# taz.de -- Asylpolitik der EU: Keine klaren Kriterien | |
> Für die Anerkennung und Unterbringung von Asylbewerbern müssen EU-weite | |
> Standards eingeführt werden. Damit wäre allen Seiten geholfen. | |
Bild: Wie genau Behörden in der EU über Asylanträge entscheiden, ist oft und… | |
BRÜSSEL taz | Das belgische Rote Kreuz kann nur noch tatenlos zusehen: In | |
Brüssel kommen seit einigen Wochen so viele Asylbewerber an, dass keine | |
Schlafstätten mehr zur Verfügung stehen. | |
Vor allem alleinstehende Männer werden abgewiesen und müssen oft auf der | |
Straße übernachten. In Belgien sind im Oktober knapp 2.600 Asylanträge | |
gestellt worden - so viel wie seit zehn Jahren nicht mehr. Das Rote Kreuz | |
hat keine Kapazitäten mehr. Der Staat stellt keine zusätzlichen | |
Schlafmöglichkeiten zur Verfügung. | |
In Athen sieht die Lage noch viel dramatischer aus. In dem von der Finanz- | |
und Wirtschaftskrise gebeutelten Land denkt kaum noch einer an die | |
Asylbewerber, die schon vor der Krise in menschenunwürdigen Zuständen leben | |
mussten: Sie schlafen auf der Straße oder in Verschlägen, sie haben keinen | |
Zugang zu sanitären Anlagen und bekommen keine medizinische Versorgung. | |
In Deutschland oder Schweden sind solche Meldungen undenkbar. Die große | |
Mehrheit der Asylbewerber hat ein sauberes Bett, die Kinder können zur | |
Schule gehen, Kranke werden versorgt. Aber so sieht es eben bei weitem | |
nicht in allen EU-Ländern aus. Deshalb ist es höchste Zeit, das System zu | |
harmonisieren, um den Flüchtlingen menschenwürdige Lebensumstände zu | |
ermöglichen und der Asyllotterie ein Ende zu bereiten. Nicht nur die | |
Unterbringungsmöglichkeiten variieren stark von Land zu Land. Das Gleiche | |
gilt für die Kriterien für die Anerkennung von Asylanträgen. | |
In Griechenland bekamen 2010 nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat | |
nur 165 Asylbewerber Aufenthaltsgenehmigungen. Über 15.000 hatten Anträge | |
gestellt. In Deutschland dagegen waren es immerhin 10.000 positive | |
Bescheide bei knapp 32.000 Anträgen. Insgesamt stellten 2010 rund 260.000 | |
Menschen Asylanträge in den EU-Ländern. | |
## Sechs Richtlinien zur Harmonisierung | |
Wie genau die Behörden entscheiden, ist oft undurchsichtig. Klare Standards | |
gibt es kaum. Oft hängt die Entscheidung davon ab, ob der Beamte dem | |
Flüchtling seine Geschichte und seine Fluchtgründe glaubt oder nicht. | |
Deshalb ist es wichtig, dass sich die EU-Mitgliedstaaten auf gemeinsame und | |
klare Standards einigen. | |
Eigentlich haben sie das bereits im Programm von Stockholm im Dezember 2009 | |
getan. Dieser Mehrjahresplan gibt den Rahmen vor für die EU-weite Innen- | |
und Sicherheitspolitik. Neben Datenaustausch und polizeilicher | |
Zusammenarbeit geht es dabei auch um eine gemeinsame Einwanderungspolitik | |
einschließlich eines harmonisierten Asylsystems. Auch die deutsche | |
Bundesregierung hat das Programm damals unterschrieben. Jetzt blockiert sie | |
die Einigung, obwohl das gemeinsame Asylsystem bereits im kommenden Jahr | |
eingeführt soll. | |
Die Europäische Kommission hat sechs Richtlinien vorgelegt, um die | |
Einwanderungspolitik zu harmonisieren. Die wichtigste darunter betrifft die | |
gemeinsamen Standards für die Asylbewerber. Dazu gehört zum Beispiel, dass | |
sie eine Arbeitserlaubnis bekommen sollen, dass sie den gleichen Anspruch | |
auf Sozialleistungen haben wie inländische Sozialhilfeempfänger und dass | |
gewisse Verfahren wie zum Beispiel die direkte Abschiebung am Flughafen | |
stark eingeschränkt werden sollen. Gegen alle drei Punkte wehrt sich die | |
deutsche Bundesregierung. | |
Die EU-Kommissarin Malmström konnte kürzlich aber auch einen Erfolg | |
vermelden: Die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament haben sich auf | |
die Verabschiedung einer ersten Richtlinie aus dem Asylpaket geeinigt. | |
Allerdings geht es in der "Asylqualifikationsrichtlinie" nur um eine kleine | |
Randgruppe von Flüchtlingen: Personen, die nach der Genfer | |
Flüchtlingskonvention nicht direkt Anspruch auf Asyl haben, aber dennoch | |
Schutz benötigen, sollen in Zukunft den übrigen Asylbewerben gleichgestellt | |
werden und die gleichen Rechte erhalten. Dazu gehören zum Beispiel | |
Folteropfer und Zwangsverheiratete. | |
18 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Ruth Reichstein | |
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