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# taz.de -- Fernsehfilm-Festival Baden-Baden: Irgendwer ist immer zu lieb
> Zwölf Filme, so viele Abhängigkeiten: Beim Fernsehfilm-Festival
> Baden-Baden treffen selbstherrliche Sendermächtige auf übervorsichtige
> Filmstudenten.
Bild: Eindeutiger Sieger: "Homevideo", ein Mobbing-Drama über einen Jugendlich…
BADEN-BADEN taz | Der Fußweg vom Kurhaus in die Bar von Brenners Parkhotel
ist gesäumt von ausgeweidet zurückgelassenen Dr.-Hauschka-Tüten. Der
Sponsor der Preisverleihung des Fernsehfilm-Festivals Baden-Baden hat auch
in diesem Jahr wieder Naturkosmetika an die Gäste verschenkt - die diese
nach vier Tagen mit je bis zu fünf Filmen und kaum Schlaf ganz gut
gebrauchen können.
Ein letztes Mal wird die Branche sich nun, am Freitagabend, in der Hotelbar
selbst feiern, mit freundlicher Unterstützung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks und seiner Spesenkonten. In Grüppchen sitzt man zusammen, hier
die Senderverantwortlichen und arrivierten Kreativen, da die Filmstudenten
und Jungproduzenten.
Das kleine Bier kostet 5,50 Euro – auch deswegen kann sich glücklich
schätzen, wer am Tisch der Mächtigen auf ein Getränk eingeladen wird. Vor
allem aber natürlich, weil die Sender viel Geld zu verteilen haben, Geld,
auf das fast jeder hier im Raum angewiesen ist. Ein System der
Abhängigkeiten, in dem die Sender am längeren Hebel sitzen. Klar brauchen
sie den Input der Kreativen, aber sie entscheiden, von wem. Es gibt ja
genug.
Weit nach Mitternacht steht der Schriftsteller Albert Ostermaier mitten im
Barraum und nimmt einen Ludwigsburger Filmstudenten ins Gebet. Dem Juror
Ostermaier ist die Studentenjury, der der junge Mann angehört, zu zahm, bei
den öffentlichen Diskussionen nach den Filmvorführungen zu wenig präsent.
## Ausgezeichnetes Cybermobbing-Drama
Beide Jurys haben vorhin im Kurhaus aus den zwölf von den Sendern
nominierten bzw. von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste
ausgewählten Produktionen des Fernsehjahres zwar das Cybermobbingdrama
"Homevideo" von Jan Braren (Buch) und Kilian Riedhof (Regie) ausgezeichnet
– diese Einigkeit ändert aber nichts daran, dass Ostermaier vom Nachwuchs
mehr Mut erwartet, sich zu positionieren. Und weniger Angst vor
Liebesentzug durch die Sendermächtigen.
Leicht reden habe er, gibt Ostermaier allerdings später selbst zu, habe er
doch beruflich kaum mit Fernsehleuten zu tun. Im Gegensatz zum Rest der
Jury unter dem kommissarischen Vorsitz der Dokumentarfilmerin Doris Metz
(Jurypräsident Michael Schmid-Ospach war erkrankt): Schriftstellerin,
Journalistin und Moderatorin Else Buschheuer, Schauspielerin Martina Gedeck
sowie die israelische Film- und TV-Produzentin Noemi Schory.
So ist das in Baden-Baden: Irgendwer ist irgendwem immer zu lieb – der
Presse die Hauptjury, der die Studenten. Nur den Senderverantwortlichen
kann es nicht kuschelig genug zugehen.
In der Diskussion über den wohl schwächsten Beitrag, "Der verlorene Sohn"
(Regie: Nina Grosse), ergreift auch NDR-Fernsehfilmchef Christian
Granderath für die Filmemacher das Wort, wie es in Baden-Baden gute Sitte
ist, und ermahnt die Jury, wie es in Baden-Baden Unsitte ist: "Es wäre
besser, wenn die Kritik ein bisschen respektvoller rüberkäme." Er klingt
beleidigt.
Warum, weiß nur Granderath selbst, denn die Kritik der Jury war fair und
differenziert. Und überdies so angenehm flauschig verpackt, dass man sie
fast überhört hätte. Zwischentöne sind in Baden-Baden genauso wichtig wie
auf einem diplomatischen Gipfel. Nur Ostermaier wird ein bisschen grantig
ob all der verpassten Chancen des "sehr, sehr einfach gestrickten"
Drehbuchs von Fred Breinersdorfer und seiner Tochter Leonie-Claire.
"Unentschieden in der Perspektive" – der Film erzählt von einem
terrorismusverdächtigten Islamkonvertiten und dessen Mutter – findet ihn
auch Autorenkollegin Hannah Hollinger, was den breitbeinig auftretenden
Breinersdorfer kaltlässt: "Zentrum meines künstlerischen Interesses war die
Mutter, war Katja Flint." Und ihr habt keine Ahnung, sagt er nicht,
signalisiert er aber.
Ab einem gewissen Standing wird man im deutschen Fernsehgeschäft offenbar
nicht mehr kritisiert: höchstens vielleicht von Journalisten – aber die
haben ja sowieso keine Ahnung.
## Gelungener "Polizeiruf"
Ungleich gelungener fanden Fernsehkritiker wie Jury den themenverwandten
"Polizeiruf 110: Denn sie wissen nicht, was sie tun", für den Matthias
Brandt in Baden-Baden mit einem Schauspieler-Sonderpreis geehrt wurde. Im
zweiten Fall des neuen BR-Ermittlers Hanns von Meuffels (Buch: Christian
Jeltsch) wird dieser unfreiwillig zum Sterbebegleiter eines verschütteten
Selbstmordattentäters – ein beklemmendes Kammerspiel, das nur einen Teil
seiner potenziellen Zuschauer erreichte, weil es nach Intervention der
Jugendschutzbeauftragten des Senders erst um 22 Uhr gezeigt werden durfte.
Eine Entscheidung, die nicht mal die BR-Vertreter in Baden-Baden
verteidigen.
Regisseur Hans Steinbichler sagt, er habe den Film einer Diskussion über
den Jugendschutz geopfert, "aber die muss jetzt endlich mal kommen, sonst
sieht es düster aus". Die allgemeine Wahrnehmung in Baden-Baden ist, dass
der Film als Lebenszeichen des Jugendschutzes missbraucht wurde. Und dann
bestätigt BR-Redakteurin Cornelia Ackers noch einen Eindruck der Jury: "Die
Entschuldigung des Selbstmordattentäters für den Anschlag haben wir aus
reinem Opportunismus hinten draufgesetzt." Sonst wäre der Film womöglich
gar nicht ausgestrahlt worden.
Auch Senderverantwortliche haben es nicht immer leicht – aber immer noch
leichter als die, die von ihnen abhängig sind.
Anmerkung in eigener Sache: Das Fernsehfilm-Festival Baden-Baden hat die
Übernachtungskosten für die taz übernommen.
20 Nov 2011
## AUTOREN
David Denk
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