# taz.de -- Netzpolitik in Europa: Pflicht zur Überwachung | |
> Die EU billigt ein Abkommen zum Schutz des "geistigen Eigentums". | |
> Internet-Aktivisten und Wirtschaft warnen: Es bestehe Gefahr für | |
> Meinungsfreiheit und Datenschutz. | |
Bild: Internetnutzer müssen detailliert informiert werden, wie ihre Daten verw… | |
BRÜSSEL taz | Der Fischereirat der Europäischen Union ist immer für eine | |
Überraschung gut. Da er kurz vor Weihnachten tagt, bietet er die | |
Gelegenheit, unbequeme Beschlüsse geräuschlos durchzuwinken. Dieses Jahr | |
fällt das Geschenk besonders groß und kontrovers aus: Die Runde, darunter | |
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU), segnete das umstrittene | |
Acta-Abkommen zum Schutz vor Produktfälschung und Internetpiraterie ohne | |
Debatte ab. | |
Das Abkommen war seit 2008 hinter verschlossenen Türen von insgesamt 39 | |
Staaten ausgehandelt worden, darunter die USA, Japan und Kanada. Nach | |
Darstellung der Brüsseler EU-Kommission zielt es darauf ab, einen | |
internationalen Rahmen "zur Bekämpfung von Verletzungen der Rechte des | |
geistigen Eigentums" zu schaffen. Dies sei wichtig, um einen fairen Handel | |
zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu schützen, betont | |
Handelskommissar Karel De Gucht. | |
Kritiker sehen dies jedoch ganz anders. Sie sehen in der Vereinbarung, die | |
auf dem umstrittenen Trips-Abkommen zum geistigen Eigentum aufbaut, eine | |
Gefahr für Meinungsfreiheit und Datenschutz im Internet. Denn die Staaten | |
wollen strafrechtlich gegen Internetpiraten vorgehen und sich dabei an den | |
"besten Praktiken" orientieren. Dies könne zu Netzsperren und zu neuen | |
Durchgriffsrechten für private Provider führen, fürchten Experten. | |
## Regulierung der Meinungsfreiheit in Unternehmerhänden | |
So erklärte Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins Digitale | |
Gesellschaft: "Das Acta-Abkommen legt die Regulierung der Meinungsfreiheit | |
in die Hände privater Unternehmen, da das Abkommen Dritte, wie zum Beispiel | |
Internetprovider, dazu verpflichten könnte, Onlineinhalte zu überwachen. Es | |
ist aber weder ihre Aufgabe noch haben sie die hoheitliche Kompetenz, um | |
über Meinungsfreiheit zu bestimmen." | |
Ähnlich äußerte sich der grüne Europaabgeordnete Jan-Philip Albrecht. Es | |
bestehe "die Gefahr von individuellen Grundrechtseinschränkungen ohne | |
Schutz für die Betroffenen". Darauf habe zuletzt auch der Europäische | |
Gerichtshof hingewiesen. Das Europaparlament, das dem Abkommen noch | |
zustimmen muss, solle ein Gutachten des Gerichtshofs einholen. | |
## Internetfirmen mit gemischten Gefühlen | |
Ohne Expertenhilfe wird es tatsächlich nicht gehen. Denn auch die | |
Industrie, die von dem Abkommen eigentlich geschützt werden soll, ist | |
zerstritten. Während einige Branchen wie die Autoindustrie oder die | |
Messebranche für einen stärkeren Schutz gegen Produktpiraterie insbesondere | |
aus China sind, sehen Telekom- und Internetfirmen das neue Abkommen mit | |
gemischten Gefühlen. Sie könnten stärker an das staatliche Gängelband | |
genommen werden. | |
Der europäische Verband der Telekommunikationsfirmen Etno, dem auch die | |
Deutsche Telekom angehört, warnte vor "unverhältnismäßigen und | |
weitreichenden Maßnahmen". Das Filtern von Inhalten und die Sperrung des | |
Internetzugangs "würde in völligem Widerspruch zu den Nutzerrechten stehen, | |
die im EU-Telekompaket verankert sind". | |
16 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Studie zur digitalen Gesellschaft: Darum poked die Oma nicht | |
Hedonisten, Performer, Skeptiker: Das renommierte Sinus-Institut hat die | |
digitale Gesellschaft erstmals in soziale Milieus eingeteilt. Es geht um | |
Außenseiter, Immigranten und Eingeborene. | |
Strittiges Handelsabkommen unterzeichnet: EU unterschreibt ACTA | |
Die EU und 22 Mitgliedsländer haben das umstrittene Abkommen ACTA | |
unterschrieben. In Zukunft könnten Netz-Anbieter für | |
Urheberrechtsverletzungen von Kunden haftbar gemacht werden. | |
Urheberrechtsabkommen in Polen: ACTA ad acta? | |
Polens Netznutzer protestierten mit Angriffen auf Regierungs-Websites und | |
schwarzen Seiten, hoffen aber aufs EU-Parlament. Es soll das | |
Urheberrechtsabkommen kippen. | |
Gericht stellt sich gegen Anleger: Ratlose T-Aktionäre | |
Manfred Krugs Werbung für die "T-Aktie" hat die Bürger viel Geld gekostet. | |
Die Sammelklage der Kleinanleger auf Schadenersatz hat nun einen Dämpfer | |
bekommen. | |
Gesetzesvorhaben "SOPA" in den USA: Alle gegen geplante Netzsperren | |
Der US-Kongress will mit dem "Stop Online Piracy Act" Medienkonzernen einen | |
Neujahrswunsch erfüllen. Doch das Gesetz stößt auf heftigen Widerstand. | |
Urheberrecht im Internet: "Das ist das Ende der Selbstbedienung" | |
Die EU will sich stärker für Musiker einsetzen. Der Musiker Stefan Goldmann | |
über Kunst im Zeitalter des Downloads und die Notwendigkeit einer | |
postdigitalen Ökonomie. | |
Rainer Langhans und das Internet: "Piraten sind Altfeministen" | |
Alt-68er Rainer Langhans nahm im Januar an der RTL-Sendung "Dschungelcamp" | |
teil. Seine Gage von 50.000 Euro will er sinnvoll verwenden und das Geld im | |
Internet verprassen. |