# taz.de -- Debatte Kapitalismus: Geld drucken? Gute Idee! | |
> Die Bank of England kauft die Schulden des Staates. Sie wird damit zum | |
> Konkurrenten der privaten Investoren – was diese aber nicht schreckt, | |
> sondern beruhigt. | |
Bild: Wie dankbare Dackel wedeln die Anleger mit dem Schwanz: Bank of England i… | |
Marode ist nicht gleich marode. Dieser Satz ist formal unlogisch, erhält | |
aber eine ganz neue Logik, wenn man auf Großbritannien blickt. Eigentlich | |
sieht es dort bedrohlich aus. Die Wirtschaft stagniert, die | |
Staatsverschuldung galoppiert, und die Inflation ist inzwischen auf 5,2 | |
Prozent geklettert. | |
Großbritannien, so könnte man erwarten, steuert in die Pleite. Doch | |
nirgends ist ein Spekulant zu sehen, der auf den Konkurs der Insel wetten | |
würde. Im Gegenteil. Für eine 10-jährige Staatsanleihe muss das Vereinigte | |
Königreich nur 2,15 Prozent Zinsen zahlen. Das ist sensationell niedrig. | |
Zur Erinnerung: Die britische Inflation liegt bei über 5 Prozent. Jeder | |
Anleger macht also einen herben Verlust, wenn er britische Schatzbriefe | |
kauft - und trotzdem gibt es reichlich Interessenten. Kapitalisten | |
vernichten freiwillig ihr Kapital. Das ist erstaunlich. | |
Dieses masochistische Verhalten mutet schon deswegen seltsam an, weil sich | |
zumindest theoretisch auch andere Anlageobjekte empfehlen würden. Spanien | |
zum Beispiel. Wer dort in Staatsanleihen investiert, erhält momentan eine | |
Rendite von 7,1 Prozent. Und weil die Inflation im Euroraum bei etwa 3 | |
Prozent liegt, ergibt sich ein satter Zinsgewinn. Doch niemand zeigt | |
Interesse. Stattdessen reimt sich panisch auf spanisch, und die Anleger | |
trennen sich hektisch von ihren spanischen Staatsanleihen, obwohl sie dabei | |
Kursverluste erleiden. Warum? | |
## Marode ist nicht gleich marode | |
An Spanien selbst kann es nicht liegen, denn dort sieht es sehr ähnlich aus | |
wie in Großbritannien. Ähnliche Staatsverschuldung, ähnliche Defizite und | |
eine ähnliche Konjunktur. Die spanische Wirtschaft wird in diesem Jahr um | |
0,8 Prozent wachsen, die britische um 1,0 Prozent. Aber offenbar ist marode | |
eben nicht gleich marode. | |
Denn Großbritannien besitzt, was Spanien fehlt: eine eigenständige | |
Notenbank. Spanien muss sich der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank | |
(EZB) fügen, während in Großbritannien die Bank of England regiert. Dabei | |
ist das Problem der Spanier nicht, dass sie aus Frankfurt ferngesteuert | |
werden - sondern dass sich die EZB so beharrlich weigert, Staatsanleihen zu | |
kaufen. | |
Die Bank of England hingegen kennt da keine Skrupel. Erst kürzlich hat das | |
Direktorium beschlossen, weitere 75 Milliarden Pfund aufzuwenden, um | |
britische Staatspapiere zu erwerben. Diese Entscheidung fiel übrigens | |
einstimmig - und auch nicht zum ersten Mal. | |
Schon 2009/2010 hatte die Bank of England Staatspapiere in Höhe von fast | |
200 Milliarden Pfund aufgekauft. Fachleute sagen dazu gern: Die | |
Staatsschuld wird monetarisiert. Laien nennen dies lieber: Es wird Geld | |
gedruckt. Und diese Übersetzung ist nicht falsch. | |
## Kapitalisten wollen Inflation | |
Die Anleger sind trotzdem unbeirrt. Sie strömen nach Großbritannien, obwohl | |
dort nur Negativzinsen auf sie warten. Offenbar ist es für die Investoren | |
beruhigend, dass ihr Kapital entwertet wird. Sie akzeptieren eine moderate | |
Inflation von 5 Prozent. | |
Dieses Verhalten ist für viele Deutsche schlicht unvorstellbar. Inflation | |
ist hier das große Igitt-Wort, das weiträumig zu meiden ist. Psychologisch | |
ist diese Angst zu verstehen, denn die beiden Hyperinflationen von 1923 und | |
1948 haben selbst bei den Ururenkeln noch Traumaspuren hinterlassen. | |
Andere Völker sind weniger pingelig. Die Investoren, die in Großbritannien | |
unterwegs sind, kalkulieren ganz schlicht: Eine maßvolle Kapitalvernichtung | |
ist die beste aller schlechten Varianten. Denn die Alternative wäre der | |
ungeordnete Vermögenscrash. | |
Die Finanzkrise ist nämlich nicht vorbei. Sie wurde nur verlagert - von den | |
Banken auf die Staaten, die die konkursreifen Institute retten und die | |
Konjunktur vor dem völligen Absturz bewahren mussten. Diese Mega-Belastung | |
hat alle europäischen Staaten an den Rand des Bankrotts geführt. Auch | |
Deutschland steht bekanntlich nicht besonders gut da und hat sogar noch | |
mehr Schulden als Spanien oder Großbritannien. | |
Fragt sich also: Wie kommt der Staat von seinen Schulden runter? Die | |
möglichen Antworten sind übersichtlich. Es gibt nur drei denkbare Modelle, | |
wie sich eine Pleite vermeiden lässt. Der Staat kann sparen, er kann die | |
Steuern anheben - oder aber die Zinsen unter die Inflation drücken. | |
Die beiden ersten Varianten verfolgt Spanien: Es spart massiv und erhöht | |
die Steuern. Trotzdem fliehen die Investoren panisch. Das ist weniger irre, | |
als es aussieht. Die Anleger wissen aus Erfahrung, dass eine Rezession | |
droht, wenn der Staat bei den Ausgaben kürzt. Mit der Rezession aber | |
steigen die Defizite, so dass die Staatspleite näher rückt, nicht weiter | |
weg. | |
## Kapitalisten sind wie Dackel | |
Die Bank of England wählt die dritte Variante. Sie druckt Geld, indem sie | |
britische Staatsanleihen aufkauft. Das Signal an die Investoren ist | |
unmissverständlich: Ihr werdet entmachtet. Wenn ihr die britischen | |
Staatsanleihen nicht nehmt, dann gehen sie eben an die Notenbank. Und wie | |
dankbare Dackel wedeln die Anleger prompt mit dem Schwanz und wackeln zum | |
Futtertrog. | |
Eifrig kaufen sie die Staatsanleihen, die ihnen hingeworfen werden. Ohne zu | |
bellen, akzeptieren die Investoren, dass ein freier Finanzmarkt in | |
Großbritannien nicht mehr existiert. Stattdessen diktiert die Bank of | |
England die Niedrigstzinsen für Staatsanleihen, weil sie als potenzieller | |
Käufer stets bereitsteht. | |
Die Bank of England wird also zum Konkurrenten der privaten Investoren - | |
was die Anleger jedoch nicht etwa schreckt, sondern zutiefst beruhigt. Denn | |
sie können sicher sein, dass sie ihre britischen Staatsanleihen jederzeit | |
loswerden, auch wenn sich kein privater Käufer finden sollte. Die Bank of | |
England garantiert, dass der Finanzmarkt nicht austrocknet, weil sie der | |
Markt ist. Für diese Garantie akzeptieren die Investoren, dass ihr Kapital | |
schrumpft, weil die Zinsen noch nicht einmal die Inflation ausgleichen. | |
Der Verlust der Anleger ist der Gewinn des britischen Staates. Seine | |
Schulden finanzieren sich wie von selbst. Übrigens geht die US-Notenbank | |
Fed genauso vor. Der Trick ist so simpel, dass man sich wundern muss, dass | |
die Eurozone darauf verzichtet. Aber noch blockieren die Deutschen. Sie | |
wollen es einfach nicht glauben: Geld drucken ist eine gute Idee. | |
18 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
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