Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Ein schönes Wort kehrt heim
> Wir haben es schon mal gemacht. Wir könnten es noch einmal tun. Und
> diesmal europaweit: Der Lastenausgleich, ein radikaler Ausweg aus der
> Finanzkrise.
Der Erste, bei dem ich auf das alte Wort stieß, war Christian Klaer. Der
Exmanager hat 2010 mit Wut und Fantasie eine ebenso gut recherchierte wie
unterhaltsame Politfiktion verfasst: "Mein Plan für Deutschland. Die 100
Tage des nächsten Kanzlers". Nach dem überraschenden Sieg einer neuen
Partei - Obama und die Piraten stehen Modell - setzt diese gegen Märkte und
Phlegma das Vernünftige durch, das bisher als nicht machbar gilt. Und ein
zentraler Punkt in der Regierungserklärung ist: der "Lastenausgleich".
Die Älteren erinnern sich: Mit Gesetz vom 14. August 1952 wurde eine Abgabe
von 50 Prozent auf alle deutschen Vermögen erhoben, nach Abzug eines
Freibetrags von 150.000 DM. Sie floss in einen halbwegs solidarischen
Ausgleich der Vermögensverluste durch Weltkrieg und Vertreibung.
Ein neuer Lastenausgleich müsste die Schäden kompensieren, die dem
Gemeinwohl durch die systemische Krise des westeuropäischen Kapitalismus
entstanden sind und weiter entstehen werden. Er zielte zuvörderst auf die
Tilgung der Schulden, die allein den deutschen Staat in jedem Jahr mit
mindestens 50 Milliarden Zinsen belasten. Ein schöner Gedanke, dachte ich,
als ich das las.
## Radikaler Schuldenabbau
Vor einem Monat nun druckte die Zeit den Beitrag des emeritierten Trierer
Ökonomieprofessors Harald Spehl. Sein Argument: Die "Rettungsschirme"
halten den Hagel der Schuldforderungen nur auf Zeit ab, in immer kürzeren
Intervallen. Die Staaten erhalten ihre Handlungsfähigkeit dadurch nicht
zurück; dazu bedürfe es eines radikalen Abbau der Schulden. Durch einen
"Lastenausgleich".
Die Rechnung geht etwa so: Die Nettovermögen der privaten Haushalte in
Deutschland betragen bei vorsichtiger Schätzung 6,6 Billionen Euro - in den
letzten 20 Jahren sind sie um mehr als 2 Billionen gewachsen, das ist genau
die Summe unserer Staatsverschuldung. Zwei Drittel dieses Reichtums gehören
den reichsten zehn Prozent der Bürger, dem obersten Tausendstel gar ein
Fünftel. Das Schrumpfen des Gemeinwohls hat die Geldvermögen der Reichen
gebläht, ein Lastenausgleich also wäre mehr als plausibel.
Am Ursprung der Schuldenmacherei stand die Illusion, das Wachstum der
goldenen Jahrzehnte des Nachkriegsbooms sei unendlich. Darauf ruhte das
europäische Modell eines sozial regulierten Kapitalismus: der "sozialen
Marktwirtschaft".
Seit den siebziger Jahren aber wurde die Wachstumskurve kontinuierlich
flacher, die Arbeitslosigkeit chronisch. Die Antwort der Politik auf die
aufkommenden Umverteilungskämpfe war zunächst eine milde Inflation und dann
der Weg in Steuersenkungspolitik (die das Wachstum nicht wiederbrachte)
nebst Kreditfinanzierung des sozialen Friedens.
## Ein Ausgang aus dem Casino
Dieser Weg, so zeigt sich nun in der Finanz-, Kredit- und Schuldenkrise,
ist eine Sackgasse, und wir sind kurz vor deren Ende. Die Exportnation
Deutschland steht zwar - auf Kosten der Länder mit geringerer Produktivität
und höherer Lohnquote - noch gut da. Aber auch ihr fehlt das Geld für
notwendige Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klima und Infrastruktur.
Auch ein Schuldenschnitt für die Länder mit den größten Schwierigkeiten
führt nicht aus der Bredouille. Zum einen wird ein solcher Schnitt - wenn
er tatsächlich durchgesetzt wird - erkauft durch desaströse Sparprogramme,
die die wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den
Champions der Eurozone und dem Rest Europas noch verschärfen und zu
sozialen Unruhen führen würden. Zum anderen kämen durch ihn die Banken der
reichen Ländern in die Klemme und müssten vom Staat - oder der
Eurostaatengemeinschaft - gerettet werden, damit Lebensversicherungen nicht
implodieren und der Kreditfluss nicht zusammenbricht. Immer noch beten
ratlose Politiker die Litanei vom erneuten Wachstum, wenn nur die aktuelle
Krise gemanagt würde. Aber wenn das ausbleibt - und alles spricht dafür,
vom Klima mal ganz abgesehen -, und wenn Inflation ausgeschlossen bleiben
soll, weil sie auf eine Enteignung aller hinausläuft, dann gibt es nur
einen Ausgang aus dem Casino: Schuldentilgung.
Damit liegt die alte Karnevalsfrage auf dem Tisch: Wer soll das bezahlen,
wer hat so viel Geld? Die Antwort der deutschen Wirtschaftsweisen (auch sie
plädieren für schnelle Schuldenreduktion) lautet: die Mächtigen des
Euroklubs oktroyieren ihren Bevölkerungen harte Konsolidierungspfade -
sprich: Sozialabbau. Die andere Antwort heißt: Diejenigen, die in den
letzten Jahrzehnten am meisten profitiert haben, sollen zahlen. Am besten
mit einer sofortigen einmaligen Vermögensabgabe, auf Geldvermögen und
Immobilien, etwa in der Höhe von 30 Prozent. Und das europaweit.
## 30-prozentige Einmalabgabe
Die Forderung erscheint so abwegig, dass nicht einmal die Linkspartei oder
Attac sie in dieser Schärfe erheben. Nun, gemacht haben den Vorschlag David
Rhodes und Daniel Stelter, zwei Direktoren der Boston Consult Group, der
größten Unternehmensberatungsfirma der Welt. Eine europaweite 30-prozentige
Einmalabgabe auf Vermögen, so haben sie berechnet, könnte die Schulden
aller Eurostaaten auf ein handelbares Maß zurückschrauben.
Einmalsteuer, Reichensteuer, Vermögensabgabe - in Deutschland haben wir zum
Glück dieses freundliche alte Wort dafür: Lastenausgleich - das klingt
nicht nach Enteignung, sondern nach solidarischer Haftungsgemeinschaft. Und
vor allem: Wir haben es schon einmal gemacht. Wir könnten es also noch
einmal machen. Und diesmal europaweit.
Die Alternative, so die Bostoner, wäre die Auflösung der Eurozone,
Verewigung des Schuldenchaos bei zunehmender Belastung durch alternde
Bevölkerungen und marode Infrastrukturen, Inflation und soziale Unruhen. Je
später beherzte Politiker diesen Weg der Reichensteuer wagen, so schließt
ihre Analyse, um so krasser wird die Wende werden. Aber, so schließen sie
ihren Brandbrief: Wahrscheinlich wird eine solche Politik erst möglich,
"wenn es ungefähr wieder so aussieht wie 1930".
23 Nov 2011
## AUTOREN
Mathias Greffrath
## TAGS
Schwerpunkt Finanzkrise
Schwerpunkt Finanzkrise
Schwerpunkt Finanzkrise
Schwerpunkt Finanzkrise
## ARTIKEL ZUM THEMA
Debatte Kapitalismus: Geld drucken? Gute Idee!
Die Bank of England kauft die Schulden des Staates. Sie wird damit zum
Konkurrenten der privaten Investoren – was diese aber nicht schreckt,
sondern beruhigt.
Das Krisenglossar Teil 11: Finanztransaktionssteuer
Mittlerweile fordern sie fast alle. Doch bevor die Steuer eingeführt werden
kann, müssen Hürden genommen werden. Die taz stellt die wichtigsten
Vokabeln der Finanzkrise vor.
Das Krisenglossar Teil 10: Glänzendes Gold
Gold verspricht Sicherheit, wenn das Geld baden geht. Doch nicht immer geht
die Rechnung auf. Die taz stellt die wichtigsten Vokabeln der Finanzkrise
vor.
Das Krisenglossar Teil 9: Staatsanleihen
Staaten verkaufen Anleihen, weil sie Geld brauchen. Trauen ihnen Anleger
nicht mehr, wird es schnell teuer. Die taz stellt die wichtigsten Vokabeln
der Finanzkrise vor.
Das Krisenglossar Teil 8: Troika
Was macht eigentlich die Troika – und warum ist Griechenland von ihrem
Wohlwollen abhängig? Die taz stellt die wichtigsten Vokabeln der
Finanzkrise vor.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.