# taz.de -- Vor dem Grünen-Landesparteitag: "Wir haben was richtig gemacht" | |
> Die Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener sehen keine | |
> Polarisierung in haltlichen Fragen - trotz aller bisherigen | |
> Streitigkeiten. | |
Bild: "Wir sind große Schritte weiter gekommen": Die beiden Berliner Grünench… | |
taz: Frau Jarasch, "der große Graben" lautete die Überschrift des | |
taz-Berichts über den letzten Parteitag der Grünen: Es ging um heftige | |
Vorwürfe und laute Wortgefechte. Bekommen Sie beim nächsten am Samstag | |
diesen Graben zugeschüttet? | |
Bettina Jarasch: Zum Teil. Wir sind große Schritte weiter gekommen. Was | |
sich da beim vergangenen Mal Luft gemacht hatte, war ja auch einfach noch | |
sehr viel Enttäuschung über die nicht erfüllten Erwartungen nach der | |
Abgeordnetenhauswahl. Inzwischen sind wir in einer ganz anderen Situation: | |
Die neue Regierung ist im Amt, die Fraktion hat angefangen zu arbeiten. Die | |
Partei - das merkt man vor allem, seit das neue Jahr begonnen hat - will | |
loslegen und die Aufgabe als Oppositionsführerin ausfüllen. | |
Also ist der Graben schon weg, Herr Wesener? | |
Daniel Wesener: Wir hatten immer den Eindruck, dass es den von der taz | |
beschriebenen großen Graben so in der Partei gar nicht gibt, sondern dass | |
wir es mit einem Konflikt innerhalb der Fraktion zu tun haben. Der | |
Parteitag ist eine gute Chance, nach vorne zu blicken und zu sagen, was wir | |
vorhaben. | |
Ein Graben nur in der Fraktion und nicht in der Partei? Was ist es denn | |
dann, wenn sich beim vergangenen Parteitag Leute anbrüllten und gegenseitig | |
aufs Heftigste kritisierten? | |
Jarasch: Durch die Art, wie wir diese Auseinandersetzung geführt haben, | |
sind ein paar Dinge ins Rutschen gekommen, die selbstverständlich sein | |
sollten. | |
Da spielen ja auch persönliche Attacken eine große Rolle. | |
Jarasch: Wir haben Flügel, es gibt unterschiedliche Schwerpunktsetzungen, | |
es gibt zum Teil ein unterschiedliches Selbstverständnis - aber keine zwei | |
einander gegenüber stehenden Politikentwürfe. Deshalb haben wir im | |
Leitantrag versucht zu beschreiben, was die gemeinsame Grundlage ist. | |
Der kommende Parteitag, so die Erwartungen noch im November, sollte | |
eigentlich der große Showdown werden: Mit der Klärung aller offener Fragen, | |
von der Verortung links, Mitte, bürgerlich bis hin zum Thema Gewaltmonopol | |
der Polizei. Wenn ich Sie so höre sieht es nicht so aus, als ob Sie den | |
Parteitag auch so sehen. | |
Wesener: Nein, das sehen wir tatsächlich nicht so. Und auch die Partei will | |
keinen Showdown, aber sehr wohl eine Klärung. Persönliche | |
Auseinandersetzungen, die es in der Fraktion gegeben hat, dürfen die für | |
uns relevanten Fragen nicht überlagern: Wie geht es weiter mit dem | |
Klimaschutz, wo der Senat offensichtlich nichts macht? Wie schaffen wir es, | |
dass diese Stadt nicht weiter sozial auseinanderdriftet? Wie schaffen wir | |
eine moderne Infrastruktur, deren Kern nicht darin besteht, ein paar | |
Kilometer Autobahn zu bauen? | |
Das klingt alles so wie: Genug der Analyse, es ist alles geklärt, jetzt mal | |
weiter und nach vorn blicken. Rednerinnen wie Exparteichefin Irma | |
Franke-Dressler, die das beim vergangenen Parteitag so formulierten, sind | |
schier ausgebuht und kritisiert worden, sie wollten etwas zukleistern. | |
Jarasch: Aber inzwischen sind wir zwei Monate weiter. Wir haben ja eine | |
sehr selbstkritische Wahlauswertung vorgenommen - wir hatten zu wenig | |
zugespitzte Konzepte, die so grün und eigenständig waren, dass die Leute | |
uns dafür gewählt haben. Der Blick wendete sich in den letzten Wochen nach | |
vorn, in der Partei wie in der Stadt. Da kommt die klare Botschaft: Ihr | |
habt Euch jetzt genug zerfleischt, jetzt arbeitet mal wieder. | |
Jüngst bei einer Parteiversammlung haben Sie, Herr Wesener, gesagt: Es sei | |
nicht Aufgabe der Partei, sich mit den Vorgängen in der Fraktion zu | |
beschäftigen. Aber wer sollte es denn sonst tun, wenn nicht die Partei, | |
deren parlamentarischer Arm diese Fraktion ist? | |
Wesener: Gemeint war damit: Wir werden den Konflikt als Partei nicht in | |
unserem Leitantrag auflösen oder ungeschehen machen. Wir können nur | |
definieren, auf welcher Grundlage die Fraktion Politik machen soll und wie | |
wir aus unseren Fehlern lernen. Wir wollen im Leitantrag deutlich machen, | |
was die Schwerpunkte unserer Politik sind. | |
Dirk Behrendt, Leitfigur der Parteilinken, hat jüngst zu Ihrem Papier | |
gesagt: Wir werden den Streit nicht lösen, indem wir ihn gar nicht mehr | |
erwähnen. | |
Jarasch: Natürlich kann man den ganzen Leitantrag auch vor dem Hintergrund | |
der Vorgänge in der Fraktion lesen. Vor diesem Hintergrund bekräftigen wir | |
Dinge, die für alle selbstverständlich sein sollten, etwa, dass | |
demokratische Wahlen anerkannt sein müssen. | |
Da steht auch etwas vom Kurs der Eigenständigkeit drin - das definiert doch | |
jeder Parteiflügel anders. | |
Wesener: Wir müssen anhand der Inhalte definieren, was grüne Programmatik | |
ist und wo sie mit wem anschlussfähig ist. Eine Diskussion, welcher der | |
beiden Regierungsparteien wir vermeintlich näher stehen oder nicht, finden | |
wir unproduktiv. Es geht darum, Rot-Schwarz herauszufordern und zu zeigen, | |
was man anders und besser machen will. Dazu haben wir im Leitantrag zwei | |
Debattenfelder herausgearbeitet: Wir wollen unser soziales und ökologisches | |
Profil schärfen und mit einem Green New Deal für Berlin aufzeigen, wie | |
nachhaltiges Wirtschaften geht. | |
Das sieht so aus, als ob sie bewusst Themen nennen, hinter denen sich | |
tatsächlich alle wie um ein über allen wehendes Banner sammeln können, egal | |
ob sie nun links oder bürgerlich oder nichts sind. Widerstreitende | |
Meinungen nennen Sie "Pluralismus, den wir produktiv nutzen wollen". | |
Wesener: Wir versuchen, die Konflikte, die Sie beschreiben, positiv zu | |
wenden. | |
Die Reaktionen sind aber nicht so versöhnlich. Die sich gegenüber stehenden | |
Kreisverbände Kreuzberg und Zehlendorf wollen am Samstag Dinge in den | |
Leitantrag reinschreiben, der die jeweils andere Seite nie zustimmen würde. | |
Da ist nichts mit: jetzt gemeinsam weiter. | |
Jarasch: Natürlich gibt es bei uns verschiedene Positionen. Aber das sind | |
doch genau die Auseinandersetzungen, die wir führen wollen. Das wird uns | |
nicht zerreißen. | |
Wesener: Zumal die extreme Polarisierung in den inhaltlichen Debatten gar | |
nicht zum Tragen kommt. | |
Es ist doch schon fundamental, wenn die einen die Partei eindeutig als | |
"Mitte links" festschreiben wollen, die anderen aber gar kein linkes oder | |
anderes Etikett haben wollen. | |
Wesener: Die Debatten, die Sie jetzt so betonen, die interessieren die | |
Stadt und die meisten Berlinerinnen und Berliner doch gar nicht. Die | |
Erwartungshaltung ist, dass sich Partei und Fraktion mit den Problemen in | |
der Stadt und nicht mit sich selber beschäftigen. Mit unserem Antrag heben | |
wir die Debatte auf die inhaltliche Ebene. | |
Aber für ein solches Anheben muss doch die Basis stabil sein. In einer | |
Kreuzberger Grünen-Versammlung hat jemand festgestellt: Wenn es keine | |
strategische Klärung gebe, "dann kann da nur Murks rauskommen". | |
Jarasch: Wir haben doch klare strategische Aussagen - wie wir mit | |
Rot-Schwarz umgehen oder dass wir keine Nischenpartei sind. Falls irgend | |
jemand noch daran festhalten möchte, sagt dieser Leitantrag etwas anderes. | |
Darüber können wir beim Parteitag auch abstimmen. Was ich nicht mehr | |
erleben möchte, ist, dass die Leute, die Kontakt zur IHK haben und die, die | |
Kontakt zum Mieterbund haben, das gegeneinander ausspielen. | |
Wesener: Das sollte auch eine Selbstverständlichkeit sein. | |
Herr Wesener, wie kriegen Sie das hin, als Landeschef für einen Leitantrag | |
zu stehen, zu dem die meisten Gegenanträge aus dem Kreisverband | |
Friedrichshain-Kreuzberg kommen, in dem Sie noch vor kurzem eine führende | |
Figur waren? | |
Wesener: Ihre Wahrnehmung ist falsch. Wenn ich mir die Änderungsanträge | |
angucke, kommen die von ganz verschiedenen Exponenten. Bettina Jarasch und | |
ich haben die Erfahrung gemacht, dass es Kritik an diesem Leitantrag sowohl | |
von linker wie von realpolitischer Seite gab. Wir ziehen daraus den | |
Schluss, dass wir was richtig gemacht haben. | |
20 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## TAGS | |
Abgeordnetenhauswahlen 2016 | |
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