Künast Spitzenkandidatin wird. Aber wir hätten ihr von | |
Anfang an ein Team an die Seite stellen müssen." Drei Minuten sind um, er | |
spricht über die Plakate: "Ich hab' da auch gelitten: Zum Teil waren das | |
Plakate für Bankangestellte, aber nicht für eine Spitzenkandidatin." Nach | |
sechs Minuten meldet sich Jarasch zaghaft: "Christian, auch für dich gilt | |
das Zeitlimit". Ströbele redet weiter. | |
Franziska Eichstädt-Bohlig, ganz die ehemalige Fraktionschefin: "Fangt | |
endlich an zu arbeiten!" Sie redet weit über drei Minuten, die Basis buht. | |
Monika Herrmann: "Die Situation in der Fraktion ist ein Stellvertreterkrieg | |
für die gesamte Partei. Um das zu lösen, brauchen wir das ganze Jahr 2012." | |
Heiko Thomas: "Ich kann mich nur entschuldigen für das, was wir in der | |
Fraktion abgeliefert haben. Dafür habe ich mich nicht wählen lassen. Ich | |
sehe drei Jahre vor uns, bevor wir uns Gedanken machen können, was | |
vielleicht nach der nächsten Wahl 2016 ist." | |
Chor: Man reiche dem Mann die Asche für sein Haupt. | |
Ramona Pop dankt ihrem zurückgetretenen Kovorsitzenden Ratzmann: "Volker | |
hat wesentlich dazu beigetragen, das Ansehen der Grünen zu erhöhen". Langer | |
Beifall von allen Seiten. Rufe aus dem Publikum: "Ramona, deine Redezeit | |
ist um!" | |
Pop redet weiter: "Ich lasse mir nicht einreden, dass wir in einer | |
Sackgasse stecken und eine knallharte Niederlage erlitten haben." Buhrufe | |
wegen Zeitüberscheitung. "Dann setze ich mich halt wieder hinten auf die | |
Rednerliste". Tritt ab, vorerst. | |
Dirk Behrendt macht die Offenheit der Realos für eine Koalition mit der CDU | |
für die Wahlschlappe verantwortlich: "Ich erwarte, dass hier Leute sagen: | |
Das war falsch. Stattdessen machen sich hier alle einen schlanken Fuß." | |
Applaus von links. | |
Volker Ratzmann knetet sein Kinn. Benedikt Lux rauft sich die Haare. | |
Ratzmann gibt kurz Fehler zu, erinnert sich dann daran, dass sich Behrendt | |
in der taz dafür aussprach, Grün-Schwarz auszuloten: "Lieber Dirk, ich | |
finde es geradezu bigott, wie Du Dich hier hingestellt hast." Fuchtelt mit | |
dem Zeigefinger Richtung Behrendt. "Du wolltest an die Fleischtöpfe." Redet | |
lauter. "Du hast mitgemacht!" Dreht weiter auf. "Jetzt übernimm auch die | |
Verantwortung!" Die Menge tobt. Beim Rausgehen zum taz-Journalisten: | |
"'Lautsprecher der Fraktion', das habt Ihr doch über mich geschrieben!" | |
Thomas Birk tritt als möglicher, weil zwischen den Flügeln stehender | |
Kompromisskandidat für den Fraktionsvorsitz ans Mikro: "Wir haben jetzt in | |
der Fraktion seit zwei Monaten nicht über Inhalte gesprochen. Dabei sind | |
wir gar nicht so weit auseinander." Betont seine Nähe zu den Linken, ruft | |
dann zu Behrendt: "Trotzdem mache ich nicht mit bei diesem | |
Vernichtungsfeldzug, den Du, Dirk, führst." Tritt als kaum mehr möglicher | |
Kompromisskandidat wieder ab. | |
Theresa Theune fragt die Wahlkampfführung nach dem Grund für die kritische | |
Berichterstattung: "Was habt Ihr mit der Presse gemacht? Beim nächsten Mal | |
koch ich gerne Kakao mit viel Zucker für die Journalisten!" | |
Chor: lächelt wissend. | |
Norbert Schellberg: "Ich fordere die Fraktion auf, am Kurs der | |
Eigenständigkeit festzuhalten. 2001 hatten wir 9,1 Prozent, 2006 13,3 und | |
jetzt 17,6 - ich möchte in diesen gesunden Raten weiter wachsen." Applaus | |
von der einen Seite. "Spalter!"-Rufe von ganz hinten. | |
Susanna Kahlefeld: "Ein Weg der Eigenständigkeit bedeutet nur, dass man | |
sich von der SPD absetzt und einen Kurs nach rechts anstrebt, was wir | |
gerade bei der Integrationspolitik gesehen haben." Applaus von der anderen | |
Seite. | |
Benedikt Lux geht. | |
Jochen Esser raunzt, schimpft, haut aufs Pult. Das Mikro droht zu Bruch zu | |
gehen. Dass er überraschenderweise Ströbele zustimmt, geht unter. Später | |
schimpft Esser ohne Mikro. | |
Epilog: Bettina Jarasch, nach fast vierstündiger Debatte auf dem Hof Bilanz | |
ziehend: "Das musste halt alles mal raus!" | |
Stefan Gelbhaar, Ex-Landesvorsitzender und möglicher Kompromisskandidat für | |
den Fraktionsvorsitz, der im Saal nichts gesagt hat: "Vorsicht, der tazler | |
schreibt alles mit". | |
Chor der Pressevertreter will noch was beim Italiener gegenüber trinken. Da | |
kommen die Grünen rein. Leichtes Murren. | |
17 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Gereon Asmuth | |
## TAGS | |
Abgeordnetenhauswahlen 2016 | |
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