Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor der Fußball-EM 2012 in der Ukraine: Ich sehe tote Hunde
> Seit Wochen tobt ein Streit über die Tötung von Straßenhunden in der
> Ukraine. Die Regierung will dagegen vorgehen. Tierschützer kämpfen weiter
> – auch für sich.
Bild: Ein Hund macht sich schlau: Plakat von Tierschützern in Kiew.
KIEW taz | Ein Überlebender. Er humpelt über ein Glasdach, durch das
Tageslicht in ein unterirdisches Einkaufzentrum fallen soll. Dort drunten,
unter dem Chreschtschatik, dem Kiewer Boulevard im stalinschen
Zuckerbäckerstil, kaufen die, die es sich leisten können, in teuren
Markenläden Klamotten, Schmuck oder Drogerieartikel. Ein paar Frauen in
riesigen Pelzmänteln schauen nach oben. Durch das Glasdach können sie den
grauen humpelnden Hund sehen, der auf der glatten Scheibe immer wieder
ausrutscht.
Glaubt man den Horrormeldungen, die Tierschutzorganisationen in den letzten
Monaten immer wieder an die Presse gegeben haben, muss der Straßenköter
Glück gehabt haben. Von wahren Tötungsorgien ist die Rede, wenn es um
Straßenhunde in der Ukraine geht. Für die EM im nächsten Jahr soll das Land
von ihnen gesäubert werden, heißt es.
Das große Morden soll nun zu Ende sein. Die Uefa und EM-Sponsoren wie
Adidas, der Telekommunikationskonzern Orange und McDonald's, die von
Aktivisten mit Postings auf ihren Facebook-Seiten bombardiert worden sind,
verweisen seit Dienstag auf eine neue Regelung, die von der ukrainischen
Regierung verkündet worden ist. Das Töten von Straßenhunden ist demnach
verboten.
Für die ukrainische Tierschützerin Tamara Tarnawska muss das eine
merkwürdige Entscheidung sein. Ein Tierschutzgesetz, das das Töten von
Hunden verbietet, gebe es schon seit 2006. "Ein einziger Fall ist seitdem
von den Behörden verfolgt worden", sagt die Vorsitzende der ukrainischen
Tierschutzorganisation SPA-SOS. Sie bleibt skeptisch.
## Die Uefa und ihr Hundeshasserimage
Die Uefa dagegen hofft, dass sie das leidige Thema Tierschutz nun endlich
los ist. Angeblich hatte sich Verbandspräsident Michel Platini 2010 bei
einem Besuch in der Ukraine über die vielen Straßenhunde beschwert. In
Agenturmeldungen und über Pressemitteilungen von Tierschutzverbänden
verbreitete sich die Meldung von Platinis Säuberungswunsch in ganz Europa.
Seitdem arbeitet die Uefa gegen das Hundehasserimage an, das ihr nicht nur
von Tierschützern verpasst wurde. Auf Anfrage teilte sie der taz mit:
"Nicht zuletzt möchten wir klarstellen, dass die Uefa die ukrainischen
Behörden nie darum gebeten hat, streunende Hunde angesichts der
bevorstehenden Uefa Euro 2012 zu beseitigen."
Tamara Tarnawska steht im Kontakt mit der Uefa. Auch auf ihre Initiative
hin schrieb Martin Kallen, der bei der Uefa so etwas wie der Aufpasser für
die EM-Organisatoren ist, einen Brief an Boris Kolesnikow, den ukrainischen
Vizepremier, in dem er die Regierung auffordert, die Tötung von
Straßentieren zu stoppen.
In dem Schreiben, das der taz vorliegt, schreibt Kallen von zahlreichen
E-Mails, Anrufen und Briefen, die die Uefa zum Thema Tiertötung erreichen.
Der Verband muss ziemlich genervt sein. Um guten Willen zu zeigen, spendete
die Uefa 10.000 Schweizer Franken an Tarnawskas Organisation. "Das ist
weniger als Peanuts", meint Tierschützerin Tarnawska.
Die 55-Jährige hat vor 15 Jahren ein Tierheim am Rande von Kiew eröffnet.
Dort werden an die 2.000 Tiere versorgt. Ihre Mitarbeiterinnen gehen zudem
zu Orten in der Stadt, von denen sie wissen, dass sie regelmäßig von
Straßenhunden aufgesucht werden. Wenn Geld da ist, werden sie geimpft und
sterilisiert. Das ist die Form von humanem Umgang mit Straßentieren, den
die Tierschützer immer wieder fordern.
"Aber in dieser Gesellschaft gibt es keine Humanität." So kämpferisch die
55-jährige Tarnawska ist, so desillusioniert ist sie. "Nichts, es tut sich
nichts", sagt sie. In der vergangenen Woche organisierte sie einen
Pressetermin mit Kiews Bürgermeisterkandidat und Boxweltmeister Vitali
Klitschko. Ob es was bringt? "Wenn Herr Klitschko zu mir kommt, dann denken
die Leute: Jetzt hat er ihr 100.000 Dollar gegeben."
Und wenn er die Wahlen gewinnt und Bürgermeister wird? "Das wird nicht
geschehen. Er hat nicht so viel Geld wie die Oligarchen, die sich die
Stimmen kaufen." Tamara Tarnawska sieht sich in der Rolle der tapferen
Widerstandskämpferin. "Wenn ich keinen norwegischen Pass hätte, hätten sie
mich längst mundtot gemacht." Als Tochter von Exilukrainern ist sie in
Skandinavien aufgewachsen. Deshalb sei sie freier. Vor zwei Wochen konnte
sie eine Woche lang ihre E-Mails nicht abrufen. Sie ist sich sicher, dass
das kein Zufall war. "Längst mag ich Tiere mehr als Menschen", sagt sie.
## Mobile Tierkrematorien
Dann berichtet sie wieder von Grausamkeiten, über die längst in ganz Europa
gesprochen wird. Von mobilen Tierkrematorien, die im Osten des Landes immer
noch unterwegs seien. Gegen die habe nie je ein Beamter etwas unternommen,
selbst als Leonid Krawtschuk, der erste Präsident der Ukraine nach der
Unabhängigkeit, sich an seinen Nachfolger Viktor Janukowitsch wandte.
"Nicht einmal die Nazis, die letzten Monster der Grausamkeit, haben es
gewagt, ihre Opfer lebendig in den Krematiorien zu verbrennen", schrieb er.
Er spielt auf Tiertötungen in der Stadt Lisitschanks am Donez an. Was das
mit der Fußball-EM zu tun hat, kann auch Tamara Tarnawska nicht sagen. Auch
Zahlen kann sie keine nennen, mit denen sich belegen ließe, dass
Tiertötungen in den letzten Monaten zugenommen haben. Sie nutzt die
Aufmerksamkeit für das nahende Großereignis, um weiter für ihr Anliegen zu
trommeln.
Wenn sich die deutschen Nationalspieler Miroslav Klose und Lukas Podolski
öffentlich gegen Hundetötungen ausprechen, so wie sie das vor dem
Länderspiel in Kiew Anfang November getan haben, dann nutzt das auch ihrer
Tierschutzorganisation. Ohne Spendengelder aus England, Österreich und vor
allen aus Deutschland könnte sie ihr Tierheim nicht finanzieren.
Vielleicht ist sie ja doch ganz froh, dass die EM im nächsten Jahr in der
Ukraine stattfindet.
24 Nov 2011
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Sotschi 2014
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Unsere Sotschi-Vierbeiner: Ein Herz für Hunde
Einer der reichsten Russen will ein Adoptionsprojekt für einsame Bellos
auflegen. Doch das angekündigte Tierheim gibt es gar nicht.
Tierschützerin zu Hundemord in der Ukraine: „Natürlich sind weniger Hunde d…
Marion Dudla vom Deutschen Tierschutzbund über deutsche Werbung für
Straßenhunde in Kiew, die Tierliebe der Ukrainer und den Nutzen von
Kastrationen.
Kolumne Fußball-EM 2012: „Slavek und Slavko oder SS“
In Polen ist eine Diskussion über die Maskottchen für die Fußball-EM 2012
entbrannt. Die US-Firma Warner Brothers hat sich im Namen vergriffen.
Timoschenko ins Straflager verlegt: Justiz findet Haftbedingung normal
Der Anwalt der Ex-Regierungschefin vergleicht die Bedingungen der Haft mit
Folter. Doch Überwachungskameras und Nachtlicht in den Zellen seien im
Straflager normal, erklärt die ukrainische Justiz.
Kolumne Press-Schlag: Wir gewinnen den EM-Titel!
Der Durchmarsch der DFB-Elf lässt die Erwartungshaltung für die
Europameisterschaft 2012 ins Unermessliche steigen. Genau das könnte zum
Problem werden.
Relegation zur Fußball-EM 2012: Portugal versenkt Bosnien
Für Kroatien und Irland stand die EM-Teilnahme bereits so gut wie fest.
Tschechien reichte eine mittelmäßige Leistung. Nach schwachem Hinspiel
deklassierte Portugal Bosnien.
Fußballstadion in Kiew: Mit Wille und Willkür zur EM
Präsident Janukowitsch erntete beim 3:3 der Ukraine gegen das DFB-Team böse
Pfiffe. Seine Herrschsucht überschattet das teuerste EM-Stadion.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.