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# taz.de -- Asylpolitik der EU: "Europa attraktiver machen"
> Cecilia Malmström, EU-Kommissarin für Asylpolitik, fürchtet, dass Europa
> sich abschottet. Sie hat Ideen, wie Migration erleichtert und
> Menschenschmuggel verhindert werden kann.
Bild: Demonstration von Einwanderern in Athen.
taz: Frau Malmström, Einwanderungspolitik ist in der Wirtschaftskrise kein
sehr beliebtes Thema. Frustriert Sie Ihr Job derzeit?
Cecilia Malmström: Ja, es ist schwierig derzeit, mit den Mitgliedstaaten
der EU über andere Themen als die Wirtschaftskrise zu sprechen. Die
Minister sagen mir: ,Wir haben zurzeit eine hohe Arbeitslosigkeit in der
EU. Wir können uns jetzt nicht um die Zuwanderung von Arbeitskräften
kümmern.' Das ist kurzsichtig. Alle wissen, dass wir Arbeitskräfte aus
Drittländern brauchen werden, wenn unsere Wirtschaft wieder wächst.
Wie versuchen Sie die Minister von Ihrem Thema zu überzeugen?
In ein paar Jahren brauchen wir 200.000 Arbeitskräfte im
Gesundheitsbereich. Die gibt es in der EU nicht. Im IT-Sektor gehen die
Schätzungen von rund 800.000 fehlenden Fachkräften aus. Also müssen wir
Europa im Vergleich mit den USA oder Kanada attraktiver machen.
Die Blue-Card ermöglicht es Hochqualifizierten, legal einzuwandern. Wie
sieht es mit der Umsetzung dieser Karte aus?
Sechs Länder, darunter auch Deutschland, haben die Karte noch nicht
ordnungsgemäß eingeführt. Ich habe entsprechende Briefe an die Regierungen
geschickt, und wir werden ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, falls
wir keine zufriedenstellenden Antworten bekommen. Es ist noch zu früh, um
den Erfolg der Blue Card zu messen. Aber sie gilt sowieso nur für eine
kleine Gruppe. Wir brauchen viel mehr.
Was wünschen Sie sich?
Ich hätte gern die gleiche Prozedur in der gesamten EU: Die Person, die
einwandern will, muss nachweisen, dass sie ein Jobangebot hat. Der
betroffene Mitgliedstaat prüft, ob es diesen Job tatsächlich gibt, und dann
darf die Person einreisen. Das wäre ideal. Aber wir haben eine Stückelung:
Es gibt die Blue Card für bestimmte Bereiche. Zurzeit arbeiten wir an einer
Richtlinie für Saisonarbeiter. Dann gibt es eine Regelung für Studenten und
Forscher. Das ist zurzeit der einzige Weg, alle EU-Länder ins Boot zu
holen.
Ist die Einwanderungspolitik ein Opfer der Wirtschafts- und Finanzkrise?
Auf jeden Fall. Aber wir müssen Verantwortung übernehmen. Die Welt hört
nicht auf, sich zu drehen, nur weil wir hier eine Krise haben. Wir haben
eine Verantwortung, die Flüchtlinge, die derzeit beispielsweise aus Libyen,
Syrien oder dem Jemen kommen, menschenwürdig zu behandeln.
Sie setzen sich für ein gemeinsames europäisches Asylsystem ein. Das soll
2012 installiert werden, aber vor allem Deutschland blockiert das.
Jemand, der um Asyl bittet, muss überall in der EU die gleichen Bedingungen
haben. Man kann doch mit Schicksalen keine Lotterie betreiben. Aber es ist
noch möglich, im Laufe des kommenden Jahres einen Kompromiss zu finden.
Optimismus ist eine Pflicht, vor allem in diesem Politikbereich.
Die deutsche Bundesregierung behauptet, wenn überall in der EU die gleichen
Asylregeln gelten, würden viel mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.
Stimmt das?
Diese Angst ist völlig unbegründet. Derzeit stellen 90 Prozent aller
Asylbewerber in der EU ihre Anträge in zehn Ländern, darunter auch
Deutschland. Sie gehen dorthin, weil sie wissen, dass das System
funktioniert und sie eine Chance auf eine faire Behandlung haben. Wenn in
den anderen 17 Ländern diese Bedingungen vorhanden wären, könnte man die
Verantwortung besser verteilen. Und es wäre auch eine effektive Waffe gegen
das "Asyl-Shopping", also dass Flüchtlinge ihre Anträge in mehreren Ländern
hintereinander stellen.
Die deutsche Regierung wehrt sich nicht nur gegen eine Harmonisierung der
Aufnahmekriterien. Sie will auch keine Änderung des sogenannten
Dublin-II-Abkommens, das festlegt, dass Asylbewerber ihren Antrag in dem
Land stellen müssen, über das sie in die EU eingereist sind.
Im Allgemeinen funktioniert Dublin. Nur in Griechenland ist die Situation
ein Desaster. Da versuchen wir zu helfen. Aber wir brauchen für solche
Fälle einen Notfallmechanismus. Wenn ein Land die Asylanträge nicht mehr
ordnungsgemäß bearbeiten kann, dann muss es die Möglichkeit geben, die
Abschiebungen dorthin für eine bestimmte Zeit auszusetzen.Aber die
Mitgliedstaaten wehren sich gegen eine solche Solidaritätsklausel.
Wäre es nicht besser, die Flüchtlinge nach anderen Kriterien,
beispielsweise nach ihren Sprachkenntnissen, zu verteilen?
Ja, das wäre besser. In einer idealen Welt hätten wir solch ein System.
Aber Brüssel kann den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, wie viele
Flüchtlinge sie aufnehmen sollen. Die Griechen wollen eine Mauer oder einen
Graben errichten an der Grenze zur Türkei, um gegen illegale Einwanderung
vorzugehen.
Haben Sie Angst, dass die EU tatsächlich zu einer Festung wird?
Ja, das befürchte ich. Natürlich müssen unsere Grenzen geschützt werden.
Wir können nicht alle Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir müssen sicherstellen,
dass Menschen an unsere Grenzen kommen und um Schutz bitten können. Das ist
ein Menschenrecht.
Und wir müssen auch jenen Menschen ermöglichen, die in die EU wollen, weil
sie ihr Leben frei gestalten, arbeiten, eine Zukunft haben wollen. In immer
mehr EU-Ländern sind ausländerfeindliche Parteien an der Regierung
beteiligt oder zumindest im Parlament vertreten. Das macht es schwer, eine
verantwortungsvolle Einwanderungspolitik zu gestalten. Und ja, es führt
dazu, dass wir eine Festung um uns herum bauen.
18 Nov 2011
## AUTOREN
Ruth Reichstein
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