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# taz.de -- Fußballstadion in Kiew: Mit Wille und Willkür zur EM
> Präsident Janukowitsch erntete beim 3:3 der Ukraine gegen das DFB-Team
> böse Pfiffe. Seine Herrschsucht überschattet das teuerste EM-Stadion.
Bild: Schönes Stadion in Kiew - und doch so viel Ärger damit.
KIEW taz | Nicht nur Bundestrainer Joachim Löw staunte am Freitagabend, als
der spanische Schiedsrichter Carlos Velasco Carballo zur Halbzeit pfiff.
Nachdem 3:3 gegen die Ukrainer sagte er, dass er angesichts der Dominanz
der Deutschen auf dem Feld überhaupt nicht verstanden habe, wie dieses
Ergebnis zustande gekommen ist.
Auch viele ukrainische Zuschauer schütteln in der Pause ungläubig lächelnd
den Kopf und unterhalten sich auf dem Weg zu den Toiletten über dieses
Wunder, das sich da anzukündigen schien. Sie hatten viel Zeit für ihre
Gespräche. Große Männertrauben bildeten sich bald nach dem Pausenpfiff vor
den Eingängen zu den Klos.
Die Türen zu den Toilettenräumen im neuen Olympiastadion von Kiew sind
nicht viel größer als eine Klotür in einem Appartement und viel zu klein
für Hunderte Männer, die reinmüssen und nach verrichteter Notdurft wieder
rauswollen.
"Das war früher besser", sagt ein Mann im blau-gelben Thermotrainingsanzug
mit dem Emblem von Dynamo Kiew auf der Brust. Sonst findet er das Stadion
ganz schön. "Hat ja auch genug gekostet", sagt er über das Stadion, in dem
am 1. Juli 2012 das EM-Finale stattfinden wird.
## Teuerstes Stadion der Welt
585 Millionen Euro soll der Umbau des Olympiastadions, der faktisch ein
Neubau war, gekostet haben. Damit hat die Ukraine einen neuen Rekord
aufgestellt. Die Kiewer Mehrzweckarena, die auch über eine Laufbahn
verfügt, ist das teuerste Stadion der Welt. Da kann nicht einmal die
Münchner Arena mithalten, die inklusive Erschließung des Geländes und
Anschluss an die Verkehrsinfrastruktur 550 Millionen Euro gekostet hat.
Glaubt man Markijan Lubkiwsky, dem Chef des ukrainischen
Organisationskomitees für die EM, solle man froh sein, dass das Stadion
überhaupt fertiggestellt worden ist. Zu verdanken habe man das beinahe
einzig und allein Präsident Viktor Janukowitsch.
Erst nachdem der Anfang 2010 eine neue Regierung eingesetzt habe, sei es
vorangegangen. "Sonst wäre es sehr schwer geworden", sagt er. Die Fans im
Stadion danken es ihrem Staatschef nicht. Als der Stadionsprecher
Janukowitsch begrüßt, wird gepfiffen. Lauter ist es an diesem Abend im
Stadion nur nach den drei ukrainischen Toren.
## Annäherung an Europa
OK-Chef Lubkiwsky ist überzeugt davon, dass die EM sein Land endlich in die
Moderne katapultieren wird. "Das ist ein geopolitisches Projekt", sagt er.
Für neue Straßen und den Ausbau von Flughäfen gibt das Land, das infolge
der Finanzkrise vom Internationalen Währungsfonds Hilfskredite in Höhe von
12 Milliarden Euro erhalten hat, über 9 Milliarden Euro aus. Ein gewaltiger
Kraftakt ist das - gerade auch im Vergleich zu Mitausrichter Polen.
Dort wird zwar noch mehr in die Infrastruktur investiert, doch die Polen
finanzieren 70 Prozent ihrer EM-Investitionen mit Fördergeldern der
Europäischen Union. Es werde sich lohnen für die Ukraine, auch wenn sich
der Ertrag nicht in Zahlen wird darstellen lassen. Lubkiwsky ist sich
sicher: "Die EM wird uns näher an Europa heranführen."
Leicht dürfte das nicht werden. Die Brücken, die Präsident Janukowitsch,
der sein Land näher an Russland herangeführt hat, im Dialog mit Europa
eingerissen hat, indem er einen regelrechten Schauprozess gegen
Oppositionsführerin Julia Timoschenko hat inszenieren lassen, sollen mit
Hilfe einer Sportveranstaltung wieder aufgebaut werden. Zu den sieben
Jahren Haft, zu denen Timoschenko wegen Amtsmissbrauch verurteilt worden
ist, könnte bald eine weitere Strafe wegen Steuerhinterziehung kommen.
Der Protest dagegen ist in Kiews Innenstadt nicht zu übersehen. Auf dem
Riesenboulevard Chreschtschatik stehen immer noch über 20 Zelte, in denen
Timoschenko-Fans kampieren. Sie sammeln Unterschriften gegen die Willkür
der Justiz, verteilen Flugblätter und zeigen auf arg patriotischen
Schautafeln, welche historische Bedeutung die Ukraine hat. Dutzende
blau-gelbe Flaggen wehen über der kleinen Zeltstadt. Sie sind ein größerer
Blickfang als die Countdown-Uhr zur Europameisterschaft, die keine 200
Meter weiter vor dem Gebäude des Stadtparlaments aufgebaut ist.
Spricht man die alten Frauen, die mit den Unterschriftenlisten auf die
Passanten zugehen, auf das Turnier im nächsten Jahr an, winken sie ab. "Es
gibt Wichtigeres", sagt eine der Aktivistinnen. Am neuen Olympiastadion war
sie jedoch noch nicht.
## Wunder auf der Baustelle
Sie kann nicht wissen, mit wie viel Kraft in den Tagen vor dem Spiel gegen
Deutschland noch an der Arena gewerkelt wurde. Ein Großteil der Bauzäune,
hinter denen noch am Tag vor dem Spiel gearbeitet wurde, war am
Freitagabend abgebaut. Die Zuschauer konnten einen frisch gepflasterten
Stadionvorplatz bewundern. Über Nacht war auch eine der wichtigsten
Zufahrtsstraßen mit einem neuen Belag versehen worden.
Ein wahres Heer von Arbeitern schuftete in der vergangenen Woche rund um
die Uhr, um die Gäste, um vor allem die Uefa, die der Ukraine seit zwei
Jahren immer wieder mit dem Entzug der Gastgeberrolle bei der EM gedroht
hat, für sich einzunehmen. Davon ist heute keine Rede mehr. Für viele ist
dies ein ebensolches Wunder wie die Leistung der Nationalmannschaft am
Freitagabend gegen Deutschland.
Ein Team, das angesichts zahlreicher Verletzungen getrost als Notelf
bezeichnet werden kann, brachte einen der EM-Favoriten an den Rande einer
Niederlage. Und Trainer Oleg Blochin, der immer noch auf den alternden
Andrij Schewtschenko zurückgreifen muss, ging sogar so weit zu sagen, dass
seine Elf gewonnen hätte, wenn er nur über ordentliche Stürmer verfügen
würde. "Wenn die Russen in einen andere Gruppe gelost werden, könnten sie
uns ja bei der EM mit ein paar Stürmern aushelfen", witzelte er auf der
Pressekonferenz.
Hilfe aus Russland. In der Ukraine bekommen selbst harmlose Trainerwitzchen
schnell eine politische Bedeutung. Blochin war der Einzige, der über seinen
Scherz gelacht hat.
13 Nov 2011
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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