| # taz.de -- Wahlergebnis im Kongo: Tatort Wahlkommission | |
| > Niemand ist überrascht, als Präsident Kabila nach mehrfacher Verschiebung | |
| > zum Wahlsieger ausgerufen wird. Die Opposition hat zum Massenprotest | |
| > mobilisiert. | |
| Bild: Stimmenauszählung in Kinshasa. | |
| KINSHASA taz | Im erschöpften Stakkato betet der Chef von Kongos | |
| Wahlkommission die Ergebnisse herunter: Präsident Joseph Kabila gewinnt die | |
| Wahl vom 28. November mit 48,95 Prozent, sagt Pasteur Ngoy Mulunda, | |
| Präsident der Wahlkommission CENI. Es sind fast haargenau die gleichen | |
| Zahlen, die er schon bei den letzten Teilergebnissen am Dienstag verlesen | |
| hatte. Das Ergebnis überrascht in der Demokratischen Republik Kongo | |
| niemanden mehr. | |
| Bereits einige Minuten später fahren junge Männer in Hochgeschwindigkeit | |
| den zentralen Boulevard von Kinshasa vor dem CENI-Gebäude entlang, hupend | |
| und fahnenschwingend. Straßenkinder tanzen dazwischen mit nackten Füßen. In | |
| knallig bunter Schminke schwankt Florentine Diwala die Straße entlang. Sie | |
| hat offensichtlich schon auf den Sieg angestoßen: "Ich bin sehr froh, dass | |
| er gewonnen hat, mit Kabila hat die Entwicklung unseres Landes gewaltige | |
| Fortschritte gemacht", lallt sie und feiert weiter. | |
| Es sind nicht viele, die den Sieg des Präsidenten feiern. Das Stadtzentrum | |
| von Kinshasa wirkt nach der Verkündung wie ausgestorben. Der Konvoi der | |
| Staatsgäste wird unter Polizeischutz ins Botschafterviertel | |
| zurückbegleitet. Vom Hochhaus aus versteht man auch, warum; Über dem | |
| Nachbarviertel Limete, wo Oppositionsführer Etienne Tshisekedi wohnt, | |
| steigen schwarze Rauchsäulen auf. | |
| Der 79jährige Tshisekedi, Veteran des Kampfes gegen die Mobutu-Diktatur, | |
| dessen Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) ihr | |
| Profil vor zwanzig Jahren im Kampf gegen die Diktatur gewonnen hatte, | |
| bekommt von der Wahlkommission nur 32,33 Prozent. Er lehnt dieses Ergebnis | |
| ab. Gegenüber dem französischen Rundfunk RFI, den ganz Kinshasa hört, nennt | |
| er das von der CENI verkündete Wahlergebnis eine "Provokation" und stellt | |
| klar: "Infolgedessen betrachte ich mich ab heute als einen gewählten | |
| Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo. Ich danke Ihnen für Ihr | |
| Vertrauen." | |
| ## Tshisekedi "wahrer Sieger" | |
| Die UDPS hatte schon im Vorfeld erklärt, dass sie die Zahlen der | |
| Wahlkommission nicht anerkennt. Nach ihren eigenen Zahlen hat Tshisekedi | |
| klar gewonnen. Wieder und wieder erklärte sie ihren Chef seit der Wahl zum | |
| "wahren Sieger" und rief ihre Anhänger auf, sich für Proteste zu rüsten. | |
| Tshisekedi werde den Marschbefehl erteilen, sobald die Ergebnisse | |
| veröffentlicht sind, hieß es. | |
| Von den angekündigten Protesten gab es im Stadtviertel Limete, wo | |
| Tshisekedi wohnt, täglich einen Vorgeschmack. Rund um Tshisekedis Haus | |
| standen Polizisten. Hunderte Tshisekedi-Anhänger trollten sich in der | |
| Gegend herum, diskutierten sich in Rag, fast täglich flogen | |
| Tränengaskartuschen und auch mal scharfe Munition. Die Zahl der Toten und | |
| Verletzten ist nicht nachvollziehbar. Augenzeugen berichten, dass Leichen | |
| sofort im Polizeiwagen abtransportiert werden und verschwinden. | |
| ## Vermittlung in Kinshasa | |
| In letzter Sekunde erst schalteten sich die Botschafter sowie die | |
| UN-Mission im Kongo (Monusco) ein, um zu vermitteln. Tshisekedi musste | |
| davon überzeugt werden, einer Verschiebung der Wahlergebnisse zuzustimmen, | |
| ohne Proteste vom Zaun zu brechen oder sich gar selbst zum Präsidenten | |
| auszurufen. | |
| CENI-Chef Ngoy Mulunda musste überzeugt werden, die Ergebnisse jedes | |
| einzelnen der über 63.000 Wahlzentren landesweit zu veröffentlichen, um, so | |
| Diplomatenkreise, die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse wiederherzustellen. | |
| Denn letztlich kann es nur einen gewählten Präsidenten geben. | |
| Unter enormem Druck wurde schließlich ein Kompromiss ausgehandelt: Die | |
| Opposition akzeptierte eine Verzögerung der Wahlergebnisse um 48 Stunden, | |
| auf Donnerstag abend, unter der Bedingung, dass sie pro Wahlbüro | |
| aufgeschlüsselt werden. Die 48 Stunden verschafften Kinshasa eine | |
| Atempause. Die ersten Geschäfte öffneten wieder, die Straßenkinder kamen | |
| aus ihren Verstecken herausgekrochen. Die postierten Polizisten legten sich | |
| erschöpft auf ihre Einsatzwagen, bettelten Passanten nach Wasser, | |
| Zigaretten und Geld an. | |
| Die aufgehetzten Tshisekedi-Anhänger ihrerseits wurden ungeduldig. Minister | |
| und Abgeordnete verschanzten sich im luxuriösen, festungsartig | |
| abgesicherten Grand Hote. Die Hauptstädter saßen vor Fernsehern oder | |
| Radiogeräten - und warteten. | |
| ## Die wildesten Gerüchte | |
| Das ließ die Gerüchteküche brodeln: Ruandische Soldaten seien in | |
| kongolesischen Uniformen in Kinshasa stationiert. Ugandische Saboteure | |
| hätten das Leitungswasser vergiftet. Kabila sei gleich mehrfach ermordet | |
| worden. Kongos Journalisten schwitzten. "All dieses Straßengeschwätz geht | |
| mir auf die Nerven", schimpft Adam Shemisi von der Tageszeitung Le | |
| Potentiel. Er sei erleichtert, dass die Regierung alle SMS-Systeme | |
| ausgeschaltet hat. | |
| Kurz vor Ablauf der 48 Stunden spitzte sich die Situation erneut zu. Noch | |
| immer fehlten einige Ergebnisse aus den hintersten Winkeln des | |
| Riesinreiches. CENI-Vizechef Jacques Djoli, Mitglied der Opposition, drohte | |
| mit Rücktritt. Wieder musste die UNO vermitteln. Zwei Stunden vor | |
| Fristablauf verschob CENI-Chef Mulunda die Ergebnisse um weitere 24 | |
| Stunden. Mit Hubschraubern wurden die letzten Ergebnisse aus dem Urwald von | |
| Equateur eingesammelt. | |
| Als sich am Freitagmittag die Botschafter erneut einfanden, fehlten immer | |
| noch fünf Ergebnisprotokolle. Schließlich war es geschafft. Doch der Spuk | |
| ist noch nicht vorbei. | |
| 9 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
| ## TAGS | |
| Kongo | |
| Recherchefonds Ausland | |
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