# taz.de -- Regisseur Kristian Smeds über Europa: "Da ist nichts als Angst" | |
> Der finnische Regisseur Kristian Smeds ist Gast auf dem Nordwind Festival | |
> in Berlin und Hamburg. Er fragt sich, wie man Theater in einer Welt | |
> machen kann, die selbst schon großes Theater ist. | |
Bild: Asterix als Vorbild: Der finnische Theaterregisseur Kristian Smeds. | |
taz: Herr Smeds, Sie sind nach Berlin und Hamburg als Teil des Nordwind | |
Festivals eingeladen, das Performer der skandinavischen Länder vorstellt. | |
Fühlen Sie sich wohl als Repräsentant Skandinaviens? | |
Kristian Smeds: Der Festivalrahmen ist in Ordnung. Finnland ist schon | |
anders als die anderen skandinavischen Länder. Wir kommen mehr aus dem | |
Osten und unterscheiden uns in der Mentalität, der Sprache, in dem Erbe. | |
Auch dass wir die längste Grenze mit Russland gemeinsam haben und eine | |
gemeinsame Geschichte mit Estland, Russland, Deutschland bedeutet viel. | |
Auf dem Nordwind Festival läuft Ihre Performance "12 Karamasows" nach | |
Dostojewski, die auf einen Workshop mit Schauspielstudenten zurückgeht. Sie | |
haben oft gesagt, dass die russische Kultur der finnischen Seele nahe ist. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die russische Literatur ist uns über die Jahre nahe geblieben, unseren | |
Herzen, wir haben einen ähnlichen Blick auf die Welt. Und wir teilen mit | |
der russischen Kultur eine besondere Art der Melancholie. | |
Können Sie die Aufführung "12 Karamasows" beschreiben? | |
Nun, sie funktioniert wie ein Zauberspruch für die guten Dinge in einer | |
schlechten Welt. Das ist eine Art Energiebombe. Das Ziel ist, ein positives | |
Chaos zu erzeugen. Die Szene ist wie eine Sauna eingerichtet, das Publikum | |
sitzt an drei Seiten um die Darsteller herum. Die im Zentrum erzeugen die | |
Hitze, die Energie, die zwischen allen fließen soll, viereinhalb Stunden | |
lang. | |
Warum wie eine Sauna? | |
Die Sauna ist ein Ort der Stille, der Reinigung und bestenfalls auch der | |
Meditation. | |
Sie haben sich in Ihren Texten und Projekten oft mit dem Verhältnis von | |
Finnland zu Europa beschäftigt. Ein Projekt hieß "Mental Finnland - eine | |
schwarze Komödie über das Jahr 2069". Da ist ganz Europa von EU-Truppen | |
besetzt, die überwachen müssen, dass kein Land in seine kulturellen | |
Traditionen zurückfällt … | |
… das ist eine Übertragung des Asterix-Comics. Und da man in Belgien Comics | |
liebt … | |
Aber es ist auch eine sehr finstere Version von Europa. | |
Einige estnische und finnische Performer lebten dort in einem Container wie | |
im gallischen Dorf und beharrten auf ihrer Kultur und ihrem Erbe. Viele | |
Leute nahmen das sehr ernst, als einen konzeptuellen Wurf, aber ich fragte | |
sie dann: Lest ihr so auch Asterix? Wenn es um Theater geht, dann wird | |
alles gleich mit viel mehr Gewicht gewertet. Aber ich suche nach der | |
Leichtigkeit auf der Bühne, wie sie in der Comedy, im Comic existiert. | |
Aber dieses aus Asterix geliehene Bild, die Truppen, die ganz Europa | |
besetzten und den regionalen Kulturen feindlich gesinnt sind, geht das auf | |
eine besondere Angst vor Europa in Finnland zurück? | |
Na, schauen Sie sich Europa an, da ist gerade nichts als Angst. Die Basis, | |
das Geld, fliegt weg, die Bürger können nichts tun, die Politiker auch | |
nicht. Der Wind kommt mal von hier, mal von dort, die Politiker wirbeln | |
umher wie Blätter im Herbst. Merkel weht hierhin, Sarkozy dorthin … Und | |
jeder, der hier lebt, das Essen auf dem Tisch haben will, die Miete | |
bezahlen und den Kindergarten, sieht das um sich herumfliegen. Den ganzen | |
Herbst über schwebt das über uns. Als Bürger und als Künstler sage ich, das | |
ist so langweilig. | |
Wirklich? | |
Ja, ein langweiliges Stück, von gut bezahlten Politikern gespielt. Jeder | |
starrt dahin. Deshalb steckt da auch eine große Frage für uns drin: Wie | |
können wir Theater in einer Welt machen, die selbst schon ein so großes | |
Theater ist? Die den ganzen Raum einnimmt. Dagegen ist jeder Schauspieler | |
nur ein Schatten. | |
Also ist die Angst vor Europa nichts, was besonders für Finnland gilt? | |
Die Frage von Europas Zusammenhalt ist die der ganzen Welt, und die Frage | |
der ganzen Welt ist die des Geldes. Wenn man über Geld redet, dann redet | |
man über das fiktionale Geld, Geld ist eine Fiktion geworden. Das reale | |
Geld, das jemand verdient für reale Arbeit, wie Straßen zu reinigen, das | |
ist so wenig, das lässt sich dazu gar nicht mehr ins Verhältnis setzen. Das | |
ist das Problem, in diesem Dschungel der Fiktionen zählt die Realität nicht | |
mehr. | |
Das muss doch gerade für das Theater eine Herausforderung sein. | |
Ja, ich bin ja selbst ein Fiktionmacher. Und mit meinen Kollegen suche ich | |
danach, mit dem Publikum selbst eine Realität zu schaffen. Das klingt | |
vielleicht sentimental oder idealistisch, aber ja, darum geht es. | |
Die Natur von Finnland und langen dunklen Tagen, das spielt in Ihren | |
Arbeiten eine große Rolle. Hat das mit der Sehnsucht nach Realität zu tun? | |
Ich komme aus dem Norden von Finnland, wo es ein halbes Jahr lang total | |
dunkel ist und kalt. Dann kommt der Frühling, alle Tiere ficken, machen | |
Babys, einen Monat lang, dann ist bald schon wieder Herbst, und der Tod | |
kommt. Diese Dynamik, die ist in der Natur, und die ist in mir, natürlich | |
hat das auf die Arbeit Einfluss, als Autor, als Regisseur, auf die | |
Themenwahl. | |
Als im April in Finnland gewählt wurde, erlangte die rechtspopulistische | |
Partei "Die Wahren Finnen" 19 Prozent. Das hat man hier mit Überraschung | |
und Schrecken wahrgenommen. Worin sehen Sie deren Popularität begründet? | |
Die Leute vertrauen den Politikern nicht mehr. Sie wollten denen eins | |
auswischen, aus dem Gefühl heraus, nicht gehört zu werden. Davon hatten sie | |
die Schnauze voll. So war dieses Ergebnis keine Überraschung. | |
2 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Homophobie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Theater zu Homophobie: Das Publikum als Wegseher | |
Wie homophob sind wir eigentlich? Das fragt Falk Richter in „Small Town | |
Boy“, einer Recherche zu Freiheit und Sex, am Berliner Maxim Gorki Theater. | |
Kleist-Jahr: Sich verlaufen, um anzukommen | |
Ein Festival für Heinrich von Kleist: Das Berliner Maxim Gorki Theater hat | |
vom 4. bis zum 21. November Leben, Werk und Rezeption des Dichters | |
ausgeleuchtet. | |
Saisonauftakt der Berliner Festspiele: Pazifische Passionen | |
"Le Savali: Berlin", eine Inszenierung des Samonaners Lemi Ponifasios, ist | |
voller Momente der Transformation und des Unbestimmbaren. | |
Berliner Festival Tanz im August: Der große Treck der Tänzer | |
Großartige und ungewöhnliche Stücke kamen beim Berliner Festival Tanz im | |
August von den Choreografen Guilherme Botelho und Emanuel Gat. |