# taz.de -- Volksabstimmung zu Stuttgart 21: Fataler Sieg | |
> Lange bekämpften die Grünen den Tiefbahnhof. Nun haben die Protestierer | |
> verloren. Was das für den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann | |
> bedeutet. | |
Bild: "Umschalten von ablehnend-kritisch auf konstruktiv-kritisch" will Winfrie… | |
STUTTGART/BERLIN taz | Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried | |
Kretschmann (Grüne) war am Montag schon wieder in der Stimmung, um für | |
Lacher zu sorgen. Was die Volksabstimmung zugunsten des Bahnprojekts | |
Stuttgart 21 für ihre jeweilige Partei bedeute, wurden Kretschmann und Nils | |
Schmid (SPD) bei einer Pressekonferenz gefragt. "Du hast es da leichter", | |
sagte Kretschmann, ließ seinem Vize den Vortritt und schmunzelte. | |
Leicht ist das Ergebnis der Volksabstimmung für die Grünen tatsächlich | |
nicht. Seit Jahren haben sie gegen den Tiefbahnhof gekämpft. Sie sind Teil | |
der Protestbewegung und ihr Nein zum Bau hat sie im Frühjahr mit an die | |
Macht gebracht. Immer wieder versprachen sie, alles Mögliche zu tun, um | |
Stuttgart 21 zu stoppen. Und nun müssen sie umschwenken. Denn das Volk hat | |
sich für den Weiterbau ausgesprochen. | |
58,8 Prozent wollen die Tieferlegung des Bahnhofs, 41,2 Prozent stimmten am | |
Sonntag für den Ausstieg. Und selbst in der Protesthauptstadt Stuttgart, wo | |
die Bürger unmittelbar vom Bau betroffen sind, stimmte eine Mehrheit gegen | |
den Ausstieg; und in Ulm, das von der Neubaustrecke nach Stuttgart | |
profitiert, war die Mehrheit gegen den Ausstieg überdeutlich. | |
"Wir werden jetzt umschalten von ablehnend-kritisch auf | |
konstruktiv-kritisch", beschrieb Kretschmann am Montag den erforderlichen | |
Schwenk seiner Partei. "Das ist natürlich für alle von uns Grünen eine | |
große Herausforderung." | |
Gleichzeitig wollte Kretschmann das Ergebnis als Gewinn für die Demokratie | |
verstanden wissen. Die Beteiligung sei mit 48,3 Prozent sehr hoch gewesen | |
und eine Bestätigung dafür, dass die Leute direkt über solche Sachfragen | |
entscheiden wollen. Und das sei schließlich ein urgrünes Thema und deshalb | |
ein Erfolg für seine Partei. "Unser Hauptanliegen ist jetzt, dass die | |
Schwelle für Volksbegehren gesenkt wird." Auch auf Bundesebene wolle sich | |
die grün-rote Landesregierung für mehr direkte Demokratie einsetzen. | |
## Letzte Hoffnung: zu hohe Kosten | |
Die Opposition hält diese Diskussion für einen "Nebenkriegsschauplatz". | |
"Wir erwarten vom grünen Teil der Regierung jetzt eine | |
konstruktiv-fördernde Begleitung", sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Die | |
Frage nach einer Absenkung des Quorums bei Volksabstimmungen stehe hingegen | |
derzeit nicht an. | |
Für weitere Diskussionen sorgen auch die Kosten von S 21. "Mit größeren | |
Beträgen werden wir uns an dem Projekt nicht beteiligen", sagte | |
Kretschmann. Und tatsächlich könnte der Bahnhof an den Kosten womöglich | |
doch noch scheitern. Bislang gilt eine Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro. | |
Nach Meinung der Grünen kratzen die Kosten bereits an dieser Grenze. In | |
diesem Fall würde eine sogenannte Sprechklausel in den Verträgen zwischen | |
Land, Bund und Bahn gelten. Schon vor der Abstimmung gab es Diskussionen, | |
wie diese juristisch auszulegen sei. | |
Bahnchef Rüdiger Grube machte am Montag in Berlin deutlich, dass jetzt in | |
jedem Fall gebaut werde. Im nächsten Jahr soll bereits der Südflügel des | |
Bahnhofes abgerissen werden. "Wir brauchen bei Stuttgart 21 keine kritische | |
Begleitung der Landesregierung, sondern eine aktive Unterstützung", so | |
Grube. Diese sei auch notwendig, um den vereinbarten Kostenrahmen einhalten | |
zu können. Allerdings baute Grube möglichen Kostensteigerungen bereits vor. | |
Große Infrastrukturmaßnahmen bürgen immer ein Risiko in sich, etwa | |
steigende Rohstoffpreise. Sollte es zu Kostensteigerungen kommen, müssten | |
sich die Vertragspartner - gemäß der Sprechklausel - an einen Tisch begeben | |
und eine Lösung finden. "Es kann nicht sein, dass sich einer abseits setzt | |
und sagt: Ich nicht", so Grube. Kretschmann sagte hingegen, "in der | |
Sprechklausel steht nur, dass gesprochen wird". Es müsse jetzt seriös | |
gerechnet werden. "Es kann nicht sein, dass ich am Ende, wenn alles gebaut | |
ist, eine überhöhte Rechnung bekomme." | |
## Die Bahn hat gelernt | |
Aus Sicht der Bahn lassen sich die Erfahrungen mit den S-21-Protesten auch | |
positiv wenden. Bei Infrastrukturprojekten brauche man schnellere Verfahren | |
und eine bessere Bürgerbeteiligung im Vorfeld von Entscheidungen, so Grube. | |
"Nicht erst, wenn die Würfel gefallen sind." Beim geplanten Ausbau der | |
Rheintalbahn in Baden berücksichtige die Bahn dies bereits. So werde auf | |
Wunsch der Anwohner nun durch ein Gutachten geprüft, ob eine Untertunnelung | |
des lärmgeplagten Offenburgs und eine Trassenführung parallel zur Autobahn | |
möglich sei. | |
Offen in Stuttgart ist hingegen noch, wie es mit dem Protest weitergeht. | |
Für die Grünen hat Landeschef Chris Kühn am Montag angekündigt, den Protest | |
beenden zu wollen. Er sehe die Partei aber nach wie vor als "Schnittstelle" | |
zur Bewegung und wolle mit den Bündnispartnern im Dialog bleiben. | |
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 erklärte am Montag, zumindest weiter | |
bestehen bleiben zu wollen. Die Arbeit werde wichtig sein, um unter anderem | |
auf den Kostendeckel zu achten. Das Bündnis wolle sich aber Zeit nehmen, um | |
die Abstimmung zu analysieren und sich über das "Wie" des weiteren Protests | |
zu beraten. Dazu lädt das Bündnis Interessierte zu einer Beratung am | |
Sonntag ein. "Das wollen wir als Demokratiebewegung in einem demokratischen | |
Prozess machen", sagte Bündnissprecher Hannes Rockenbauch. Gleichzeitig | |
kündigte seine Sprecherkollegin Brigitte Dahlbender ihren Rückzug an. | |
Auch die Parkschützer wollen sich erst einmal beraten. "Es ist aber | |
weiterhin wichtig, den Finger überall da in die Wunde zu legen, wo es | |
wehtut - und das sind viele Stellen", sagte der Sprecher, Matthias von | |
Herrmann. | |
28 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
N. Michel | |
R. Rother | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
Schwerpunkt Stuttgart 21 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Direkte Demokratie: Abstimmung über Lindau 21 | |
Die Bodensee-Stadt soll ihren Kopfbahnhof verlieren. Eine Initiative hat | |
einen Bürgerentscheid erkämpft - ohne eine einzige Demonstration. | |
Bahnprojekt in Stuttgart: "S21"-Gegner wollen Politiker ärgern | |
Die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 will weiter auf die Straße gehen, | |
aber keine Autofahrer mehr ärgern. Denn die Demos halten sie auch nach der | |
Volksabstimmung für legitim. | |
Stuttgart 21 wird gebaut: Die Abriss-Bagger stehen bereit | |
Anfang Januar soll der Südflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs abgerissen | |
werden. Danach werden die Bäume im Schlosspark verpflanzt. | |
S-21-Gegner nach dem Volksentscheid: Wer sind wir und wieviele? | |
Die Abstimmung über den Baustopp von Stuttgart 21 ging klar verloren. Am | |
Tag danach mischen sich auf der Montagskundgebung Ratlosigkeit und | |
Selbstreflektion. | |
Debatte Grüne: Der misslungene Spagat | |
Nach Stuttgart 21 wird es den Grünen ergehen wie dem Streber, der in jeder | |
Klassenarbeit eine Eins schreibt. Aber bei der Wahl des Klassensprechers | |
hat er keine Chance. | |
Winfried Hermann über "S 21": "Deshalb mache ich auch weiter" | |
Wenn die Volksabstimmung pro Neubau ausgehe, trete er zurück, sagte einst | |
der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann. Heute hält er die Aussage für | |
einen unglücklichen Einstand. | |
Kommentar Stuttgart 21: Die Konfrontation in Stuttgart bleibt | |
Das Ergebnis der Volksabstimmung zu S21 wird dafür sorgen, der | |
Konfrontation die Unerbittlichkeit zu nehmen. Aber die Konfrontation selbst | |
bleibt. | |
Stuttgart 21 nach Volksabstimmung: Die Rückkehr der alten Macht | |
Mit dem Volksentscheid zugunsten eines neuen Bahnhofs ist der Traum des | |
bürgerlichen Protestes geplatzt. Die Union in Baden-Württemberg | |
triumphiert. | |
Kommentar Volksentscheid "Stuttgart 21": Das Thema wird nicht erledigt sein | |
Auf die Kostenkarte können die "S21"-Gegner trotz der bitteren Niederlage | |
bei der Volksabstimmung setzen. Immerhin nähern sich die Kosten bereits | |
jetzt der Obergrenze. | |
Volksentscheid "Stuttgart 21": "S21"-Gegner verlieren | |
Das Volk hat gesprochen. Die Mehrheit der Baden-Württemberger stimmt für | |
das Großprojekt. Die Grünen zeigen sich zerknirscht, die SPD hält ihre | |
Freude zurück. |