# taz.de -- Generaldebatte zum Haushalt 2012: Rollentausch im Bundestag | |
> Die Sozialdemokraten verlangen mehr Sparsamkeit, die Regierung verteidigt | |
> ihre Steuersenkung und hält steigende Schulden für okay – allerdings nur | |
> in Deutschland. | |
Bild: Redete über alles Mögliche, der Haushalt war auch mit dabei: Kanzlerin … | |
BERLIN taz | Zumindest einmal bekam Sigmar Gabriel am Mittwoch lauten | |
Applaus von Union und FDP: "Deutschland geht es so gut wie lange nicht", | |
sagte der SPD-Vorsitzende im Bundestag zur Freude der Regierungsfraktionen. | |
Die endete erst, als Gabriel erklärte, seine Aussage sei nur der erste | |
Halbsatz eines Zitats von Kanzlerin Angela Merkel – und dessen Fortsetzung | |
habe gelautet: "Deshalb ist das zentrale Thema der Abbau von Schulden. | |
Wenn man die Regierungschefin an ihrem eigenen Versprechen messe – das war | |
Gabriels Kernaussage in der Generaldebatte zum Haushalt –, sei sie auf | |
ganzer Linie gescheitert. Im Jahr 2011 liege die Neuverschuldung bei 22 | |
Milliarden Euro. Doch obwohl der Bund durch konjunkturbedingte | |
Steuermehreinnahmen und niedrige Kreditzinsen rund 4,3 Milliarden Euro mehr | |
zur Verfügung habe als erwartet, plane die Bundesregierung für 2012 nicht | |
etwa weniger, sondern mehr neue Schulden, nämlich 26 Milliarden Euro. "Sie | |
verwechseln die Schuldenbremse mit dem Gaspedal", rief Gabriel der | |
Kanzlerin zu. | |
Während Deutschland ganz Europa zum Sparen ermahne, habe die Regierung im | |
eigenen Land bei angekündigten Einsparungen, etwa aus der Bundeswehrreform, | |
und Einnahmen, etwa aus der Besteuerung der Finanzmärkte, versagt und | |
stattdessen unsinnige Ausgaben für Steuersenkung und Betreuungsgeld | |
beschlossen. Um zu belegen, wie "verantwortungslos" diese "Politik auf | |
Pump" sei, zitierte Gabriel alle, die ihm regierungsnah erscheinen: Von den | |
Wirtschaftsweisen bis zur Bundesbank, vom Handelsblatt bis zur | |
Bild-Zeitung. | |
Die Kanzlerin ging in ihrer anschließenden Rede auf die Kritik kaum ein. 40 | |
Minuten lang sprach sie über alles Mögliche – von Afghanistan und Tunesien | |
über Eurobonds und erneuerbare Energie bis zum Integrationsgipfel; das | |
eigentliche Thema, der Haushalt, kam erst in den letzten fünf Minuten vor. | |
## Kanzlerin mit Konjunkturargument | |
Darin verteidigte sie die beschlossenen Steuererleichterungen als "nicht | |
nur vernünftig, sondern absolut gerecht" – und lieferte genau jene | |
Argumente gegen zu starkes Sparen, die sonst immer von den Sozialdemokraten | |
kommen: Zu starkes Sparen gefährde die Konjunktur. "Wenn wir trotz | |
Einhaltung der Stabilitätskriterien einen Beitrag zum Wachstum liefern, | |
werfen Sie uns das vor", sagte die Kanzlerin an Gabriel gerichtet. Das sei | |
"an Doppelzüngigkeit kaum zu überbieten". | |
Auch der FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle verteidigte die Steuersenkung. | |
"Der Staat darf sich nicht an der Inflation bereichern", sagte er. Zu den | |
neuen Schulden sagte er, es sei "richtig, jetzt nicht zu stark auf die | |
Bremse zu treten". Den Vorwurf, dass die Regierung für 2012 eine höhere | |
Neuverschuldung plane als für 2011, wies er aber zurück. Wie hoch die | |
Schulden tatsächlich ausfallen, sei jetzt noch nicht absehbar; auch für | |
2011 sei ursprünglich ein deutlich höherer Wert eingeplant worden, als | |
jetzt tatsächlich benötigt werde. | |
Neben dem Bundeshaushalt nahm der Streit über den richtigen Ausweg aus der | |
Eurokrise breiten Raum ein. Hier gab es allerdings weniger Überraschungen: | |
Den neuen Vorstoß der EU-Kommission für gemeinsame europäische | |
Staatsanleihen lehnen Merkel ("unpassend") und Brüderle ("Zinssozialismus") | |
entschieden ab, SPD und Grüne halten sie für unverzichtbar. | |
Einen neuen Vorschlag brachte lediglich Linken-Chef Klaus Ernst ein. Er | |
forderte, alle griechischen Konten mit Einlagen von mehr als einer Million | |
Euro in Deutschland einzufrieren – um zu prüfen, ob die Gelder | |
ordnungsgemäß versteuert sind. | |
23 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreuzfeldt | |
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